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Beschäftigte mit Mindestlohn haben laut einer Studie deutlich mehr Geld zur Verfügung als Bürgergeldempfänger. Doch auch in Hessen gibt es Unterschiede.
Frankfurt – Einen Herbst, der sich gewaschen habe, kündigte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kürzlich an und meinte damit Reformen bei den Sozialleistungen. Die Bundesregierung plant, das Bürgergeld in eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umzubauen, bei der die Vermittlung in Arbeit im Vordergrund stehen und es mehr Sanktionen geben soll. Besonders aus der Union kommt Kritik am Bürgergeld. Es setze die falschen Anreize und belaste den strapazierten Haushalt. „Arbeit muss sich wieder lohnen“, war einer der Wahlkampfschlager der Christdemokraten.
Die Annahme, dass das Bürgergeld zum Faulenzen einlädt, entspricht allerdings eher nicht der Realität, wie nun eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt.
Demnach haben Vollzeitbeschäftigte deutlich mehr Geld zur Verfügung, als Bezieher von Bürgergeld. Das gelte für Alleinstehende ebenso wie für Alleinerziehende und Paare mit Kindern, und zwar in allen Regionen Deutschlands, auch in Hessen, rechnet das Institut vor.
In Hessen beträgt der Lohnabstand für einen Single-Haushalt 531 Euro
Die Berechnungen basieren auf dem aktuellen Mindestlohn von 12,82 Euro pro Stunde. Dabei wurde berücksichtigt, dass Personen mit einem so niedrigen Einkommen möglicherweise zusätzlich Sozialleistungen wie Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag erhalten. Die Beispiele beziehen sich auf Vollzeitarbeit, was im Durchschnitt etwa 38,2 Stunden pro Woche bedeutet.
Das WSI hat drei Fallbeispiele analysiert: Ein alleinstehender Mann, der zum Mindestlohn arbeitet, erzielt laut Berechnungen ein Bruttoeinkommen von 2.121,58 Euro im Monat. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben bleiben ihm 1.546 Euro. Zusammen mit einem rechnerischen Anspruch auf 26 Euro Wohngeld ergibt sich ein verfügbares Einkommen von 1.572 Euro. Im Vergleich dazu erhält ein Bürgergeldempfänger 563 Euro als Regelsatz und 451,73 Euro für die Unterkunft, was insgesamt 1.015 Euro ergibt – 557 Euro weniger als im Mindestlohnjob. Selbst unter Berücksichtigung des Rundfunkbeitrags von 18,36 Euro bleibt eine Differenz von über 500 Euro. In Hessen beträgt der Lohnabstand sogar 531 Euro.
Das zweite Beispiel betrifft eine alleinerziehende Mutter mit einem fünfjährigen Kind. Sie würde in Vollzeit mit Mindestlohn netto 1.636 Euro verdienen. Mit Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss käme sie auf 2.532 Euro. Im Bürgergeldbezug stünden ihr laut WSI mit den Regelsätzen für Mutter und Kind, dem Mehrbedarf für Alleinerziehende, den Unterkunftskosten und dem Sofortzuschlag 1.783 Euro zu, was 749 Euro weniger sind. In Hessen beträgt die Differenz in diesem Fall 724 Euro.
Eine aktuelle Untersuchung zum Bürgergeld zeigt, dass Menschen, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben als Bürgergeldempfänger. © Eine aktuelle Untersuchung zum Bürgergeld zeigt, dass Menschen, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben als Bürgergeldempfänger.
Das dritte Beispiel ist ein Ehepaar mit einem Verdiener zum Mindestlohn und zwei Kindern im Alter von fünf und 14 Jahren. Auf ganz Deutschland bezogen hätten sie im Bürgergeld 660 Euro weniger, in Hessen 641 Euro weniger, so die Experten. Die regionalen Unterschiede im Lohnabstand resultieren laut WSI aus den variierenden Mietkosten.
Bürgergeld-Studie räumt mit Vorurteilen auf
Im Landkreis München, in Dachau und in der Stadt München ist der Lohnabstand bei einem Single-Haushalt mit 379 bis 444 Euro deutschlandweit am geringsten. In Nordhausen und dem Vogtlandkreis ist er mit 662 und 652 Euro am größten.
In Hessen sehen die Forscher den geringsten Lohnabstand bei einem Single-Haushalt in Darmstadt und Wiesbaden (jeweils 483 Euro), den größten im Werra-Meißner-Kreis (603 Euro). Die anderen kreisfreien Städte in Hessen und weitere ausgewählte Kreise reihen sich dazwischen ein:
- Stadt Frankfurt: 487 Euro
- Main-Taunus-Kreis: 511 Euro
- Hochtaunuskreis: 515 Euro
- Kreis Offenbach: 516 Euro
- Stadt Offenbach: 535 Euro
- Wetteraukreis: 539 Euro
- Main-Kinzig-Kreis: 542 Euro
- Kreis Gießen: 543 Euro
- Stadt Kassel: 565 Euro
- Kreis Waldeck-Frankenberg: 581 Euro
- Kreis Kassel: 583 Euro
- Kreis Hersfeld-Rotenburg: 585 Euro
- Schwalm-Eder-Kreis: 589 Euro
„In Regionen, in denen der Abstand geringer ist, liegt dies an den Mieten, die in einigen Gegenden extrem hoch sind. Das verweist auf ein Feld, auf dem es im Gegensatz zum Niveau des Bürgergelds tatsächlich dringend politischen Handlungsbedarf gibt: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die sowohl die Staatskasse als auch die unteren Einkommen entlasten würde“, sagte Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI, zu den Ergebnissen.
Zudem werde deutlich, mit wie wenig Einkommen Menschen im Bürgergeld auskommen müssten. „Die Behauptung, sie wollten nicht erwerbstätig sein, weil sich mit dem Bürgergeld gut leben lasse, ist sachlich falsch und stigmatisierend“, betonte die Soziologin. (nhe/dpa)