Über Recession Indicators und die deutsche Kreativbranche.
Es gibt einen Spruch, den Kreativschaffende gerne zur Urlaubszeit in den sozialen Medien teilen: Creative people need time to sit around and do nothing. Aber was ist, wenn man nicht freiwillig innehält, sondern eine Zwangspause einlegt, weil es derzeit einfach nicht genügend zu tun gibt?
Es geht der deutschen Kreativbranche nicht gut, das ist nun wirklich kein Geheimnis. Die Rechnung ist leicht: Wenn die Wirtschaft schwächelt, werden Investitionen in Kunst und Kultur zurückgefahren, weil diese nun einmal nicht lebensnotwendig sind. 2025 dürfte das dritte Jahr in Folge werden, in dem die deutsche Wirtschaft womöglich noch weiter schrumpft, hat die Bundeszentrale für politische Bildung jüngst bemerkt: „Deutschland steckt in der längsten wirtschaftlichen Schwächephase seit Gründung der Bundesrepublik.“
Die schlechte Auftragslage trifft alle kreativen Branchen
Die schlechte Auftragslage trifft alle kreativen Branchen – natürlich auch das Interiordesign, das in der Leiter der Luxusgüter ganz oben steht. Das abgenutzte Sofa? Macht noch ein Jahr. Die Küche? Wird doch selbst geplant. Und der Umbau des Großraumbüros? Kann geschoben werden. Ob es sich um den Umbau von Privathäusern oder um Großbauprojekte handelt: Überall wird derzeit gespart. Das liegt an einer langen Kette von Faktoren – darunter der anhaltende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der steigende Rohstoffpreise zur Folge hat und die Baubranche ins Straucheln bringt. Die Tagesschau berichtete kürzlich, dass der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie dieses Jahr erneut mit einem Umsatzrückgang von einem Prozent rechnet, im Wohnungsbau könnte sich der Einbruch auf vier Prozent belaufen.
Wenn nicht gebaut wird, gibt es für Architekt:innen, Designer:innen und Interiordesigner:innen weniger zu tun. Aufträge werden geschoben oder storniert. Das ist frustrierend. „Derzeit erleben wir auf Bauherrenseite nur Zögern und Zaudern“, schrieb mir eine Stimme aus der Branche. Einige Designer:innen erzählten mir, dass sie gerade vor allem Consulting anbieten, also ihre Kund:innen beratend dabei unterstützen, ihre Innenräume neu zu arrangieren. Das ist eine gute Idee, weil sie die Menschen wertschätzen lässt, was sie bereits zu Hause haben, und das deutsche Verständnis für Interiordesign schärfen könnte, das hierzulande oft noch Mangelware ist. Viele aber berichten von so schlechter Auftragslage, dass Kurzarbeit in Betracht gezogen oder Stellen abgebaut werden müssen – und dass die Krise sich dieses Mal viel länger zieht. Verlieh die Zeit während der Pandemie dem Produkt- und Interiordesign Auftrieb, ist gerade Flaute angesagt. Ein schwacher Silberfaden am Horizont: Dass die Schwarz-Rote Regierung 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren will, wird sich im kommenden Jahr auf die Branche auswirken, so der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.
Auf dieses Jahr blicken wohl aber nur die wenigsten deutschen Büros zufrieden. Auch junge Produktdesigner:innen haben es schwieriger, ihre Entwürfe zu platzieren, weil man sich lieber auf die großen Namen verlässt. Das kann man übrigens auch international beobachten: Ist Ihnen aufgefallen, dass fast alle großen Brands gerade mit Archivstücken arbeiten oder ausschließlich mit etablierten Designstars, von denen man sich erhofft, dass sie den Verkauf antreiben?
Recession Indicators im Produkt- und Interiordesign
In der Mode spricht man derzeit andauernd über Recession Indicators. Die Low-Rise-Jeans ist zurück? Recession Indicator. Die Nägel werden wieder kurz getragen, um kein Geld bei der Maniküre zu lassen? Ein Anzeichen der Rezession. Einiges davon mag stimmen, anderes taugt vor allem als klickstarke Überschrift, das meiste ist schlicht der humorvolle Weg einer Konsum-liebenden Gesellschaft, die steigenden Preise zu verarbeiten. Altbekannt ist der sogenannte „Lippenstift-Effekt“, der besagt, dass Verbraucher in wirtschaftlich unsicheren Zeiten eher zu günstigeren Luxusgütern greifen, also statt der Handtasche zum Lippenstift greifen, um sich weiterhin kleine Luxusfreuden zu leisten.
Lassen sich solche Indikatoren auch im Produkt- und Interiordesign finden? Wenn plötzlich wieder nur die üblichen Männer Produkte entwerfen dürfen, dann ist das kein Recession Indicator, sondern die ewige Zurückhaltung der deutschen Möbelunternehmen, junge Talente zu unterstützen.
Wir erinnern uns: Eine Rezession ist definitionsgemäß eine Konjunkturphase, in der Nachfrage und Produktion zurückgehen, Einkommen und Gewinne sinken, weniger investiert wird und die Zahl der Arbeitslosen sowie Kurzarbeiter:innen langsam steigt. Vielleicht hilft es Kreativschaffenden, die gerade kämpfen, sich auf das Wort Phase zu konzentrieren und sich vor Augen zu führen, dass die Ursache nicht die eigene Leistung, sondern die kriselnde Wirtschaft ist. Vielen Designer:innen geht es gerade ähnlich. Wenn die Welt anderer auf Social Media glänzend erscheint, lohnt es sich, die Instagram-App für ein paar Tage zu löschen – oder sie zumindest mit dem Bewusstsein zu nutzen, dass die meisten Menschen die Plattform als Portfolio verstehen und deshalb so tun, als wären sie ununterbrochen booked and busy. Die Wirtschaft verläuft in Wellen. Auf jeden Abschwung folgt ein Aufschwung. Es geht bald wieder bergauf!