Frankfurter sind einiges gewohnt. Ein Bahnhofsviertel etwa, das noch immer geprägt ist von Elend und Verwahrlosung, weil die Stadtregierung einen konsequenten Kurs in der Drogenpolitik vermissen lässt. Oder das Protestcamp linker bis linksradikaler Gruppierungen mit dem Namen „System Change“, das derzeit mit Billigung der Stadt für ganze zwei Wochen im Grüneburgpark seine Zelte aufgeschlagen hat und von dort aus antikapitalistische Botschaften verbreitet.
Und dann gibt es die Hausbesetzungen. Jahr für Jahr werden neue städtische Liegenschaften besetzt. Die zuständige Baudezernentin Sylvia Weber (SPD) fand das bisher offenbar nicht schlimm. Strafanträge? Stellte sie entweder nicht oder zog sie, wenn Mitarbeiter ihres Amtes für Bau und Immobilien diesen Weg einschlugen, wieder zurück. Die Argumentation, die dahintersteht, war stets folgende: Sollen sich doch lieber – in allen Fällen – linke Aktivisten die Immobilien „aneignen“. Besser so, als dass sie leer stünden.
Doch genau diese Haltung ist fatal. Was bleibt, ist das Bild einer Stadt, die sich weit entfernt zu haben scheint von den Menschen, die in ihr leben. Eine Stadt, in der es mit Billigung des Magistrats rechtsfreie Räume gibt. Wie in vielen Großstädten in Deutschland ist auch in Frankfurt der Wohnraum knapp. Einige Familien suchen jahrelang eine passende Wohnung, die zumal bezahlbar ist. Andere finden sie nie. Und zugleich hat die Stadt Frankfurt Immobilien in ihrem Bestand, die sie vor vielen Jahren einmal über Vorkaufsrechte erworben hat, dann aber nie sanierte und dem freien Markt wieder zur Verfügung stellte. Die Immobilien, so kann man sagen, rotteten vor sich hin. Bis die Besetzer kamen. Sie hatten offenbar gute Kenntnisse, wo sich diese Immobilien befinden und wann sie am besten zu besetzen sind.
Regelung ist ein Vertrauensentzug
Denn auch, wenn die Stadt Frankfurt nun eine Kehrtwende vollzieht und ihre Liegenschaftspolitik neu ausrichtet, wie sie es nennt, indem zumindest die leer stehenden städtischen Immobilien künftig nicht mehr vom Amt für Bau und Immobilien verwaltet werden, sondern von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG, bleiben Fragen, die dringend geklärt werden müssen. So muss die Rolle der für die Liegenschaften zuständigen Dezernentin Sylvia Weber hinterfragt werden.
Auch wenn die Neubeordnung der Liegenschaftspolitik nach außen kommuniziert wurde wie eine „einvernehmliche Regelung“, so ist sie es nicht. Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) hat seiner Dezernentin vielmehr die Hausmacht darüber genommen, wie mit leer stehenden Immobilien, und somit auch mit möglichen weiteren Besetzungen, künftig verfahren wird. Man könnte daraus auch schließen, Josef habe ihr das Vertrauen entzogen.
Sitzen im Frankfurter Magistrat nebeneinander, sind sich beim Thema Hausbesetzungen aber uneins: Sylvia Weber und Mike Josef (beide SPD)Frank Röth
Tatsächlich hat Sylvia Weber nie abgestritten, ein „großes Herz“ für Hausbesetzer zu haben. In einem Interview, das sie im Februar 2024 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegeben hat, spricht sie wie selbstverständlich darüber, dass sie Verständnis habe für die Besetzung der städtischen Immobilie an der Jordanstraße. Deshalb habe sie einen Überlassungsvertrag erarbeitet. Dieser gelte für eine Zwischennutzung als Stadtteilcafé, „bis das Haus privatisiert werden muss“. Für den Stadtteil sei das „eine gute Sache“. Sie sei Humanistin.
Es gehe ihr „grundsätzlich darum, dass es in dieser Stadt kaum Freiräume gibt, wo man mit wenig Geld und Eigeninitiative etwas machen kann“. Es gebe keine Flächen und keine Wohnungen, die günstig zu haben seien. „Auf diese Probleme machen die Initiativen aufmerksam.“ Das liest sich wie eine Rechtfertigung zum Rechtsbruch. Und niemand im gesamten Magistrat der Stadt Frankfurt widersprach.
Woher haben die Besetzer ihr Wissen über Immobilien?
Was sich allerdings viele fragen: Woher haben die „Initiativen“, die die Liegenschaften besetzen, ihre Informationen über die Immobilien? Einige Stadtverordnete, vor allem aus der Opposition, vermuten, dass es auch kein Zufall sei, wann ein Haus besetzt werde – zumal dann, wenn es keinen konkreten Anlass gibt. Bei der jüngsten Aktion an der Lahnstraße im Frankfurter Stadtteil Gallus war das Datum günstig gewählt. Denn außer Baudezernentin Sylvia Weber war niemand da, der Strafantrag hätte stellen können. Und sie tat es nicht.
Die Amtsleiterin des Amtes für Bau und Immobilien war gerade in den Ruhestand gegangen. Die stellvertretende Amtsleitung ist noch unbesetzt. Blieb noch die Fachbereichsleiterin, die bei der Besetzung der Jordanstraße damals den Strafantrag gestellt hatte – aber die war im Urlaub. Kurz nach der Besetzung teilte Weber der Polizei mit, sie werde keinen Strafantrag stellen. Damit sei auch eine Räumung unerwünscht.
Auch besetzt: ehemaliges Restaurant im Stadtteil BockenheimAnton Vester
Ein Jahr zuvor, bei der Besetzung der Jordanstraße, hatte die Dezernentin im Nachhinein reagiert. Dort war am 27. November 2023 durch die Fachbereichsleiterin im Amt für Bau und Immobilien bereits der Strafantrag gestellt worden. Einen Tag später nahm Sylvia Weber den Strafantrag wieder zurück. Für eine Räumung, argumentierte sie, sehe sie keine Notwendigkeit.
Haus In der Au ist seit 1983 besetzt
Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt nun mit der Neuausrichtung ihrer Liegenschaftspolitik das Thema Leerstand von städtischen Immobilien im Großen angehen wird. Denn den Leerstand zu verwalten und damit immer neue Besetzer anzulocken – das ist nicht erst so, seitdem die Koalition aus Grünen, SPD und Volt (bis vor Kurzem auch noch der FDP) im Römer besteht. Das war auch schon unter Schwarz-Grün in Frankfurt der Fall.
Doch auch die Neuregelung allein wird nicht alle Probleme lösen. Die Stadt wird auf lange Sicht nicht umhinkommen, sich in der Tiefe mit dem Thema Hausbesetzungen zu befassen. Dazu gehört auch die Frage, wie man langfristig mit dem seit 1983 besetzten Haus An der Au verfahren will. Ein Zustand, den die CDU in Frankfurt immer wieder aufgreift – doch auch in ihrer Regierungsverantwortung hat sie nichts unternommen, um den einstigen Rechtsbruch anzugehen. Die Besetzung der Au gilt in Frankfurt inzwischen als „Normalzustand“ – während überall Wohnungen fehlen und hart darum gerungen wird, wo überhaupt noch gebaut werden kann. Das gilt im Übrigen nicht nur für Wohnungen, sondern auch für Schulen.
Ob die Besetzung an der Lahnstraße wirklich die Wende herbeigeführt hat, bleibt abzuwarten. Zum einen hat die Stadt nun vor allem auf den medialen, politischen und gesellschaftlichen Druck reagiert, der nicht zuletzt auch dadurch größer wurde, weil sich unter die linksradikalen Aktivisten auch propalästinensische Demonstranten gemischt haben, die nicht nur Israel einen Genozid in Gaza unterstellen, sondern auch dem deutschen Staat.
Zum anderen reicht es oft nicht aus, lediglich Strukturen zu verändern. Solange die politisch Verantwortlichen Rechtsbrüche tolerieren oder sogar legitimieren, wird keine tatsächliche Änderung herbeizuführen sein. Die Entscheidung, bei Hausbesetzungen keinen Strafantrag zu stellen, hat Sylvia Weber getroffen. Aber innerhalb der Koalition wurde das stillschweigend hingenommen. Es war den Beteiligten keine Diskussionen wert.
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