Interview | Umbenennung der Mohrenstraße

„Nach Jahrhunderten des Vergessens wird Amo jetzt erst wieder entdeckt“

Deutschland, Germany, Berlin, 23.08.2017 Protestler mit Strassenschild Anton-W.-Amo-Strasse als neuen Namensgeber in Erinnerung an den ersten deutschen schwarzen Akademiker Anton Wolhelm Amo am Schild Mohrenstrasse am Umbenennungsfest Mohrenstraße anlaesslich des Internationalen Tags zur Erinnerung an den Versklavungshandel in Berlin

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Audio: Radio Eins | 22.08.2025 | Tatiana Brasching | Bild: picture alliance | Stefan Boness

Ab Samstag heißt eine Berliner Straße nach dem ersten Schwarzen Philosophen Deutschlands: Anton Wilhelm Amo. Für Professorin Regina Römhild ist dies ein lange überfälliger Schritt für mehr Sichtbarkeit.

Nach einem jahrelangen Rechtsstreit wurde die Umbenennung der Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße Anfang Juli rechtskräftig entschieden. Zuvor hatte die Bezirksverordnetenversammlung die Umbenennung im August 2020 mehrheitlich beschlossen. Begründet wurde dies damit, dass der Name „diskriminierend ist und dem Ansehen Berlin schadet“. Am östlichen Ende der Straße befindet sich mit dem Institut für Europäische Ethnologie ein Wissenschaftsstandort, der zuletzt immer lautstarker mit der ungewollten Adresse haderte.


rbb|24: Frau Römhild, warum ist die Umbenennung der M*-Straße überhaupt so wichtig? Was bedeutet das für das Institut für Europäische Ethnologie, das in dieser Straße seine Anschrift hat?

Regina Römhild: Es gibt einen engen Zusammenhang mit unserem Fach, der Europäischen Ethnologie, denn dessen lange Geschichte reicht über seine beiden Vorgängerinnen, die „Volks-“ und „Völkerkunde“, bis in den Nationalismus und Kolonialismus des 19. Und 20. Jahrhunderts hinein. Ethnologen haben damals durch ihre Forschungen dazu beigetragen, die Vorstellung von „Anderen Europas“ zu nähren, die als weniger zivilisiert und entwickelt galten.

Dieses Denken hat den Kolonialismus und seine lange Gewaltgeschichte gegenüber Menschen und Orten außerhalb Europas legitimiert. Dass unser Fach mit dieser problematischen Geschichte verstrickt ist, beschäftigt Europäische Ethnolog*innen seit langem kritisch – wir sind deshalb sehr sensibel für alle Anzeichen eines bis in unsere Gegenwart hineinreichenden kolonialrassistischen Denkens.

Regina Römhild

Professorin für Europäische Ethnologie Berlin Regina Römhild (Bild: Heike Zappe)

Heike Zappe

ist seit 2009 Professorin für Europäische Ethnologie am gleichnamigen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie entwickelte eine ethnologische Perspektive, die sich mit der Geschichte und Gegenwart europäischer Gesellschaften aus einer postkolonialen Blickrichtung befasst und Europa als Produzentin und als Produkt globaler Verflechtungen untersucht. Sie gründete das Amo Kollektiv mit, das seit 2020 mit dem „Dekolonialen Flanieren“ und dem „Amo-Salon“ zur öffentlichen Auseinandersetzung mit Fragen und Themen rund um die Umbenennung einlädt.

Für mich war es eine Ironie meiner wissenschaftlichen Laufbahn, dass ich Ende 2009, nachdem ich als Professorin nach Berlin gekommen war, an einer Adresse arbeiten musste, die mit ihrem Namen in ebendiesem kolonialen, rassistischen Horizont verankert ist. Denn der Begriff „M*“ ist eine Bezeichnung für Schwarze Menschen, die aus der Zeit der Versklavung des 18. und 19. Jahrhunderts stammt.

Ich habe mich vom ersten Tag an mit meiner Expertise als Europäische Ethnologin mit den vielen Aktiven in der Stadt solidarisiert, die schon seit Jahrzehnten eine Umbenennung der Straße forderten.


Warum ist der Straßenname so umstritten?

Der Straßenname sagt sehr viel darüber aus, wie wir heute über diese Vergangenheit denken. Wenn wir einen Begriff weiterverwenden, der heute degradierend, diskriminierend und rassistisch ist, dann zeigen wir, dass wir diese Botschaft noch in die Gegenwart hineintransportieren und daran nichts verändern. Straßennamen sind immer auch gesellschaftspolitische Entscheidungen, mit denen signalisiert wird, welche Geschichte aus welcher Perspektive erinnert wird.

Der Begriff „M*“ steht für die Auffassung der Herrschenden zu dieser Zeit – nicht die der Beherrschten. Anton Wilhelm Amo zum neuen Namensgeber der Straße zu machen, signalisiert stattdessen, die kritische Sicht und die Erfahrung Schwarzer Menschen dieser Zeit hervorzuheben und anzuerkennen. Es hat lange gedauert, bis sich diese Auffassung durchgesetzt hat und der Weg frei wurde für den neuen Namen.


Wer war Anton Wilhelm Amo?

Er wurde vermutlich als Kind versklavt und ins Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts verschleppt, bekam aber dann die Chance, eine Universitätsausbildung zu machen und Professor für Philosophie und Recht zu werden. Nach Jahrhunderten des Vergessens wird Amo jetzt erst wieder, auch in der Philosophie, im großen Stil entdeckt, nochmal gelesen und hoffentlich in den philosophischen wie sozialwissenschaftlichen Kanon zurückgeführt.

Amo kann heute die Zeit des vorkolonialen Rassismus, die er in seinen Schriften selbst kritisch kommentiert hat, anders repräsentieren und anders dokumentieren. Wir können viel von ihm lernen.


Es gab auch Widerstand im Institut für Europäische Ethnologie gegen die Umbenennung.

2006 gab es ein Projekt am Institut, dass sich mit der Straße beschäftigt hat – aber nicht mit dem Straßennamen. Damals haben sich afrodiasporische und zivilgesellschaftliche Aktivis:tinnen in die Diskussion eingebracht und zusammen mit den Studierenden die erste größere Auseinandersetzung zu dem Thema im Institut geführt. Dabei argumentierten Gegner:innen der Umbenennung, dass der Begriff „M*“ ein historisches Zitat sei aus dieser Zeit: ein Begriff also, den man daher nicht verändern dürfe. Er solle als „Stolperstein“ begriffen werden, als Denkanstoß, der Menschen bewegen kann, über Kolonialismus und Rassismus nachzudenken.

Diese Idee eines Stolperns funktioniert jedoch nur aus einer geschichtsvergessenen, weißen Perspektive; für Schwarze Menschen signalisiert der Straßenname viel eher eine ausgrenzende Barriere.

Eine andere Fraktion am Institut sah die vielen Umbenennungen von ehemals in Ost-Berlin befindlichen Straßen nach der Wende kritisch. Da ist auch was dran. Denn sehr viele Straßen mit Namen von DDR-Persönlichkeiten, wurden ohne weitere Diskussion umbenannt. Von einigen Gegener:innen wurde dann die M*-Straße quasi als eine Bastion ehemaliger DDR-Straßennamen gesehen, die es zu verteidigen galt.

Aber auch zu DDR-Zeiten sind Schwarze Menschen durch diese Straße gelaufen und haben sich einen anderen Namen gewünscht. Es kann nicht darum gehen, die eine Unterdrückungsgeschichte gegen die andere auszuspielen. Aufgrund dieser Kontroversen hat es sehr lange gedauert im Institut und viele, viele Diskussionen gebraucht, bis es dann 2020 tatsächlich so weit war, dass das Institut sich geschlossen hinter die Umbenennungsforderung gestellt hat.

Der neue Namensgeber

Anton-Wilhelm Amo in einer historischen Darstellung. (Quelle: Unbekannt)

Unbekannt

Anton Wilhelm Amo gilt in Deutschland als erster bekannter Akademiker afrikanischer Herkunft. Er studierte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Halle an der Saale und in Wittenberg, wo er 1734 auch promoviert wurde. Er wirkte dort sowie in Jena als Dozent der Philosophie. In seiner akademischen Arbeit widmete er sich unter anderem der Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa.

Nach Angaben der Uni Halle/Wittenberg unter Berufung auf einen Biografen wurde Amo um 1700 im heutigen Ghana geboren, als Kind versklavt und kam vermutlich als „menschliches Geschenk“ der Westindischen Kompanie an den Hof des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel.


Sie haben – zusammen mit anderen Initiativen – mit vielfältigen Aktionen die Umbenennung vorangetrieben. Wie geht es jetzt weiter?

as ist aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Punkt, weil wir immer gesagt haben, die Umbenennung ist eigentlich erst der Anfang. Wir haben von Anfang an mit kritischen Gruppen zusammengearbeitet, wie etwa Berlin postkolonial und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, inzwischen auch mit der Black Student Union an der Humboldt-Universität, die sich seit Black Lives Matter gegründet hat. Viele Probleme, die zu Anton Wilhelm Amos Zeiten existierten, sind bis heute relevant. Gerade heute müssen wir weiter gemeinsam für eine konviviale Zukunft unserer von Diversität und Migration geprägten Stadtgesellschaft kämpfen.

Mir gefällt gut, dass die Umbenennung am 23. August offiziell wird. Das fällt mit dem jährlichen „Amofest“ zusammen. Dieses Fest war immer dazu gedacht, Anton Wilhelm Amo mit seinem Œu­v­re wieder in die Diskussion zu bringen. In diesem Jahr ist es auch eine Bestätigung an alle beteiligten Gruppen, dass ihr jahrzehntelanger Kampf einen Erfolg verbuchen kann.

Wir verdanken Gruppen wie Decolonize Berlin sowie zahlreichen Aktivist:innen, dass wir uns wieder mehr mit diesen verdrängten Teilen einer geteilten Geschichte befassen, die auch mit uns als weißen Europäer:innen ganz stark verflochten ist und die wir unbedingt kennen müssen, um unsere eigene Geschichte zu verstehen – und zum Besseren zu verändern. Es gibt viele Lücken, die es dabei erst noch zu füllen gilt.


Vielen Dank für das Gespräch.

Sendung: Radio Eins, 22.08.2025, 7 Uhr