Neulich in einem Café in Pankow: Es ist eine laue Sommernacht und nicht einmal elf, da schwebt die Bedienung heran und haucht den Gästen zu: „Je leiser Ihr seid, desto länger dürft Ihr draußen sitzen.“ Eine halbe Stunde später sitzen vorsichtshalber doch alle an der Theke. Drinnen wird noch getanzt, aber bitte bloß nicht zu laut. Wird Berlin langsam spießig?
Das „Café Schwarzsauer“ an der wuseligen Kastanienallee in Prenzlauer Berg darf nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts auch nach 22 Uhr Gäste auf dem Bürgersteig bewirten. Das Bezirksamt Pankow hatte das untersagt – wegen der Klage eines Anwohners, der in einer Seitenstraße wohnt und nicht schlafen kann. Nun hat das Gericht richtigerweise gesagt: Eine einzelne Beschwerde reicht nicht aus, selbst wenn sie oft wiederholt wird.
Robert Ide
schreibt unter anderem die Newsletter „Checkpoint“ und „Im Osten“ sowie Kolumnen über Liebe („Ins Herz“) und die Internationalen Filmfestspiele, die Berlinale.
Der Streit, wie laut laue Sommernächte sein dürfen, wird immer heftiger. In Prenzlauer Berg mussten schon mehrere Lokale aufgeben – meist weil sich einzelne, oft zugezogene Anwohnende über den Lärm beschwerten und Abend für Abend die Polizei riefen, die eigentlich Besseres zu tun hat.
Der Kommentar von Robert Ide zum Nachhören:
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Beim „Rheingauer Weinbrunnen“ in Wilmersdorf werden in diesem Sommer die Gäste gezählt. Die zuständigen Bezirksämter schlagen sich meist auf die Seite der Klagenden. Doch Berlin braucht auch ein offenes Ohr für die Gastwirte, von denen viele seit der Corona-Krise um ihre Existenz kämpfen.
Das Verwaltungsgericht hat festgehalten: In Ausgehvierteln muss eine gewisse Art von Lärm toleriert werden. Das Reden und Lachen vor einem Lokal in der trubeligen Innenstadt ist demnach anders zu bewerten als am ruhigen Stadtrand. Zumal an der Kastanienallee die Straßenbahn entlangrattert und die Feuerwehr von der nahen Wache mit Sirenen ausrückt. Absurd, hier um 22 Uhr die Bürgersteige hochklappen zu wollen.
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Es ist kein Zufall, dass sich der Grundsatzstreit in Prenzlauer Berg entscheidet. Hier hat sich nach dem Mauerfall eine neue Ausgehkultur entwickelt, die den Kiez aufgewertet hat. Hier aber ist auch die Ursünde in Sachen Lärmschutz passiert: Der legendäre Knaack-Club musste 2010 nach der Klage eines neuen Anwohners schließen. Nun will der Bezirk die Frage letztgültig klären lassen. Das kann Jahre dauern, ist aber richtig.
Es braucht endlich Rechtssicherheit auch für Mitarbeitenden in Ämtern – und mehr amtlich erklärte Toleranz in belebten Kiezen. Lokale fördern den sozialen Zusammenhalt. Draußen sind sie im Sommer am schönsten, bis elf, halb zwölf sollte das toleriert werden. Dann gehen die meisten Gäste sowieso nach Hause – oder eben rein.
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Berlin braucht keine verkappte Sperrstunde um 22 Uhr. Selbst im Bundeshauptdorf Bonn darf man inzwischen länger draußen sitzen. Unsere Stadt muss sich wieder zutrauen, eine Stadt zu sein.
Jeden Donnerstag ab 6 Uhr kommentiert Robert Ide stadtpolitische Themen bei Simone Panteleit und Team im Berliner Rundfunk 91.4. Im Tagesspiegel finden Sie den Kommentar zum Nachlesen und Nachhören.