Werther. Mit dieser Entwicklung hatte zu Beginn der jüngsten Ratssitzung niemand gerechnet. Denn eigentlich sind die Beschlüsse, die im Stadtrat gefällt werden, nur Formsache. Die Diskussionen über die Themen werden zuvor in den Ausschüssen geführt. Und da war man sich in der Mehrheit seit Jahren einig, dass ein Supermarkt auf dem H.-W.-Meyer-Gelände nicht gewünscht ist. Doch gleich zu Beginn des Tagesordnungspunkts 10 „Erlass einer Veränderungssperre“ nördlich der Ravensberger Straße überraschte Birgit Ernst (CDU) mit dem Vorschlag, die Abstimmung darüber zu verschieben.
Die öffentliche Vorgeschichte
Seit 2019 suchen Stadtverwaltung und Politik nach einer Lösung für das prominente Gelände, das das Eingangstor zur Stadt bildet. Die schien in dem Lemgoer Immobilienunternehmer Karl-Otto Cord gefunden. Der hatte das ehemalige Industrie-Gelände gekauft. Er legte einen Plan mit 50 Wohneinheiten und Gewerbe vor, der auf große Zustimmung stieß. Doch gebaut werden konnte nicht. Erst verhinderten ein Mobilfunkmast und ein langwieriges Gerichtsverfahren auf dem Gebäude einen Abriss, dann hatte sich die Wirtschaftslage durch den Ukrainekrieg so verändert, dass die Pläne nicht mehr finanzierbar waren.
Im Januar stellte Cord dann neue Pläne vor, die nun einen Supermarkt mit 1.355 Quadratmeter Verkaufsfläche beinhalteten. Genau das, was die Politik bis dahin vehement abgelehnt hatte. Karl-Otto Cord kündigte deshalb an, notfalls gerichtlich klären zu lassen, ob dort ein Supermarkt hindürfe oder nicht. Das gemeindliche Einvernehmen für die Bauvoranfrage des Investors wurde dann im Bauausschuss nicht erteilt. Stattdessen beschloss man eine Veränderungssperre, die jede Bautätigkeit in dem Gebiet für zwei Jahre untersagt, um in Ruhe einen Bebauungsplan aufzustellen, in dem alle gewünschten Vorgaben enthalten wären. Nur die CDU und Reinhard Kreft von der UWG hatten dagegen gestimmt.
Die bislang nicht öffentliche Vorgeschichte
In der jüngsten Ratssitzung wurden nun Details aus der Vorgeschichte erwähnt, die bislang großenteils hinter verschlossenen Türen besprochen worden waren. Nachdem der erste Kaufinteressent Aldi laut Birgit Ernst sehr „arrogant aufgetreten“ war, habe die Stadt 2019 vorgehabt, das Gelände selbst für zwei Millionen Euro zu kaufen, führte sie aus. Doch dann meldete die Immobilienfirma Cord Interesse an. Der Investor bekam den Vortritt, allerdings unter der Prämisse, dass die Gestaltung des Grundstücks in enger Absprache mit der Stadt erfolgen solle.
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Da Investor Cord dies zugesagt habe, habe man darauf verzichtet, einen Bebauungsplan aufzustellen. Es sollte jedoch 2019 ein Vertrag über die Gestaltung abgeschlossen werden, sagte Bauamtsleiter Jens Kreiensiek in der Stadtratssitzung. Alles habe so weit vorgelegen. „Es ging nur noch um einen Parkplatztausch“, so Kreiensiek. Doch dann sei es nicht mehr weitergegangen. Und dies habe nicht an der Stadt Werther gelegen, hieß es von Verwaltungsseite. Einen Vertrag, der Investor Cord an seine Zusagen bindet, gibt es also bis heute nicht.
Das interne Treffen
Zurück in die Gegenwart: Während SPD und Grüne ihren Ärger offen zeigten, kam von CDU-Seite Verständnis für den Investor, dessen frühere Pläne aufgrund der Preissteigerungen nicht mehr finanzierbar waren. Deshalb organisierte die CDU am Abend vor der Ratssitzung ein Treffen mit Karl-Otto Cord. Der kam in Begleitung von Vertretern des Lidl-Konzerns, mit dem er hinsichtlich der Supermarkt-Pläne zusammenarbeitet. Die CDU lud ihrerseits die UWG und Hannes Dicke-Wentrup (Freie) zu dem Treffen ein.
In dem Gespräch soll es keinesfalls darum gegangen sein, Investor Cord „den roten Teppich auszurollen“, sagte Birgit Ernst nach der Ratssitzung im Gespräch mit dem „Haller Kreisblatt“. „Aber es kann doch nicht sein, dass wir eine weitere Brachfläche in Werther haben.“ Die CDU wolle deshalb auf weitere Gespräche setzen. „Wenn Karl-Otto Cord von Anfang an gesagt hätte, ,da ist nichts möglich’, dann hätten wir uns nicht mit ihm zusammengesetzt“, so Ernst.
Man habe Punkte wie eine Durchgangsmöglichkeit zu Rossmann, die Optik, die sich deutlich in das Areal einpassen solle, die Sorge um dunkle Ecken und vor allem um die Verdrängung anderer Märkte angesprochen. Zu der Konkurrenzsituation hätten die Lidl-Vertreter gesagt, sie bekämen gar keine Genehmigung, wenn klar sei, dass ein anderer Supermarkt weichen müsse. Lidl habe Interesse an Werther, da sich die Hoffnung, mit dem Neubau der Filiale in Halle 2021 Kaufkraft von Werther nach Halle zu ziehen, nicht erfüllt habe.
Birgit Ernst will die Tür für Gespräche offen halten.
(© Claus Meyer)
Die Hoffnung auf eine Einigung
Birgit Ernst machte dem „HK“ gegenüber klar, dass die CDU nicht nur auf Lidl setze. Auch der Rewe oder der Edeka könnten vielleicht Interesse daran haben, in den Neubau zu ziehen. Aber letztlich müsse die Rendite für den Investor stimmen. Und: „Wir tun alle gut daran, keine Drohkulissen aufzubauen.“
Denn sowohl die Veränderungssperre vonseiten der Stadt als auch der von Karl-Otto Cord angekündigte Gang vors Gericht und die Ankündigung in der Presse, die Halle einfach über Jahre leer stehen zu lassen, dürften auf der jeweils anderen Seite keine Freude ausgelöst haben.
Deshalb hoffe man, dass es möglich sei, in gemeinsamen Gesprächen doch noch eine Einigung zu erzielen. Mit ihrem Antrag in der Ratssitzung wolle die CDU deshalb nicht gegen die Veränderungssperre stimmen, sondern lediglich zeitlichen Aufschub für weitere Gespräche gewinnen, so Ernst.
Der Streit in der Ratssitzung
Karl-Otto Cord hat mit Lidl verhandelt.
(© Bernhard Preuß)
In der Ratssitzung sorgte der Vorschlag für Verwunderung und Ärger gleichermaßen. „Wir waren uns immer einig, dass wir keinen Supermarkt wollen, und jetzt reicht der Investor so einen Plan ein, und ihr lasst das mit euch machen“, sagte Georg Hartl (SPD) in Richtung CDU und UWG. Die Gründe, warum die alten Pläne nicht mehr umzusetzen seien, haben andere zu verantworten, nicht aber die Stadt. „Es ist kein freundlicher Akt, da jetzt zu klagen.“ Auch um „das junge Team im Edeka-Markt“ mache er sich Sorgen. Das habe vor, viel zu investieren, und würde durch seine Lage „in der Senke“ unter dem Discounter am Stadteingang leiden, ermahnte Georg Hartl.
Auch Torsten Schmolke (Grüne) blieb bei seinem Nein zu weiteren Gesprächen. „Wir haben in der Vergangenheit so schlechte Erfahrungen gemacht mit Zusagen“, sagte er. Und Erika Sahrhage (SPD) meinte, man habe bereits so viel Zeit und Überlegungen investiert. Es komme ihr vor, als ob man sich erpressen lassen würde. Detlef Wind (SPD) glaubte, dass es „ein Fehler ist, die Türen zu öffnen – dann haben wir den Supermarkt da stehen.“ Und Andreas Honsel (Freie) meinte, mit einer Veränderungssperre „haben wir das Heft des Handelns in der Hand“.
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Anderer Meinung waren Reinhard Kreft und Uwe Gehring (UWG): „Wir möchten keine Veränderungssperre, sondern mehr mit Cord sprechen. Wir haben schon genug Brachen in der Stadt“, sagten beide. „Die Veränderungssperre fliegt uns um die Ohren, das wäre eine Verhinderungsplanung“, mahnte Hannes Dicke-Wentrup (Freie), „wir wollen, dass an der Stelle etwas passiert – und zwar schnell.“ Und Wolfgang Böhm (WDGA) empfand das Gebaren als „Tanz ums Goldene Kalb des Investors“.
Die Position der Stadt
Bürgermeister Veith Lemmen machte keinen Hehl aus der Sichtweise der Stadt. „Wir sind immer im Gespräch mit Cord, unter anderem auch über die Zuführung neuer Interessenten“, sagte er. Die Stadt mache auch nach den gescheiterten Gesprächen proaktiv weiter und bringe Cord Immobilien mit Ärzten oder Banken zusammen, die Interesse daran hätten, in die Immobilie einzuziehen. Zumal die Stadt selbst Mieterin in einer von Cords Immobilien sei. Der Rat sei immer alle Pläne von Cord mitgegangen, nur den Letzten nicht. „Wir waren offen für alles, nur einen Supermarkt wollten wir nicht.“
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Die Abstimmung
Nach so viel Zündstoff wurde die Ratssitzung erst einmal unterbrochen. Die Politiker stellten sich in kleinen Grüppchen zu informellen Gesprächen zusammen. Hinter vorgehaltener Hand wurde Kritik am Treffen der CDU und UWG mit dem Investor laut. Das Ganze habe „ein Geschmäckle“ hieß es.
Abgestimmt wurde über den CDU-Antrag, den Beschluss über die Veränderungssperre für das Areal nördlich der Ravensberger Straße von der Tagesordnung zu nehmen. Damit würde eine Entscheidung vertagt. Für den Antrag stimmten CDU, UWG, WDGA und Hannes Dicke-Wentrup (Freie) mit insgesamt 14 Stimmen. Dagegen waren SPD, Grüne, Andreas Honsel (Freie) und Bürgermeister Veith Lemmen. Mit knapper Mehrheit setzten sich die Befürworter der Vertagung durch. Damit sind für den Moment noch alle Varianten möglich.
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