Zölle: Wie Trump die Eidgenossen in die Arme der EU treibt Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin, Vizepräsident des Bundesrates, in Washington. Foto: Getty Images via AFP

Angesichts des US-Zollhammers erscheint die EU in der Schweiz plötzlich in einem besseren Licht. Die Stimmen für eine enge Kooperation mit Brüssel häufen sich.

Die Schweizer entdecken ihre Zuneigung zur lange verpönten Europäischen Union: Seit diesem August häufen sich die Stimmen einflussreicher Eidgenossen, die offen die EU preisen und eine engere wirtschaftliche und politische Kooperation mit befürworten. Die Hinwendung in Richtung Brüssel geht auf das Konto des US-Präsidenten Donald Trump. Seine Regierung kündigte ausgerechnet am Schweizer Nationalfeiertag, dem 1. August, die Mega-Zölle auf Schweizer Importe an, die viele Unternehmen Helvetiens ins Mark treffen. Trump brummt den Eidgenossen mit 39 Prozent weltweit die fünfthöchsten Einfuhrzölle auf –nur Brasilien, Syrien, Laos und Myanmar werden noch schlimmer abgestraft.

Pro-Europäer fühlen sich bestätigt

Angesichts des US-Hammers wirbt selbst die traditionell EU-skeptische „Neue Zürcher Zeitung“ für eine enge Zusammenarbeit mit Brüssel: „Wer das nicht wenigstens in Betracht zieht, hat aus dem Debakel mit Trump nichts gelernt.“ Die pro-europäischen Kräfte im Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz fühlen sich bestätigt. Die Sozialdemokraten (SP) bekräftigen ihre Parole, nach einem Zusammengehen mit Europa: Samuel Bendahan, Co-Präsident der SP-Bundeshausfraktion, sagt: „In einer Welt, in der die mächtigsten Akteure unberechenbar handeln, ist der Schulterschluss mit verlässlichen Partnern entscheidend.“

Letztlich werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über Annäherungen entscheiden. Konkret geht es um die neuen Verträge, die Helvetiens Regierung mit der EU 2024 ausgehandelt hatte. Damals reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eigens nach Bern und rief einen „Tag der großen Freude“ aus. Die Partner vereinbarten die Auffrischung bereits bestehender wirtschaftlicher und rechtlicher Abkommen sowie neue Regeln etwa für Lebensmittelsicherheit, Strommärkte und Gesundheit.

Zwar dürfte das Schweizer Volk über die Vereinbarung erst in einigen Jahren abstimmen. Doch wirbt die Regierung schon jetzt für das langfristig angelegte Vertragswerk. Außenminister Ignazio Cassis verspricht mehr Wohlstand und betont: „Wir gehören zu Europa.“ Die Gespräche zwischen Bern und Brüssel, so versichern die ungleichen Partner, seien auf Augenhöhe gelaufen.

Ganz im Gegensatz dazu führte Trump die Schweizer regelrecht vor. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin versuchten zunächst flehentlich, die US-Amerikaner von hohen Zöllen für die Schweizer Wirtschaft abzuhalten. Nach einem Telefongespräch zu Beginn der Zoll-Krise glaubte Keller-Sutter, die Finanzministerin, einen „Zugang“ zu Trump gefunden zu haben. „Er war sehr respektvoll“, berichtete sie. Trump habe davon gesprochen, es sei ihm eine „Ehre“, mit der Bundespräsidentin zu sprechen.

Telefonat mit Trump endet im Debakel

Doch ein weiteres Telefongespräch zwischen Keller-Sutter und Trump endete im Debakel. Trump höhnte später über die „Premierministerin“, gemeint war die Bundespräsidentin: „Die Frau war nett, aber sie wollte nicht zuhören.“ Und: „Ich kannte sie nicht.“ Kurz darauf ließ Trump den Zollhammer fallen.

Die Ausfuhren über den Atlantik sind nun „stark belastet“, klagte der Wirtschaftsverband Economiesuisse: „Rund 100 000 Beschäftigte sind direkt betroffen, vor allem in der Uhren-, Maschinen- und Nahrungsmittelindustrie.“ Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, hingegen sieht von jeglichen Gegenmaßnahmen ab.

Der Politikwissenschaftler Michael Hermann zieht daraus den Schluss: „Trump zeigt, wie robust und ausgeglichen unsere Beziehung zur EU ist“, sagt Hermann. „Wer nach diesem Zollentscheid das neue EU-Abkommen als Kolonialvertrag bezeichnet, hat jegliche Verhältnismäßigkeit verloren.“ Damit zielt der Experte auf die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei ab. Seit Jahrzehnten beschimpfen SVP-Übervater Christoph Blocher und seine Gefolgsleute die EU als bürokratisches Monster und warnen vor der „Unterwerfung der Schweiz“.