Herr Schimmelbusch, der faktische Ausfuhrstopp für Seltene Erden der Chinesen als Folge des Streits mit den USA hat auch die deutsche Industrie an den Rand des Kollaps gebracht. Ist die Gefahr schon gebannt?

Das ist nicht einfach, die Europäer haben darauf wenig Einfluss. Entscheidend für diese Frage sind die direkten Verhandlungen zwischen den USA und China. Dabei sind Überraschungen in jede Richtung möglich. Ich bin aber davon überzeugt, dass beide Seiten ein überragendes In­teresse daran haben, dass die Situation nicht eskaliert. Denn das würde am Ende die Weltwirtschaft destabilisieren und allen schaden.

In Europa reden jetzt viele Politiker davon, bei kritischen Rohstoffen unabhängiger von China werden zu wollen. Sie sind seit Jahrzehnten in der Rohstoffbranche aktiv. Ist das realistisch?

Für einen erfolgreichen Eintritt in kritische Rohstoffe braucht man einen langen Atem. Ich habe 1998 damit begonnen, in kritische Rohstoffe zu investieren, mit einem neu gegründeten US-Private-Equity-Fund. Wir haben dann die Aktivitäten Schritt für Schritt aus­gebaut, die Dinge konsolidiert und das Unternehmen 2007 in Amsterdam an die Börse gebracht. Das Geschäftsfeld ist farbig. Wenn man zum Beispiel Antimon kaufen will und China die Grenzen sperrt, führt der Weg über Tadschikistan. Es braucht sehr viel Zeit, um so etwas zu entwickeln. Wenn Sie erscheinen, mit viel Geld wedeln und sagen, dass sie gern mal eben Ihre Lieferketten opti­mieren wollen, wird das nicht zum Ziel führen.

Sie meinen damit wohl die Europäer. Aber die USA tun genau das und haben gerade eine Milliarde Dollar bereit­gestellt, um bei Seltenen Erden unabhängiger von China zu werden.

Ich habe nicht die Europäer an sich gemeint, ich bezog mich auf industrielle Einkäufer, die plötzlich erkennen, dass bestimmte Materialien kritisch sind, die „short“ sind und Leute losschicken, irgendwo einzukaufen.

Heinz Schimmelbusch, CEO des Metallurgiekonzerns AMG.Heinz Schimmelbusch, CEO des Metallurgiekonzerns AMG.Wonge Bergmann

Die USA arbeiten mit wirtschaftlichen Anreizen für Unternehmen einerseits und politischem Druck andererseits. Wie sollte Europa vorgehen?

Die USA haben in der Tat intelligente finanzielle Anreizsysteme entwickelt. Wir haben zum Beispiel 325 Millionen Dollar über „industrial revenue bonds“ finanziert, für die Verdoppelung unserer Vanadium-Recycling-Kapazität in Ohio. Der Staat stellt die Zinseinnahmen steu­erfrei und die Bonds werden an Ver­sicherungsgesellschaften verkauft. In un­serem Fall 30 Jahre Laufzeit, endfällig, unter fünf Prozent Zinsen. Und das belastet noch nicht einmal das Budget, da ohne das Projekt ja keine Steuern an­fallen würden. Das ist nur ein Beispiel, das Europa kopieren könnte. Deutschland hat mit der KfW in Rohstofffinanzierungen auch für Bergbauprojekte eine lange Tradition.

Warum ist das Thema so schwierig ?

Das „Kritische“ an kritischen Rohstoffen ist, dass das Angebot in wenigen Händen ist, oft weitab von Marktplätzen. Deshalb sind sie knapp und ein sensibles Thema. In den meist fernen Abbauländern müssen sie Schritt für Schritt Geschäftsbe­ziehungen aufbauen und das nötige Vertrauen schaffen für eine langjährige Zusammenarbeit. Das dauert. In Österreich sagen wir: Man muss ein Händchen dafür haben.

Nein, natürlich nicht. Es beginnt beim Know-how, der tiefen Kenntnis der Märkte, der Wertschöpfungsketten, der Umarbeitungsschritte, der Logistik, der Endkunden. Neue Spieler werden gemieden. Der Graphitproduzent in China denkt, vielleicht will der nur kaufen, um mir mit meinem Produkt Konkurrenz zu machen. Für ein Bergbauprojekt müssen Sie fünf bis zehn Jahre rechnen, ehe es wirklich am Laufen ist. Was man aber vor allem braucht, ist das Wissen um die richtige Technologie für den Abbau und die Verarbeitung. Das ist alles andere als trivial. Dieses Wissen ist genauso selten wie die Rohstoffvorkommen selbst. Oft liegt es in den Händen einer Handvoll Leute.

Das hängt vom jeweiligen Rohstoff ab. Aber generell kann man sagen, dass die Chinesen in kritischen Rohstoffen fast überall Marktführer nach Marktanteilen sind. In vielen Fällen allerdings ist die AMG der Lieferant für die Aufbereitungstechnologie, insbesondere bei metallischen Stoffen. Für hochreine Qua­litäten benötigt man Vakuumtechnologie, und die kommt vorzugsweise aus Hanau, von der ALD Vacuum Technologie GmbH. Die ALD war übrigens unsere erste Akquisition. Das D kommt von der Degussa, das L von Leybold.

Wo sind die Nischen für AMG?

Es gibt eine Vielzahl von kritischen Rohstoffen, wo unser Wissen zum Einsatz kommt. Für Lithium betreiben wir den führenden Lithiumbergbau in Brasilien. Wir sind der einzige europäische Pro­duzent mit der neuen Hydroxidraffinerie in Bitterfeld. In Portugal errichten wir die erste Produktionsstätte für Lithiumkonzentrat mit unserem Partner Lagoa. Zudem sind wir maßgeblich an den beiden großen europäischen Vorkommen beteiligt, der Savannah Lithium plc mit dem anderen portugiesischen Vor­kom­men und der Zinnwald Lithium plc mit dem Vorkommen in Sachsen. In Vanadium, das man zur Härtung von Stahl etwa für Werkzeuge oder Panzerungen braucht, sind wir der weltgrößte Recycler. Da haben wir früh investiert. Nicht in eigene Gruben, weil es am Markt keine gab, sondern in eine Technologie, um es aus den Rückständen der Ölindustrie zu gewinnen. Die Industrie bezahlt uns, damit wir deren Rückstände nehmen. Heute sind wir der einzige Vanadiumproduzent in den USA und einer von dreien außerhalb von China.

Warum ist Europa gerade auf dem Gebiet der Verarbeitung und Produktion strategischer Rohstoffe so blank?

Das liegt daran, dass die sogenannte Großindustrie daran viele Jahre lang kein wirkliches Interesse gezeigt hat. Man konnte mit höherwertigen Verar­beitungsschritten viel mehr Geld verdienen und hat sich drauf verlassen, alles, was man braucht, auf dem Weltmarkt zukaufen zu können. Jetzt haben sich die Spielregeln verändert.

Was ist die größte Herausforderung für Europa, wenn neue Produktionsketten aufgebaut werden sollen?

Wir reden hier über sehr energieintensive Prozesse, die in den Aufbereitungsanlagen stattfinden, um aus dem abgebauten Gestein Metalle von hohem Reinheitsgrad zu gewinnen. Deshalb ist eine stabile Versorgung mit Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen essenziell für die Ansiedlung von Produktionsstätten. Und da können Europa und speziell Deutschland nur schwer mit anderen Regionen wie den USA mithalten.

Sie haben mit AMG 150 Millionen Eu­ro in eine Lithiumraffinerie in Bitterfeld investiert. Warum rechnet sich ausgerechnet dieses Investment?

Weil es auf den Einzelfall ankommt. In Bitterfeld stellen wir Lithiumhydroxid von hoher Reinheit her, das an Kathoden- und Batteriehersteller vor allem in der Autoindustrie geht, die wiederum in der Region sitzen. Es geht hier um höchste Qualitätserfordernisse. Die Alternative ist, Hydroxid aus China zu importieren, woher die überwiegende Mehrheit des Materials am Weltmarkt stammt. Das kommt dann aber per Schiff, ist also wochenlang unterwegs. Irgendjemand muss das Risiko tragen. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen nach Deutschland. Das war’s zunächst dann aber auch.

In Nürnberg betreiben Sie mit der Gesellschaft für Elektrometallurgie ebenfalls eine Tochtergesellschaft für Speziallegierungen und Hochleistungsmetalle. So schlecht können die Stand­ort­bedingungen doch nicht sein.

Sind sie aber. Das Wort Elektrometallurgie deutet an, dass es sich um Strom handelt. In Nürnberg zahlen wir 18 Cent für eine Kilowattstunde Strom, in Ohio sind es sechs Cent. Diese Differenz müssen Sie erst mal erwirtschaften.

Würden Sie diese Investitionen heute noch mal tätigen?

Ja, für die 20.000-Tonnen-Raffinerie Bitterfeld würde ich mich trotzdem wieder entscheiden. Ursprünglich waren Expansionsschritte vorgesehen.

Ihre Tochtergesellschaft RW Silizium betreibt im bayerischen Pocking noch das einzige Siliziumwerk Deutschlands. Dort droht wegen der hohen Stromkosten das Aus. Wie ist der aktuelle Stand?

Silizium ist in der Herstellung das energieintensivste Metall, wir brauchen dafür 60 Megawatt im Jahr. Das rechnet sich einfach nicht in Deutschland. Wir haben sehr viel versucht, um das alles zu erhalten. Aber das interessiert anscheinend niemanden.

Die bayerische Politik ist doch offensichtlich bemüht um die Rettung des Werks und der Arbeitsplätze. Woran hakt es aus Ihrer Sicht?

Es gab früher ein angeschlossenes Kraftwerk am Inn für die Versorgung, das war eine sehr kluge Entscheidung. Dann hat der bayerische Staat das Kraftwerk an das Versorgungsunternehmen in Österreich verkauft. Im Zuge der Energiekrise durch Russlands Überfall auf die Ukraine schossen die Preise in die Höhe. Wir haben versucht, das alte Modell mit dem Inn-Kraftwerk wiederzubeleben. Der Versorger hat das abgelehnt. Er bekommt den Marktpreis – im Übrigen auch bei Stillstand. Ich soll das verstehen. Den nötigen Industriestrompreis von fünf Cent je Kilowattstunde gibt es nicht. Da haben auch alle Gespräche mit der Politik nicht geholfen. Die Energiepolitik in Deutschland ist undurchsichtig. Silizium ist das Material, aus dem Solarpanels bestehen.

Die neue Bundesregierung von Kanzler Merz hat doch einen Industriestrompreis in vergleichbarer Höhe zu den USA angekündigt. Dann könnten Sie mit RW in Deutschland weitermachen.

Da warten wir doch erst mal ab, ob das auch alles so kommt. Dann sehen wir weiter. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen. Die Kunden kaufen das Silizium jetzt in China.

Sie kritisieren in diesem Zusammenhang auch den deutschen Atomausstieg. Warum?

Weil sich Deutschland damit interna­tional isoliert. Die USA planen 200 Gigawatt an Zubau, wir haben in Deutschland 20 Gigawatt abgeschaltet. Daran sehen Sie die Größenordnungen. China hat ein ähnliches Ziel. Anlässlich der COP28 in Dubai gab es die Declaration von 20 Staaten, die Atomenergie bis 2050 zu verdreifachen. Viele euro­päische Nachbarn investieren in Atomstrom. Wir brauchen in Zukunft eine konkurrenzfähige Energiemischung aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft. Irgendwann wird man erkennen, dass es nur mit erneuerbaren Energien nicht geht. Irgendwann.

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Die Probleme etwa der Atomkraft bekommen wir gerade im Sommer von unseren Nachbarn in Frankreich vor Augen geführt, wenn die Anlagen mangels Kühlwasser abgeschaltet werden müssen. Und die Entsorgungsfrage des Atommülls ist auch nicht gelöst.

Man hat doch in Deutschland ein Gesetz gemacht, dass man ein Loch finden muss, und da kommt alles hinein . . .

Ein Loch, das sich bislang nicht finden lässt.

Genau. Es war aus meiner Sicht die Strategie der Grünen, dass es ohne das Loch für die Entsorgung auch keine Atomkraft geben darf. Diese Strategie geht bisher auf.

Wollen Sie bestreiten, dass es ein großes Problem mit dem Atommüll gibt?

Ja, denn wir haben technische Lö­sungen, und die werden immer besser. In den vergangenen sechs Jahren hat AMG an China eine Fabrik geliefert, in der Plutonium aus Rückständen zu so­genanntem MOX-Fuel verarbeitet wird. Das können Sie dann auch in den neuen Miniatomreaktoren verwenden. Einige davon sind auf MOX ausgelegt. Öko­nomisch ist das eine einfache Rechnung: Entweder vergraben Sie den Atommüll in einem Loch und lassen ihn bewachen, oder sie suchen sich eine Wieder­­aufbereitung, verarbeiten das resul­tierende Plutonium in MOX und er­zielen dafür hohe Preise. Für ein Land mit einem erheblichen Budgetproblem sollte die Antwort nicht allzu schwer fallen.

Das zweite Managerleben von „Schibu“

Mit 81 Jahren spielt Heinz Schimmelbusch unter den Vorstandsvorsitzenden börsennotierter Unternehmen in einer eigenen Liga. Zwar ist das von ihm geführte Unternehmen AMG Ciritical Materials an der Börse in Amsterdam gelistet, doch sitzt der Metallurgie-Spezialist in Wayne, Pennsylvania, wo Schimmelbusch auch seinen Wohnsitz hat – wenn der gebürtige ­Österreicher nicht gerade in Europa unterwegs ist. Auf dem Kontinent, wo er knapp 20 Jahre lang zunächst als Mitarbeiter und später als Vorstandschef für die traditionsreiche Frankfurter Metallgesellschaft (MG) aktiv war. „Schibu“, so sein Spitzname, führte die MG durch Zukäufe auf einen steilen Expansionskurs, hatte Zugang zu den Mächtigen der Politik. Noch heute spricht er von der Verlässlichkeit eines Bundeskanzlers Helmut Kohl. Öltermingeschäfte in den USA brachten die Metallgesellschaft Anfang der Neunzigerjahre aber in existenzielle Nöte, Schimmelbusch musste seinen Posten räumen. Die MG firmiert heute unter GEA Group, und Schimmelbusch hat mit der AMG sein eigenes Unternehmen aufgebaut, das rund 1,4 Milliarden Jahresumsatz aufweist und an der Börse etwa 800 Millionen Euro wert ist. AMG bedient die komplette Produktionskette für Rohstoffe, ist aber spezialisiert auf die Aufbereitungstechnologie der Metalle.

Ans Aufhören denkt Heinz Schimmelbusch nicht: Bis 2027 wurde sein Mandat im Frühjahr verlängert bei dem Unternehmen, an dem er selbst rund fünf Prozent der Anteile hält. Derzeit baut AMG zusammen mit Shell in Saudi-Arabien eine Wiederaufbereitungsanlage, um unter anderem aus alten Katalysatoren den Rohstoff Vanadium zurückzugewinnen.