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US-Regierung verlangt Nachschlag für ihr Premium-Produkt F-35, und die Schweizer suchen verzweifelt ihren Ausweg. Braucht Sie den Kampfjet wirklich?
Bern – „Die Schweiz braucht den F-35 – aber auch eine mutigere Sicherheitspolitik“, schreibt Georg Häsler. Der Autor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ist selbst Soldat. Vom Luftwaffenchef der Schweiz bekommt der schreibende Oberst jetzt Contra: Peter Merz hält den Kampfjet F-35 für verzicht- beziehungsweise verschiebbar, wie ihn jetzt der Schweizer Blick zitiert. Damit konsterniert Divisionär (General) Merz die Schweizer Politik im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Pikant daran: Die F-35 steht international in der Kritik, selbst in den USA; daneben haben sich die Eidgenossen jüngst mit Donald Trump erzürnt, und zu allem Überfluss: Der Schweizer Luftwaffen-Kommandeur tritt seinen Politikern auf die Füße kurz bevor er sein Kommando abgibt und in die Privatwirtschaft wechselt.
F-35-Deal: Schweiz spürt die zügige Rüstung von Russland und China im Nacken
Dass der jetzige Kauf der F-35A „alternativlos“ für die Schweizer Luftverteidigung sei, bestreitet Merz; das berichtet der Schweizer Blick: In einer ausserordentlichen Sitzung der Sicherheitskommission des Schweizer Nationalrats bereits im Juli soll er eingeräumt haben, dass die Nutzungsdauer der jetzt im Dienst stehenden F/A-18 „problemlos“ nochmals um ein paar Jahre zu verlängern wäre, schreibt Daniel Ballmer. Der Blick-Autor verweist auf verschiedene Nato-Partner, die ob des ungehobelten Auftretens Donald Trumps gegenüber seinen Kunden Zweifel an der Maschine zu äußern beginnen; vor allem in Deutschland war die Debatte aufgekommen, ob die USA mithilfe eines „Kill Switch“ bestimmte Funktionen des Kampfjets abschalten könnten und die Maschine letztendlich an Kampfwert einbüße.
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Eines der schlagenden Argumente im Rahmen der westlichen Verteidigungsallianz war gewesen, dass die Maschine atomare Waffen tragen kann, und die Nato ihre Interoperabilität im Rahmen der nuklearen Teilhabe erweitern würde. Inzwischen sitzen den Europäern und deren asiatischen Verbündeten die zügige Rüstung von Russland und China im Nacken – was die Zweifler in Europa aber nicht verstummen lässt: 2022 hat die neutrale Schweiz 36 Kampfflugzeuge des Typs F-35A bestellt. In einer vom Schweizer Sender Swissinfo zuletzt online gestellten Umfrage unter fast 2.000 Lesern votierten zwei Drittel – 72 Prozent – dafür, auf die F-35 zu verzichten. Die Argumente der Abstimmenden ähneln denen der zweifelnden Parlamentarier, wie beispielsweise Leser „Henry Tom“ schreibt – er hält für einen alten Fehler, kein Flugzeug der EU zu wählen.
„Bei der Luftwaffe arbeiten wir seit 50 Jahren erfolgreich mit den USA zusammen. Bisher gab es nie Probleme. Jetzt soll plötzlich alles anders sein, nur weil der Präsident gewechselt hat?“
„Wenn die Schweiz bereits bilateral mit der EU verhandelt, um strategisch besser zu punkten, sollte sie kein Flugzeug der USA wählen. Angesichts der unsicheren globalen Lage sollte sich Europa auf seine eigene Energiepolitik, eine einheitliche Wirtschaftsmacht und eine eigene, harmonisierte, schlagkräftige Armee konzentrieren – nicht mehr auf kleine Armeen von 27 Staaten.“ Der Deal war in der Schweiz aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten willkommen geheißen worden: Die 36 Maschinen sollten zum Festpreis von sechs Milliarden Franken (etwas über sechs Milliarden Euro) gekauft werden; „rechtlich wasserdicht“ soll die Summe gewesen sein, wie die NZZ im Juni berichtet hat. Inzwischen soll Lockheed-Martin aber einen Aufschlag verlangen.
USA verlangen Nachschlag für F-35: Vermutet wird eine Teuerung um mehr als eine Milliarde Franken
Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) berichtet hat, „verlangt der Hersteller mit Verweis auf die Teuerung und gestiegene Materialkosten einen markant höheren Preis“, hat die NZZ wiedergeben. Der Vertrag ist direkt mit der Regierung unter Donald Trump geschlossen. Vermutet wird eine Teuerung um mehr als eine Milliarde Franken. Laut dem Blick wäre das Summe, für die die bisher genutzten McDonnell Douglas F/A-18 nochmals rund 1.000 Flugstunden zusätzlich absolvieren könnten, wie das Magazin aus der Nationalratskommission, also einer entsprechenden Arbeitsgruppe zum Thema, erfahren haben will. Die rechnete daraufhin mit einer Nutzungsdauer der bisherigen Maschinen bis möglicherweise sogar 2037. „Damit hätte man mehr als genug Zeit, eine europäische Alternative zu prüfen“, zitiert Daniel Ballmer ein Kommissionsmitglied.
Der Blick offenbart das alltägliche Dilemma politischer Entscheidungen: die fehlende fachliche Expertise derjenigen, die die Entscheidungen zu verantworten haben. Ballmer zitiert eine Sicherheitspolitikerin, die sich darüber ärgert, dass aus dem Bundesrat die Entscheidung pro F-35 als zwingend verkauft und der Himmel über der Schweiz von 2032 an als sperrangelweit offen dargestellt würde. „Es regt mich auf, wenn der Bundesrat behauptet, die F-35 sei alternativlos. Und dann müssen wir feststellen, dass das gar nicht stimmt. Wie schon beim Festpreis: Was kann man noch glauben?“, zitiert Ballmer ein weiteres Mitglied der Nationalkommission.
Schweiz setzt auf Trumps Premium-Jet: „Spätestens ab 2032 wäre unser Luftraum ohne F-35 ungeschützt“
Und wie glaubhaft ist Peter Merz? Der bisherige Kommandant der Schweizer Luftwaffe wird neuer Chef der Flugsicherung Skyguide, hat der Blick berichtet. Im November soll der Wechsel vollzogen werden. Pikanterweise klingt der Luftwaffenchef jetzt anders als Anfang dieses Jahres. „Ein Ausstieg aus dem F-35-Programm wäre für die Sicherheit der Schweiz fatal“, zitiert ihn der Schweizer Tagesanzeiger aus einem Interview im März. „Unsere F/A-18-Jets kommen bald ans Ende ihrer Nutzungsdauer. Wir müssen schon heute schauen, dass wir den Betrieb aufrechterhalten können, bis die neuen Flugzeuge voll einsatzfähig sind. Spätestens ab 2032 wäre unser Luftraum ohne F-35 ungeschützt“, hat Merz eingeräumt.
Ausmusterung oder Weiternutzung der F/A-18C Hornet? In der Schweiz mehren sich Zweifel am Kauf des Tarnkappen-Kampfjets F-35A. Der Grund liegt in wahrscheinlichen Mehrkosten der bestellten 36 Maschinen © IMAGO/Pius Koller
Ungeachtet anderer Militärs hält Merz auch weder die europäischen Kampfjets Eurofighter oder Gripen noch die Rafale für konkurrenzfähig mit der F-35. Andere Länder beziehungsweise die ersten Nato-Partner haben der F-35 bereits den Rücken gekehrt. Wie Reuters berichtet hat, verzichtet Spanien inzwischen auf den Kauf von US-amerikanischen F-35-Kampfflugzeugen und entscheidet sich zwischen dem in Europa hergestellten Eurofighter und dem sogenannten Future Combat Air System (FCAS), wie die Nachrichtenagentur einen Sprecher des Verteidigungsministeriums zitiert. Auch Portugal hatte angekündigt, die Entscheidung für den Kauf nochmals überdenken zu wollen.
Obwohl die Entscheidung für eine Standardisierung der Verteidigungsallianz auf bestimmte Rüstungsgüter von Analysten und Experten für eine kluge Entscheidung gehalten wird, birgt sie dennoch Risiken. Die F-35 ist durchaus umstritten, Software-Schwierigkeiten scheinen die Modernisierung des Jets zu erschweren, möglicherweise ist dieses Flugzeug sogar zu überkomplex; ob die Logistik nahtlos funktioniert, muss auch noch bewiesen werden, schreibt Kyle Gunn. „Die Nato versucht, diese Engpässe durch regionale Versorgungszentren zu entschärfen. Italien montiert die Jets in Cameri, die Niederlande übernehmen die Hauptwartung , während andere Partner Ersatzteile und andere notwendige Güter herstellen. Von der modularen, autarken Logistik, die die alten Jets ermöglichten, ist man jedoch noch weit entfernt“, so der Autor des Magazins Task & Purpose.
Zweifel an Trump berechtigt? „Jetzt soll plötzlich alles anders sein, nur weil der Präsident gewechselt hat?“
Allerdings gibt Sidney Dean zu bedenken, dass Waffensysteme überlappend entwickelt würden; das hieße, während die F-35 gekauft würde, wären die Kampfjets der sechsten Generation bereits in Planung. „Tatsächlich schreiten sowohl das deutsch-französische Future Combat Aircraft System (FCAS) als auch das dreigliedrige (Italien, Großbritannien, Japan) Global Combat Air Programme (GCAP) weiter voran, ebenso wie die Next Generation Air Dominance (NGAD)-Programme der US Air Force und Navy, wie der Autor des Magazins European Security & Defense (ESD) schreibt; er glaubt, dass die europäischen beziehungsweise euro-asiatischen Konstruktionen die F-35 technologisch übertreffen und frühestens 2040 in Betrieb genommen würden.
Insofern würde die Schweiz vielleicht drei Jahre zu überbrücken haben von einem System, das noch bis dahin tauglich bleibe und einem System, dass in die ganz entfernte Zukunft reiche. Die Nato geht davon aus, dass Wladimir Putin möglicherweise in spätestens zehn Jahren einen Krieg gegen Westeuropa vom Zaun gebrochen haben könnte. Möglicherweise wird er kaum so lange warten wollen, bis alle Armeen auf dem neuesten Stand sind. Pessimisten gehen von einem begrenzten Krieg in Europas sogar in spätestens acht Jahren aus; vielleicht sogar in fünf. Zweifel in der Schweiz ob des Sinns des F-35-Deals scheinen also durchaus berechtigt zu sein.
Auch Donald Trump scheint zu impulsgesteuert, um ein langfristig verlässlicher Partner zu sein – das jedenfalls lässt sein bisheriges politisches Verhalten erahnen. Peter Merz mag insofern zu sehr Soldat und zu wenig Politiker zu sein, wenn er voller Überzeugung gegenüber dem Schweizer Tagesanzeiger äußert: „Bei der Luftwaffe arbeiten wir seit 50 Jahren erfolgreich mit den USA zusammen. Bisher gab es nie Probleme. Jetzt soll plötzlich alles anders sein, nur weil der Präsident gewechselt hat?“