Die Bilder nach den Raketeneinschlägen, die derzeit um die Welt gehen, sind nur schwer zu ertragen. Wieder einmal hat Russland für Leid in der ukrainischen Zivilbevölkerung gesorgt. Am Palmsonntag wurde eine Gedenkfeier in der Stadt Sumy bombardiert. Es gab über 30 Tote, darunter auch wieder Kinder, und viele Verletzte.
Es sind diese Bilder, es ist aber auch die Angst um die eigenen Kinder, die seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine mehrere Millionen Ukrainer zur Flucht in andere europäische Staaten bewogen haben. Ein Großteil von ihnen floh nach Polen, Tschechien und nach Deutschland. Zwei von ihnen – ein 46-jähriger angelernter Schreiner und ein 39-jähriger Polizist – verschlug es mit den jeweiligen Familien nach Balingen.
Vor dem Landgericht Hechingen muss sich ein 46-jähriger Ukrainer wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes verantworten (Foto: Landgericht)
Über einen gemeinsamen ukrainischen Bekannten lernen sich die Männer in ihrer neuen Heimat kennen. Dass sie in der Ukraine im selben Landkreis nahe Kiew gelebt haben, erfahren sie erst nach ihrer Flucht. Es ist ein reiner Zufall. Miteinander zu tun hatten sie in der Ukraine jedenfalls noch nicht. Oder vielleicht doch?
War der Polizist womöglich einer der Beamten, mit denen der jetzt in Hechingen Angeklagte es damals zu tun bekommen hatte, als er hier und da mal auffällig geworden war? Offensichtlich ausgelöst durch reichlich Alkohol- und wohl gelegentlichen Drogenkonsum.
Das zumindest konnte sich der angelernte Schreiner, der in Balingen nach seiner Ankunft schnell einen Job gefunden hatte, durchaus vorstellen. Also Hass auf Polizisten als möglicher Auslöser für den ihm vorgeworfenen Mordversuch? Die Staatsanwältin sieht es so. Der Angeklagte dagegen verneint es mit Verweis darauf, dass sein eigener Schwiegervater schließlich selbst Polizist sei.
Der Schwiegervater, dessen Tochter mit dem 46-Jährigen und den 4 gemeinsamen Kindern in Balingen lebt. Die ihm in der Vergangenheit wohl angedroht hatte, dass sie ihn verlassen könnte, wenn er nicht seinen Alkohol- und Cannabis-Konsum in den Griff bekomme.
Der Krieg gegen die Ukraine, die Flucht, der Drogenkonsum, dies alles kommt nur einen Tag nach dem Massaker in Sumy zur Sprache. Ort des Geschehens ist in diesem Fall aber nicht die Ukraine, sondern das Hechinger Landgericht. Der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer, Volker Schwarz, stellt dem Angeklagten eindringlich Fragen zur persönlichen Situation einst in der Ukraine, zur Flucht mit der Familie, aber vor allem zum Vorwurf eines versuchten Mordes. Begangen, so die Anschuldigung, in der Innenstadt von Balingen Ende November des vergangenen Jahres.
Als kinderreicher Vater habe ich 2022 bei der Ausreise aus der Ukraine an der Grenze keine Probleme gehabt.
Der des versuchten Mordes Angeklagte
Zu diesem Zeitpunkt lebte der 46-jährige Angeklagte mit seiner Ehefrau und seinen 4 Kindern bereits seit zweieinhalb Jahren in der Kreisstadt des Zollernalbkreises. „Als kinderreicher Vater habe ich 2022 bei der Ausreise aus der Ukraine an der Grenze keine Probleme gehabt.“
Ob die Flucht des Opfers, des ukrainischen Polizisten, der im Prozess als Zeuge vernommen wurde, ebenso leicht möglich war, wurde nicht näher erörtert. Er lebt mit seiner von ihm geschiedenen Frau und einer gemeinsamen Tochter nur einen Steinwurf vom Angeklagten entfernt.
Polizist wüst beleidigt
Der Polizist hat seit seiner Ankunft in Deutschland keinen Job. Und auch sonst habe er wenig soziale Kontakte, weswegen er sich auch immer wieder mit dem Angeklagten getroffen habe. Dies obwohl der vierfache Familienvater ihn, „vor allem, wenn dieser viel getrunken hatte“, häufiger als „scheiß Bulle“ bezeichnet habe. Auch andere derbe Beleidigungen seien gefallen. „Ich habe mich dann zumeist direkt nach Hause begeben“, erklärte das Opfer im Zeugenstand.
Am Tatabend hatte der Tatverdächtige das Opfer so lange mit Telefonanrufen genervt, bis sich die Männer schließlich auf ein Bier hinter dem Wohnhaus des Opfers getroffen haben. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte bereits stark alkoholisiert. Eine Messung ergab später einen Alkohol-Promille-Gehalt im Blut von 1,95.
Drohung zunächst nicht ernst genommen
Der Betrunkene wollte, so der Vorwurf, auch gar kein Bier mehr trinken, sondern den ukrainischen Polizisten und dessen Familie „abstechen“. Dies habe er bereits direkt vor dem Treffen bei einem der Telefonate verkündet. Sein Bekannter nahm diese Drohung nach eigenen Angaben erst ernst, als der Tatverdächtige im Hinterhof mit einem handelsüblichen Haushaltsmesser mit 8,5 Zentimeter langer Klinge vor ihm herumgefuchtelt habe. Mehreren unterstellten Stichattacken war der Betroffene ausgewichen, ehe er den des Angriffs Verdächtigten überwältigen und ihn schließlich bis zur Ankunft der von einer Passantin hinzugerufenen Polizei fixieren konnte.
Das Opfer wurde beim Kampf nicht verletzt, der Angreifer wohl leicht. Letzterer aber konnte sich vor Gericht nur noch rudimentär an das Geschehen erinnern. Sein Rauschzustand sei schlicht zu stark gewesen. In einer von seinem Anwalt verlesenen schriftlichen Stellungnahme und später in einer persönlichen, mündlichen Erklärung entschuldigte sich der Angeklagte beim Opfer für sein Tun und erklärte, „wie sehr ich mich dafür schäme“.
Der Prozess wird am Donnerstag, 17. April, fortgesetzt.