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10.02.2025, Berlin: Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), äußert sich in der Bundespressekonferenz zur bevorstehenden Münchner Sicherheitskonferenz und zum Munich Security Report 2025. Die 61. MSC findet vom 14. bis 16. Februar 2025 im Hotel Bayerischer Hof in München statt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++Christoph Heusgen war Spitzendiplomat und arbeitet als außenpolitischer Berater. © Bernd Von Jutrczenka/dpa

Der Schritt würde als starke Geste der Solidarität wirken, weil Deutschland ein treuer Freund Israels ist. Ein Gastbeitrag von Christoph Heusgen.

Das Völkerrecht bestimmt die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Staates: Dieser muss über ein Staatsvolk verfügen, über Staatsgebiet und Staatsgewalt, also über die Fähigkeit, auch tatsächlich zu regieren. Es gibt die „Palästinenser“, ihr Staatsgebiet ist völkerrechtlich in den Grenzen von 1967 klar umrissen, aber sie verfügen in Wirklichkeit nur über einen kleinen Teil dieses Gebiets – der Großteil davon ist von Israel besetzt. Und Staatsgewalt übt die Palästinensische Autonomiebehörde nur sehr eingeschränkt aus. Also ist die bisherige Haltung der Bundesregierung eigentlich richtig, die eine Anerkennung auf das Ende eines Friedensprozesses verschiebt.

Eigentlich? 147 von 194 Staaten sind zu einem anderen Schluss gekommen. Auch Frankreich und Großbritannien wollen Palästina anerkennen. Als ich über die von mir bisher geteilte deutsche Rechtsauffassung mit Yoram Ben-Zeev, israelischer Botschafter in Berlin von 2007 bis 2011, diskutierte, bekam ich eine überraschende Antwort: Ja, meine Rechtsauffassung sei korrekt, aber es gehe jetzt auch um historische und moralische Argumente. Als Juden den Anspruch erhoben, einen eigenen Staat zu gründen, seien die Voraussetzungen auch nicht gegeben gewesen. Stalin hätte sogar die Existenz eines jüdischen Volkes geleugnet. Dennoch sei die Staatsgründung erfolgt.

Das Trauma vom 7. Oktober 2023 rechtfertigt keine Angriffe auf Unschuldige

Bis heute gibt es viele Palästinenser, die die Gründung des Staates Israel nicht akzeptieren. Präsident Mahmoud Abbas und die PLO aber haben Israel anerkannt, stehen hinter der Zwei-Staaten-Lösung. Anders als seine Vorgänger Ehud Olmert und Jitzchak Rabin lehnt Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu einen Palästinenserstaat vehement ab. Seine Abneigung gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ging so weit, dass er die Terrororganisation Hamas in Gaza akzeptierte und durch Katar finanzieren ließ.

Die tragischen Folgen dieser Fehlkalkulation haben wir erlebt: den brutalen, durch nichts zu rechtfertigenden Angriff vom 7. Oktober 2023. Trotz seiner Fehlkalkulation will Netanjahu weiter jeden Schritt in Richtung eines Palästinenserstaats verhindern.

Der 7. Oktober bleibt für Israel ein traumatisches Erlebnis. Dass Israel von seinem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch machte, war gerechtfertigt. Aber jede Selbstverteidigung muss verhältnismäßig sein. Israels Bombardierungen, denen mehrheitlich wehrlose, nicht am Angriff auf Israel Beteiligte zum Opfer fallen, wurden von dem ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden als „willkürlich“ und damit als gegen das Völkerrecht verstoßend bezeichnet.

Israels Angriffe auf den Gazastreifen: Täglich stirbt etwa eine Schulklasse

Der einzige Mensch, der die israelische und palästinensische Staatsangehörigkeit besitzt, der Dirigent Daniel Barenboim, hat es auf den Punkt gebracht: „Ja, Israel hat das Recht, sich gegen den Terrorismus zu verteidigen, aber nein, Israel hat nicht das Recht, in diesem Prozess ein ganzes Volk auszurotten, auszuhungern und zu vertreiben.“ Die palästinensischen Opferzahlen sind dramatisch: fast 70.000 Tote. Seit Beginn des Kriegs werden laut Unicef jeden Tag 28 palästinensische Kinder getötet, so viel wie eine Schulklasse.

Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern Israelische Soldaten 2006, Geschichte des Krieges in IsraelFotostrecke ansehen

Ebenfalls mit dem Ziel, eine Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern, treibt die israelische Regierung den Siedlungsbau im Westjordanland weiter voran, toleriert und unterstützt die Siedlergewalt gegen Palästinenser. Auch dieser Siedlungsbau stellt laut einer von den USA mitgetragenen Resolution des Weltsicherheitsrats eine „flagrante Verletzung des Völkerrechts“ dar.

Alle diplomatischen Versuche, die israelische Regierung zum Einlenken zu bringen, haben nichts bewirkt. Von einer Zwei-Staaten-Lösung sind wir weit entfernt. Es steht zu befürchten, dass die Voraussage des ehemaligen US-Außenministers John Kerry in Erfüllung geht, nämlich dass sich Israel zum Apartheidstaat entwickelt.

Deutschland sollte einen palästinensischen Staat anerkennen – besonders in dieser Situation

In dieser Situation soll Deutschland einen palästinensischen Staat anerkennen? Ja, denn ein Instrument der Diplomatie ist es, symbolische Zeichen zu setzen. Es würde die Situation kurzfristig nicht verändern, aber ein starkes Signal der Solidarität mit dem palästinensischen Volk senden, wenn wir uns der Staatenmehrheit anschlössen. Es würde weltweit als besonders starke Geste wahrgenommen, weil Deutschland zu Recht als treuer Freund Israels gilt.

Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson, aber zur israelischen Sicherheit gehört auch, dass sich das Land nicht durch den exzessiven Einsatz militärischer Gewalt und den Bruch des Völkerrechts weltweit Feinde macht und isoliert. Keine gewaltsame, nur eine gerechte politische Lösung kann beiden Völkern Frieden bringen. Zumindest diejenigen in Israel, die dies genauso sehen – so wie Yoram Ben-Zeev – würden die Anerkennung Palästinas begrüßen und als Umsetzung der deutschen Staatsräson in die Tat verstehen. Und vielleicht würde dieser Schritt die Regierenden in Jerusalem zum Nachdenken bringen.