Berlin. 25 Jahre „Die Unberührbare“: Die Morgenpost-Filmreihe „Hauptrolle Berlin“ zeigt noch einmal Oskar Roehlers Meisterwerk mit Hannelore Elsner.

Sie sitzt wie ganz Deutschland vor dem Fernseher. Und verfolgt die Bilder aus Berlin, wo gerade die Mauer gefallen ist und Menschen aus Ost und West sich in den Armen liegen. Doch Hanna Flanders kann sich nicht darüber freuen. Als linke Schriftstellerin hat sie zuletzt nur noch in DDR-Verlagen publiziert. Jetzt könnte auch das passé sein. Was also tun?

„Die Unberührbare“: Ein Film, der Geschichte schrieb

Die Mittfünfzigjährige macht einen radikalen Schnitt. Kündigt ihre Wohnung. Und fährt nach Berlin. Wo sie einen Neuanfang machen will. Und steht dann ohne Vorankündigung bei ihrem Ost-Berliner Verleger, der sie mal großzügig eingeladen, aber das wohl nie ernst gemeint hat. Und der jetzt auch die Öffnung der Mauer feiert. Und seine Autorin nicht verstehen kann, die wettert, jetzt fresse die Konsumgesellschaft uns alle.

„Die Unberührbare“ hat Filmgeschichte geschrieben. Oskar Roehler hat damit, kaum verklausuliert, die Geschichte seiner eigenen Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, und ihren Freitod verfilmt. Ein schmerzliches Trauma für den Sohn, der ohnehin unter seiner Mutter, die ihn nicht großgezogen hat, gelitten hat. Und der sich das mit diesem Film wegtherapiert hat.

Zum Nachlesen: Der Morgenpost-Nachruf auf Hannelore Elsner im 2019

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Das Spannende aber: Roehler erzählt nicht etwa seine Geschichte, nicht die des Sohnes. Ein solcher kommt zwar auch vor, der aber, gespielt von Lars Rudolph, macht aber alles andere als eine gute Figur. Nein, der Film folgt ganz bei dem Alter Ego von Gisela Elsner, die hier eben Hanna Flanders heißt. Und grandios von Hannelore Elsner verkörpert wird.

Die Berlinale wollte den Film nicht haben. Später regnete es Preise

Der Film war eine Offenbarung, auch durch seine Ästhetik, seine grobkörnigen, Distanz schaffenden Schwarzweißbilder. Und wurde zu einem großen Erfolg. Schon fast vergessen, dass die Berlinale ihn im Jahr 2000 nicht zeigen wollte (was einer der Gründe gewesen sein soll, weshalb der Festivalchef Moritz de Hadeln geschasst wurde). Premiere hatte der Film stattdessen in Cannes, wo er einen ersten Preis gewann. Im Jahr darauf kamen gleich drei Deutschen Filmpreise hinzu, für den Besten Film, die beste Hauptdarstellerin und den besten Nebendarsteller (Vadim Glowna als Ex-Mann und Vater), sowie elf weitere internationale Auszeichnungen.

Nun feiert der Film sein 25-Jähriges. Anlass genug, ihn in der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“ zu zeigen, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag im Monat einen Berlin-Film zeigt. Immer wieder stellt sich in unserer Reihe die Frage, was einen Berlin-Film ausmacht und wieviel Stadt dabei vorkommen muss. „Die Unberührbare“ gehört streng genommen nicht dazu, spielt er doch nicht nur in Berlin. Und doch ist der Mauerfall der auslösende Moment. Und im Zentrum steht der Entschluss, in der einst geteilten und nun wiedervereinten Stadt einen Neuanfang zu wagen.

Zum Nachlesen: So gut war Oskar Roehlers bislang letzter Film „Bad Director“

DIE UNBERÜHRBARE

Hanna Flanders war eine der stärksten Rollen für Hannelore Elsner, die daraus eine ganz eigene Kunstfigur entwickelte.
© picture alliance/United Archives | picture alliance

Als ob man da auf die einst gefeierte, nun aber fast schon vergessene Schriftstellerin gewartet hätte. Die den Kapitalismus kritisiert, aber im noblen München in den höchsten Gesellschaftskreisen verkehrt. Eine typische Salonkommunistin und Kulturbolschewistin. Die fährt nun nach Berlin. Steht unangekündigt vor dem verdutzten Verleger (Michael Gwisdek). Und wird aus Verlegenheit in eine Autorenwohnung des Verlags einquartiert. Eine triste, graue Plattenbauwohnung, ganz weit draußen, in der Peripherie.

Mit Designermantel in der Plattenbautristesse

Was für ein Bild. Hannelore Elsner als Alter Ego von Gisela Elsner. Mit einer markanten Kleopatra-Frisur, die sofort hervorsticht, aber auch wie ein Schutzhelm wirkt. Mit dick geschminkten Augen, die Stolz ausdrücken wollen und doch Verunsicherung verbergen. Und stets eine Zigarette in der Hand, als sauge sie daraus ihren letzten Lebensmut. Surreal rührend, wie sie erst noch shoppen gehen und einen auffallenden Design-Mantel kaufen muss, bevor sie sich nach Berlin begibt.

Wo sie damit wie ein Fremdkörper wirkt. In der Plattenbautristesse. In einer Eckkneipe, wo sie sich mit Anwohnern anfreunden will, was gründlich daneben geht. Und dann, das wohl stärkste Bild des Films, auf einem einsamen Acker, über den sie an einem nebligen Morgen auf ihren High Heels stakst. Eine Frau buchstäblich außer sich, eine Außenseiterin am Rand der Gesellschaft, die keine Rolle mehr spielt, für die kein Platz mehr ist.

Mehr zum Thema: Oskar Roehler war schon einmal Gast in der „Hauptrolle Berlin“: mit „Tod den Hippies“

Oskar Roehler und Preisträgerin Hannelore Elsner bei der Verleihung des...

Oskar Roehler mit seiner Hauptdarstellerin Hannelore Elsner bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises.
© picture-alliance / SCHROEWIG/CS | SCHROEWIG/CS

Alles andere ist nur noch Nachspiel. Wie sie Berlin ebenso beherzt wieder verlässt. Und noch mal Halt sucht. Erst bei ihrem Ex-Mann (Glowna als Alter Ego von Klaus Roehler, dem der Sohn seinen Film gewidmet ist). Dann bei ihren reichen Eltern. Wo der Vater (Charles Regnier in seiner letzten Rolle) sie gnädig aufnehmen will, die Mutter (Helga Göring) sie aber kalt abweist. Da spiegelt sich die schiefe Mutter-Sohn-Beziehung. Ein Stationendrama. Jede Station eine Sackgasse. Bis die aus der Zeit Gefallene, als letzten Schicksalsschlag, auch noch eine niederschmetternde Diagnose erhält.

Der Durchbruch für Oskar Roehler. Und ein Comeback für Hannelore Elsner

Es war eine großartige Entscheidung, den Film in sprödem, grobkörnigem, Distanz schaffenden Schwarzweiß zu drehen. Wofür Kameramann Hagen Bogdanksi bleibende Bilder schuf. Und wer spielt hier alles mit, auch in kleinen Rollen! Über allem aber thront Hannelore Elsner. Die Roehler damals gar nicht so sehr als Schauspielerin wahrgenommen hat denn als öffentliche Person. Elsner wusste natürlich, dass sie hier ihre Namenspatronin, die Mutter des Regisseurs spielte. Und doch machte sie aus Hanna Flanders eine ganz eigene Kunstfigur. Womit ihre Karriere noch mal einen gehörigen Schub erfuhr und die Elsner, die davor lange nur noch Fernsehen gemacht hatte, wieder zum großen Kinostar wurde.

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Aber auch für den Regisseur war der Film der Durchbruch. Und ein Beweis, dass er mehr war als das Enfant terrible mit seinen ersten, schrillen, wütenden Werken. Auch in späteren Filmen wie „Quellen des Lebens“ (2013) und „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“ (2015) und Romanen wie „Herkunft“ (2011) und „Mein Leben als Affenarsch“ (2015) hat Roehler immer wieder seine eigene Geschichte und die Abweisung durch seine prominenten Eltern verarbeitet. Aber nie ist es ihm mit einer vergleichbar verständnisvollen Distanz und zärtlichen Poesie wie hier. „Die Unberührbare“ ist sein bester Film.

Zoo Palast, 2. September, 20 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs Oskar Roehler und der Produzentin Käte Caspar. Tickets gibt es hier.