Urteil: Körperverletzung mit Todesfolge

Berliner Narkosearzt soll nach Tod von Patientin für gut drei Jahre ins Gefängnis

Eine Patientin wird mit einer Narkose auf eine Operation vorbereitet (Bild: dpa)

dpa

Audio: Antenne Brandenburg | 22.08.2025 | Nachrichten | Bild: dpa

Ein heute 78-Jähriger Anästhesist ist vom Berliner Landgericht zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Er habe bei einer 59-jährigen Patientin, für deren Narkose er zuständig war, leichtfertig Standards verletzt. Die Frau starb.

Rund fünfeinhalb Jahre nach dem Tod einer 59-jährigen Patientin ist ein Narkosearzt in Berlin zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Landgericht Berlin sprach ihn der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Zudem soll der 78-Jährige nicht mehr als Anästhesist tätig sein können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.


Richterin atttestiert „maßlose Selbstüberschätzung“

Dem Mediziner mit deutscher und bulgarischer Staatsangehörigkeit sind nach Überzeugung der Richter mehrere Versäumnisse anzulasten. Er habe „leichtfertig“ mehrere Standards verletzt, sagte Richterin Eva Raidt. Unter anderem sei die Patientin nicht über die Risiken einer Vollnarkose und mögliche Alternativen aufgeklärt worden.

Er habe „ganz, ganz grobe Behandlungsfehler“ begangen und mit einer „an Vorsatz grenzenden Fahrlässigkeit“ gehandelt, so die Richterin. Der 78-Jährige habe in dem Glauben gehandelt, es werde schon gut gehen. Für das Gericht ist dies ein „Ausdruck einer maßlosen Selbstüberschätzung“.

Der bislang unbescholtene Arzt hatte vor Gericht gesagt, er habe große Schuldgefühle. Er ist nach eigenen Angaben heute als Anästhesist bei Schönheits-Operationen tätig. „Dazu sind sie unseres
Erachtens nicht mehr geeignet“, so die Richterin.


Patientin verstarb Monate nach Eingriff

Die Patientin war im April 2020 infolge eines Eingriffs wegen eines Rückenleidens im Januar desselben Jahres gestorben. Der behandelnde Orthopäde hatte den jetzt verurteilten Anästhesisten hinzugezogen, um die Frau in Vollnarkose zu versetzen. Die Frau habe dabei einen Atem- und Herzstillstand erlitten, der dem Arzt nicht sofort aufgefallen sei. Minutenlang sei sie ohne Sauerstoffversorgung geblieben. Es kam daraufhin laut Ermittlungen zu einem schweren Hirnschaden und die Patientin fiel in ein Wachkoma – letztlich, so die Anklage, verursacht durch die vorgeworfenen gravierenden Behandlungsfehler des Anästhesisten.

Eine in der Arztpraxis versuchte Reanimation sei erfolglos geblieben. Die 59 Jahre alte Mutter fiel ins Wachkoma und erwachte bis zu ihrem Tod aufgrund einer Lungenentzündung nicht mehr.

Bevor es überhaupt zu dem Eingriff kam, hatte der Arzt nach Überzeugung des Gerichts die Patientin nicht über die Risiken einer Vollnarkose und mögliche Alternativen aufgeklärt. Er habe sie auch nicht nach Größe und Gewicht gefragt. Schließlich habe er ohne Überwachung sediert und die Notfallsituation und deren Ernsthaftigkeit nicht erkannt.


Verteidigung hatte Freispruch beantragt

Erst gut fünf Jahre später kam der Mediziner vor Gericht. Laut Richterin Raidt ist dies vor allem auf eine Überlastung der Justiz zurückzuführen. Die lange Verfahrensdauer habe das Gericht bei seinem Urteil berücksichtigt. Die Strafe bewege sich am alleruntersten Rand, so Raidt. Bis zu 15 Jahre Haft sind nach dem Gesetz möglich.

Mit seinem Urteil blieb das Gericht etwas unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese hatte eine Strafe von drei Jahren und neun Monaten gefordert. Die Verteidigung hatte einen Freispruch beantragt. Das genaue Geschehen sei nicht aufzuklären, erklärte sie.


Tochter der Patientin hilft bei Rekonstruktion des Geschehens

Seit Anfang Mai versuchte das Gericht zu rekonstruieren, was sich seinerzeit bei der Behandlung abgespielt hat. Dabei spielten die Aussagen der Tochter der Patientin eine große Rolle. Sie hatte in den Praxisräumen während des Eingriffs gewartet – und hörte plötzlich ein Japsen, wie es Richterin Raidt bei der Urteilsbegründung beschrieb. Die Tochter habe durchs Schlüsselloch geschaut und gehört, wie der Arzt rief: „Jetzt nicht, jetzt nicht. Komm zurück.“

Der Anästhesist setzte schließlich laut Urteil einen Notruf ab. Die dramatischen Ereignisse verschwieg er nach Überzeugung des Gerichts jedoch. Die Notärztin sei nicht umfassend und wahrheitsgemäß über den Verlauf der Behandlung informiert worden. Auch später habe er auf
Nachfragen unwahre Angaben gemacht. Eine Klinikärztin erstattete seinerzeit Anzeige, weil im Krankenhaus ein Reanimationsgeschehen zunächst unbekannt gewesen war.

Sendung: Antenne Brandenburg, 22.08.2025, 11:30 Uhr