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Seit Jahren pflegen AfD-Politiker Kontakte nach Belarus. Im Bundestag stellten sie zuletzt auffällig viele parlamentarische Anfragen zu dem Land. Experten und Dissidenten fürchten, dass diese Anfragen dem belarusischen Regime helfen könnten, Kritiker zu verfolgen.
Von David Hoffmann und Maria Caroline Wölfle, rbb
Fünf Jahre ist es her, da protestierten Hunderttausende Menschen in Belarus gegen Diktator Alexander Lukaschenko, ausgelöst durch die gefälschte Präsidentschaftswahl. Polizei, Geheimdienst und Spezialeinheiten schlugen die Proteste brutal nieder. Tausende Menschen wurden inhaftiert. Das belarusische Regime geht seitdem noch repressiver gegen die in weiten Teilen friedliche Opposition vor.
Die Europäische Union erkennt die Wahl von 2020 nicht an. Lukaschenko gilt auch für Deutschland nicht mehr als legitimer Präsident. Die Beziehungen zu staatlichen Stellen in Belarus sind auf ein Minimum reduziert.
Anders handhabt es die AfD. Seit Jahren pflegen Politiker der Partei Kontakte nach Belarus, reisen auch nach der manipulierten Wahl immer wieder dorthin, kritisieren im belarusischen Staatsfernsehen den Westen und werden als Wahlbeobachter präsentiert.
Im Bundestag stellten sie im vergangenen Jahr zudem auffällig viele Kleine Anfragen zur belarusischen Opposition und Zivilgesellschaft, dies allein drei Mal seit Dezember 2024, zuletzt im Juli.
Gezielte Fragen nach belarusischer Zivilgesellschaft
Interessiert ist die AfD etwa an der deutschen Stiftung EVZ – Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. Die EVZ wurde im Jahr 2000 gegründet, um Entschädigungen an NS-Opfer zu zahlen. Sie unterstützte bis vor Kurzem auch eine belarusische Nichtregierungsorganisation, die in Belarus als „extremistisch“ gilt. In Russland wurde sie in dieser Woche als „unerwünschte Organisation“ eingestuft.
Dabei saßen bis vor Kurzem Vertreter aus Belarus und Russland im Kuratorium der Stiftung. Sie hatten Einblick in sensible Projektdaten. Im März wurden sie temporär suspendiert. Als Grund nannte die EVZ in einer Stellungnahme „die Gefährdung der Verwirklichung der Stiftungszwecke, die Gefährdung für das Ansehen der Stiftung sowie die Gefahr für an Projekten der Stiftung beteiligte Personen“.
In einer Kleinen Anfrage vom Mai erkundigte sich die AfD dann unter anderem nach von der EVZ unterstützten Projekten für die Zivilgesellschaft in Belarus. Die AfD wollte beispielsweise wissen, wer Träger oder Zuwendungsempfänger war. Ist der zeitliche Zusammenhang ein Zufall? „Zufälle führen nie zu Kleinen Anfragen“, sagt Annette Schavan, Vorsitzende des Stiftungskuratoriums. „Jede Kleine Anfrage ist bewusst gestellt, bewusst formuliert und steht im Zusammenhang mit einer Agenda.“
Welche Agenda das sein könnte, vermutet Anshelika Anoschko. Sie kennt das belarusische System von innen und saß bis 2023 für Belarus im Kuratorium der EVZ. Heute lebt sie im litauischen Exil. Dass ihre Nachfolger im März aus dem Kuratorium ausgeschlossen wurden, findet sie richtig.
„Als die Belarusen aus dem EVZ-Kuratorium suspendiert wurden, haben die Machthabenden in Minsk den Zugang zu sensiblen Informationen verloren“, sagt Anoschko. „Nun versucht die belarusische Seite offenbar, solche Daten über die AfD-Anfragen zu erhalten. Ihre Formulierungen ähneln in ihrer Tonalität stark denen belarusischer Behörden.“
Negative Folgen für Regimegegner
Sehr konkret wird in den Kleinen Anfragen nach BYSOL gefragt, einer Partnerorganisation der EVZ. BYSOL ist eine Exilorganisation, die politische Gefangene und ihre Familien unterstützt. Auch hier wollte die AfD wissen, welche Projekte gefördert werden: wann, wo und mit welchen Summen. „BYSOL ist einer der größten Feinde des belarusischen Regimes. Die Organisation tut sehr viel für die demokratischen Kräfte in Belarus“, sagt Anoschko. Deshalb sei es für das Regime so wichtig, Informationen über die Menschen zu bekommen, die BYSOL unterstütze. „Wenn das Regime Zugang zu solchen Daten erhält, hat das für die Betroffenen immer negative Folgen.“
So wie Anoschko leben mittlerweile viele Belarusen im Exil in Litauen. Auch die Opposition wird aus Vilnius angeführt. Deren Vertreter sehen in den Anfragen der AfD eine klare Agenda. „In der belarusischen Gesellschaft hat sich ein ganzes Unterstützungsnetzwerk für politische Gefangene, ehemalige Gefangene und ihre Familien herausgebildet“, sagt Alexander Dabravolski. Er ist politischer Berater der belarusischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. „Wenn dann jemand versucht herauszufinden: Wen genau unterstützt man, dann geht es darum, diese Menschen und Organisationen zu de-anonymisieren. Das ist ein Versuch, diese Solidarität zu zerstören.“
Gewaltloser Widerstand
Auffällig ist die Detailtiefe der AfD-Anfragen. So wird in einer Anfrage von Dezember 2024 nach einem YouTube-Video von Malanka Media gefragt, einem belarusischen Exilmedium. Auf seinem YouTube-Kanal hatte Malanka Media zum Zeitpunkt der Anfrage rund 3.700 Videos. Der Anfragesteller, Steffen Kotré, erkundigte sich nach einem Interview mit dem belarusischen Oppositionellen Vadim Prokopjew aus dem Jahr 2021 und verwies auf die Sekunde genau auf die Stellen, in denen Prokopjew Gewalt gegen Lukaschenko nicht ausschließt.
„Diese Anfragen folgen genau dem Narrativ des Regimes, sie sollen die Proteste diskreditieren“, sagt Vytis Jurkonis. Er ist Politikwissenschaftler in Litauen und einer der führenden Belarus-Experten. Die Demonstrationen seien fast wie nach einem Handbuch des gewaltlosen Widerstands abgelaufen, so Jurkonis. „Wenn jemand Gewalt angewendet hat, dann war es das Regime, das mit Gewalt, mit Folter an den eigenen Leuten und sogar mit Totschlag reagierte.“
Auch der SPD-Abgeordnete Johannes Schraps blickt mit großer Skepsis auf die AfD-Anfragen. Schraps kennt sich aus mit Belarus, gehört der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Demokratisches Belarus an und sagt, dass solche Anfragen enorm viel Zeit und Kenntnis erfordern. „Man kann schon sehr davon ausgehen, dass der Text dieser Anfragen möglicherweise aus der belarusischen oder vielleicht sogar noch eher aus der russischen Botschaft kommt und den AfD-Abgeordneten zur Verfügung gestellt wird“, so Schraps.
Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, antwortet die AfD-Fraktion schriftlich: „Kleine Anfragen werden in der Regel in den Büros der initiierenden Abgeordneten erarbeitet.“
Anfragen im Interesse des Regimes Lukaschenko?
Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD im Bundestag, hat alle der drei Anfragen seit Dezember 2024 mitgezeichnet, wird auf einer als einziger namentlich genannt. Darauf angesprochen, warum er und die AfD sich so sehr für die belarusische Zivilgesellschaft und Opposition interessieren, weicht er aus, verweist darauf, dass das die normale Arbeit einer Oppositionspartei sei. An die Inhalte der Anfragen will er sich nicht mehr erinnern, auch nicht an jene, die er selbst initiiert hat.
Eine Mitwirkung russischer oder belarusischer Akteure schließt er auf Kontraste-Nachfrage aber aus: „Ich kann darüber nur lachen“, sagt Kotré, „Die AfD ist angetreten, völlig autark, völlig autonom.“ Sie arbeite unabhängig und lasse sich nicht beeinflussen.
Die Bundesregierung antwortete indes zurückhaltend auf die konkreten Anfragen und verwies auf den Schutz der belarusischen Nichtregierungsorganisationen und ehemaliger politischer Gefangener sowie teilweise auch auf das deutsche Staatswohl.