Gelsenkirchen. Über drei Stunden dauert der Auftritt von Star-Kabarettist Torsten Sträter im Gelsenkirchener Amphitheater. Ein wahrer Meister des Abschweifens.

Seine Hirnwindungen scheinen ein Labyrinth aus Ulk und Absurditäten zu sein. Und darin verläuft sich Torsten Sträter ebenso oft wie gern. Dann erzählt er drauf los. Kommt von Hölzchen auf Stöckchen. Und beömmelt sich permanent über sich selbst. Irgendwann findet der Meister des Abschweifens dann aber doch noch zurück auf den ursprünglich eingeschlagenen Pointen-Pfad. Nur dauert das alles ein bisschen länger. Kein Wunder also, dass Sträter bei seinem umjubelten Auftritt am Freitagabend in Gelsenkirchen das Amphitheater in Grund und Boden plauderte. Und über drei Stunden die Massen amüsierte.

Jeder Nachzügler wird mit einem spöttischen Spruch begrüßt

Torsten Sträter scheint ein penibler Mensch zu sein. Denn als er es sich auf der Bühne, die mit Barhocker und einem Stehtisch äußerst karg bestückt wirkt, gerade bequem gemacht hat und loslegen will, da tröpfeln nach und nach immer weitere Nachzügler ein. Manche von ihnen gehen gemäßigten Schrittes die mächtigen Steinstufen in Richtung Innenraum hinab. Andere suchen dort unten noch vergeblich nach der richtigen Sitzreihe. Der Gastgeber des Abends heißt jeden einzelnen dieser Spätankömmlinge persönlich willkommen. Und serviert den passenden Spruch dazu. So witzig und treffsicher verhöhnt nur ein wahren Spontaneitäts-Ass.

Torsten Sträter lockte am Freitagabend rund 4000 Besucher in das ausverkaufte Amphitheater in Gelsenkirchen.

Torsten Sträter lockte am Freitagabend rund 4000 Besucher in das ausverkaufte Amphitheater in Gelsenkirchen.
© FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Zehn Minuten dauert es, bis dann auch der Allerletzte Platz genommen hat und Sträter endlich mit seinem Programm starten mag. Unruhe und Bewegungen auf den Rängen in seinem Blickfeld sind offensichtlich das Kryptonit für diesen Bühnen-Superman. Jetzt sind aber alle still. Hören ihm zu. Und richten ihre volle Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihn – den Mann mit der Strickmütze, der natürlich ganz in Schwarz gewandet das Scheinwerferlicht betritt.

Gelsenkirchen in einer Reihe mit Rom und Athen

Und nach der leicht verzögerten Auftaktphase sprudelt es nun nur so aus Sträter heraus. Wenn man das Wort Amphitheater höre, dann würde auch jedem halbwegs Gebildeten natürlich nur Athen, Rom und Gelsenkirchen in den Sinn kommen können. Wie schön und stilsicher, wenn die Ausrichterstadt gleich das Ziel der ersten Ladung Spott wird. Danach verrät der Bartträger, dass er Fans nur höchst ungern Autogramme gibt und als bleibende Erinnerung lieber seine dampfende Hand auf deren Schultern legt. Ist das nun ein konzipierter Gag? Oder ein Gedankenfluss, der da soeben aus seiner ständig sprudelnden Unfug-Quelle im Hirn hinaus ins Freie fließt? Beides scheint möglich.

Beömmelt sich oft über sich selbst: Torsten Sträter, der Meister des Abschweifens.

Beömmelt sich oft über sich selbst: Torsten Sträter, der Meister des Abschweifens.
© FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Was Sträter als leibhaftigem Waltroper und bekennendem Ruhrpott-Mensch aber definitiv gefällt, ist die Tatsache, dass er hier so sprechen kann wie Zuhause – und ihn trotzdem alle verstehen. Für Sätze wie „Hömma, riechst du dat nich?!?“ würde das Publikum in vielen anderen Teilen der Republik ganz sicher einen Dolmetscher benötigen. In Gelsenkirchen schlägt es sich einfach nur vor Lachen auf die Schenkel.

Im ersten Programm-Teil setzt Sträter auf den Nostalgie-Faktor

Im ersten Teil des Programms „Mach mal das große Licht an“ setzt der beliebte TV-Kabarettist zudem gekonnt auf den Nostalgie-Faktor, lässt viele Schlüsselbegriffe aus den 70er und 80er Jahren fallen – etwa „Das Haus am Eaton Place“, den Hustelinchen-Bären, „Die drei ???“ oder „Der Doktor und das liebe Vieh“. Viele der 4000 Besucherinnen und Besucher im restlos ausverkauften Halbrund am Ufer des Rhein-Herne-Kanals seufzen schon allein beim Hören dieser Begriffe vor sich hin – und lachen sich anschließend scheckig über die bevorzugte Behandlungsmethode erkrankter Kühe durch Doc Herriot, die Sträter in schillerndsten Farben nachzeichnet.

Es wird jedem Zuhörenden im Laufe dieses recht kühlen Sommerabends aber auch schnell klar, welch einflussreiche Rolle seine Familie in Sträters bald 59-jährigem Leben gespielt hat. Und welch ambivalentes Verhältnis er zu dieser pflegt. Immer wieder kommt seine vor zwölf Jahren verstorbene Mutter zur Sprache. Oft als tragendes Element des nächsten Dönekens, das er zum Besten gibt. Doch zwischen den urkomischen Schilderungen ist zu spüren, dass er sie bis heute zu vermissen scheint. Vielleicht ist der Humor eine für ihn bestens funktionierende Form der Trauerverarbeitung.

Erinnerungen an die Gelsenkirchener Disco „Fledermaus“

Im zweiten Teil nach der 25-minütigen Pause gesteht Sträter, dass er früher oft in Gelsenkirchen abends eingekehrt sei. Und zwar in der „Fledermaus“. Schon beim Erwähnen dieses Namens gibt‘s Szenenapplaus von den in reichlicher Zahl anwesenden Lokalpatrioten. Diese Disco sei ein Etablissement gewesen, so Sträter, in der man sich „damals problemlos einen barrierefreien Tripper einfangen konnte“. Und diese Pointe zündet dann natürlich auch bei allen Nicht-Gelsenkirchenern.

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Bei seiner Abschluss-Geschichte, die er lesend vorträgt, geschieht dann sogar noch etwas Nicht-Alltägliches: Sträter streift sich seine schwarze Strickmütze vom Haupt. Und als so seine frisch polierte Glatze zum Vorschein kommt, stellt er lapidar fest: „Meine Haare wachsen nach innen.“ Wenn dem so ist, dann hat sein Labyrinth des Unfugs in seinen Hirnwindungen ganz sicher eine Dauerwelle…