Stand: 22.08.2025 13:11 Uhr
Am Sonntag kehrt der HSV auf die Bundesliga-Bühne zurück. Vor dem Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach gibt es bei den Hamburgern große Vorfreude – und weiterhin viele Fragen, ob sie für die Beletage gewappnet sind.
Auf Zweifel hat Merlin Polzin so gar keinen Bock. „Ich kann es kaum erwarten, dass es los geht“, sagte der Trainer des HSV vor dem heiß ersehnten Neustart in der Bundesliga in Mönchengladbach am Sonntag (17.30 Uhr, im NDR Livecenter): „Wir haben alles dafür gegeben, dort zu sein und wollen den Moment auch genießen.“
2.661 lange Tage haben sie auf diesen Augenblick gewartet, der Club und seine Fans. 380 Wochen, in denen der einstige Bundesliga-Dino in den Niederungen der Zweitklassigkeit umherirrte.
Ist das Polzin-Team reif?
Ein wenig Rückblick gab es unter der Woche nochmal, als Polzin und Co. in einem Kino am Hamburger Dammtor durch die Doku „Always Hamburg“ in die vergangenen anderthalb Jahre mit allen Aufs und Abs eintauchten – und die neuen Spieler des zurückgekehrten Erstligisten eine Ahnung von der Wucht des Vereins erhielten, für den sie jetzt spielen. Für alle war es: noch einmal Gänsehaut spüren, noch einmal die Euphorie erleben, noch einmal emotionale Ausnahmezustände aushalten.
Die Gegenwart ist rund um das Volksparkstadion weitaus ernüchternder. Denn vor der Rückkehr in die Beletage im Borussia-Park stellt sich die Frage: Reicht das für den Hamburger SV?
Der Bundesliga-Aufsteiger hat seinen Kader stark umgebaut und gleichzeitig das System umgestellt. Der Plan ist nachvollziehbar, doch er ist riskant.
Ein anderer HSV kommt zurück in die Bundesliga
Klar ist: Der Aufsteiger HSV ist anders als der Absteiger HSV. Der erstmalige Absturz ins Unterhaus 2018 war eine logische Konsequenz aus einer Fülle an falschen Entscheidungen, Überschätzung und Eitelkeiten.
Der HSV 2025 kommt anders daher. In sieben Jahren Zweitklassigkeit hat sich der Verein wirtschaftlich konsolidiert, die Zahl der Mitglieder ist von etwa 80.000 auf 130.000 gestiegen, das Stadion ist mit 57.000 Zuschauern zumeist ausverkauft und dennoch herrscht sportlicher Realismus. Hat der Verein Demut gelernt? Zumindest gibt sich keiner der Verantwortlichen der Illusion hin, dass es in dieser Saison um mehr als den Klassenverbleib geht. Daher betreiben Cheftrainer Polzin und Sportvorstand Stefan Kuntz bei den Fans bereits Frust-Prophylaxe.
„Wir gehen diesen Schritt aus voller Überzeugung“, erklärte Sportvorstand Stefan Kuntz. Der 34-Jährige hatte die Hamburger zurück in die Bundesliga geführt.
„Gekommen, um zu bleiben“ – aber wie?
„Der HSV kommt, um zu bleiben“, hatte Kuntz zu Beginn der Vorbereitung Anfang Juli zwar gesagt – wohl wissend allerdings, wie schwer das wird. Dass es sogar sehr schwer für den HSV werden könnte, zeigte sich in den darauffolgenden Wochen.
Spätestens der Blick auf die Testspielbilanz mit fünf Niederlagen bei 2:14 Toren gegen hochklassige Gegner und das mühevolle 2:1 nach Verlängerung beim Oberligisten FK Pirmasens im DFB-Pokal dürfte auch den größten Träumer in der HSV-Fangemeinde zurück in die Wirklichkeit geholt haben. Polzin nannte die Vorbereitung „sehr lehrreich“, gestand aber auch ein: „Wir wissen, dass wir in der Vorbereitung leiden mussten.“
Ein Szenario, das ihnen in der Bundesliga – und auch schon in Mönchengladbach – häufiger begegnen wird, wenn Form- und Lernkurve nicht zügig nach oben zeigen. Nach der dürftigen Vorstellung gegen den FKP zeigte sich Polzin diesbezüglich aber optimistisch: „Wir nehmen extrem viel mit. Dinge, aus denen wir lernen.“
Der Bundesliga-Aufsteiger steht trotz einer über weite Strecken desolaten Leistung beim Oberligisten in der zweiten Runde des DFB-Pokals. Die vielen Fragezeichen bleiben.
Neues Spielsystem, neue Spieler
In der Analyse nach der Saison hatten er und sein Trainer-Team erkannt, mit der Spielweise in der 2. Liga in der Bundesliga kaum eine Chance zu haben. Daraus folgte ein Wechsel des Spielsystems und ein Kaderumbruch, der eher einer Entkernung des Aufstiegs-Aufgebots gleicht. Zahlreiche Helden sind weg – einige freiwillig, einige unfreiwillig, einige sollen noch gehen. Andere spielen nur noch eine kleine Rolle im Polzin-System.
So zog es Ludovit Reis zum Club Brügge. 22-Tore-Mann Davie Selke wechselte zu Basaksehir FK nach Istanbul. Der ausgeliehene Mittelfeldspieler Adam Karabec spielt jetzt bei Olympique Lyon. Mittelstürmer Ransford Königsdörffer wollte weg, musste aber die Enttäuschung über den geplatzten Transfer zu OGC Nizza verdauen.
Sein lange Zeit gesetzter Sturm-Kollege Robert Glatzel wird voraussichtlich weniger Spielanteile bekommen. Bakery Jatta – einziger verbliebender HSV-Spieler aus der Abstiegssaison – hat kaum Chancen auf Bundesliga-Minuten und soll wie Verteidiger Silvan Hefti gehen. Der langjährige Kapitän Sebastian Schonlau hatte schon in der Aufstiegssaison seinen Stammplatz verloren und für die Bundesliga-Saison in Polzins Plan keinen Platz mehr. Der 31-Jährige wechselte zu den Vancouver Whitecaps mit Weltmeister Thomas Müller.
Vancouver statt Hamburg: Der langjährige Abwehrchef verlässt den Bundesliga-Aufsteiger und wechselt zu den Vancouver Whitecaps in die MLS.
HSV-Gerüst vor dem Start in Gladbach noch unklar
Zu den wenigen Aufstiegshelden mit Stammplatz-Aussichten zählen Außenverteidiger Miro Muheim, Abwehr-Partner Daniel Elfadli, Jonas Meffert im defensiven Mittelfeld und Außenstürmer Jean-Luc Dompé. Ein Gerüst, wie es das Team in der Aufstiegssaison hatte, gibt es vor dem ersten Ligaspiel (noch) nicht.
Den Abgängen stehen Zugänge wie Leipzigs Stürmer Yussuf Poulsen gegenüber, der gleich zum Kapitän bestimmt wurde, aber noch nicht fit ist. Oder Verteidiger Jordan Torunarigha (KAA Gent), der weniger durch Leistung als viel mehr durch die Rote Karte im Test auf Mallorca auffiel.
Neuzugänge müssen sich noch zurechtfinden
Offensivspieler Rayan Philippe (Eintracht Braunschweig) muss sich noch zurechtfinden, Nicolas Capaldo (RB Salzburg) soll im defensiven Mittelfeld für Ordnung sorgen. Der von Bayern München ausgeliehene Daniel Peretz befeuert den Konkurrenzkampf mit Aufstiegs-Torwart Daniel Heuer Fernandes um den Platz im Tor. Dazu kommen die ausgeliehenen Verteidiger Warmed Omari (Stade Rennes) und Giorgi Gocholeishvili (Schachtjor Donezk).
„Es wird ein Prozess, der wird viel Geduld brauchen. Der ist jetzt auch nächste Woche nicht beendet, sondern das wird noch eine Weile gehen.“
HSV-Sportvorstand Stefan Kuntz
Sie alle scheinen noch nicht in der Hansestadt angekommen zu sein. Zumal die Umbauarbeiten andauern. Ein Verteidiger und ein kreativer Mittelfeldspieler werden noch gesucht. Waren es zu viele Maßnahmen für das Projekt Klassenverbleib? „Es wird auch noch ein bisschen dauern, bis alles ineinander greift“, hatte Kuntz nach dem Spiel in Pirmasens gesagt.
Den vielen Fragezeichen setzt der Trainer vor allem einen Trumpf entgegen: die gute alte Aufstiegseuphorie. „Die Freude über das, was wir erreicht haben, die spielt auch für Sonntag eine ganz zentrale Rolle.“ Die „Wundertüte“ HSV ist zurück – irgendwo zwischen großer Vorfreude und vielen offenen Fragen. Erste Antworten gibt es in Gladbach.
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