Stand: 22.08.2025 18:03 Uhr
Bei der Auswahl eines neuen Antisemitismusbeauftragten in Hamburg gerät die Wissenschaftsbehörde unter Druck. Noch immer ist kein ordnungsgemäßes Verfahren in Sicht.
Im Jahr 2021 wurde in Hamburg erstmals das Ehrenamt des Antisemitismusbeauftragten geschaffen. Offiziell lautet der Amtstitel inzwischen „Beauftragter für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus“. Das Amt trat Stefan Hensel an, vorgeschlagen von beiden jüdischen Gemeinden der Stadt: der Jüdischen Einheitsgemeinde und dem Israelitischen Tempelverband (Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg). Die Amtszeit war auf drei Jahre festgelegt.
Vor Ablauf dieser Frist sprach sich die Jüdische Gemeinde für eine Verlängerung von Hensels Amtszeit aus. Der Senat folgte diesem Vorschlag und bestellte Hensel ohne großes Aufsehen für eine weitere Amtszeit. Der Israelitische Tempelverband hingegen hatte sich inzwischen kritisch zu Hensels Amtsführung geäußert und einen eigenen Kandidaten nominiert: Eike Steinig, ihren stellvertretenden Vorsitzenden.
Jüdische Gemeinden in Hamburg – kein einfaches Verhältnis
In Hamburg gibt es mehrere jüdische Gemeinden. Die größere Einheitsgemeinde hat nach eigenen Angaben knapp 2.300 Mitglieder. Auch Stefan Hensel ist Mitglied. Allerdings verschwieg er das bei seinem Amtsantritt. Kritikerinnen und Kritiker bemängeln das und sagen, Hensel könne sein Amt somit nicht neutral ausüben und bevorzuge die eigene Gemeinde. „Seine Meinung hat er mehrfach betont, auch in der Presse und hat gesagt, dass er uns halt nicht als relevanten Player einfach sieht, sondern hat seine Präferenzen zu seiner Gemeinde. Aber er soll alle inkludieren und gemeinsame Netzwerke bauen – und das hat er nicht gemacht“, kritisiert Steinig vom Israelitischen Tempelverband. Der Tempelverband gilt als liberaler und hat nur etwa 340 Mitglieder. Die unterschiedlichen Positionen der beiden jüdischen Gemeinden betreffen nicht nur die Besetzung des Amtes des Beauftragten für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus, sondern auch grundsätzliche Fragen der politischen Repräsentation, Mitsprache und Zusammenarbeit.
Das Büro von Hensel betont schriftlich, dass es keine begründete oder öffentlich geäußerte Kritik an der Arbeit von Herrn Hensel gebe. Er arbeite seit Langem gut und vertrauensvoll mit allen jüdischen Institutionen der Stadt zusammen.
Verwaltungsgericht entscheidet zugunsten von Steinig
Da die Wissenschaftsbehörde seine Bewerbung einfach nicht berücksichtigte, zog Steinig vor das Verwaltungsgericht und bekam Recht. Da das Amt des Antisemitismusbeauftragten ein öffentliches Amt sei, müsste es nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben werden – heißt es in einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts. Das heißt also: Jeder Bewerber auf ein öffentliches Amt hat das Recht auf ein faires Verfahren und muss/soll in die Auswahl einbezogen zu werden. Das Gericht lehnte es aber ab, die Ernennung von Hensel sofort rückgängig zu machen. Begründung: Das neue Auswahlverfahren kann auch stattfinden, während er noch im Amt ist.
Der Rechtsanwalt von Steinig, Dr. Patrick Heinemann, erklärte, ein faires Verfahren setze zumindest voraus, dass die Wissenschaftsbehörde alle Bewerbungen sorgfältig prüfe. Dies sei in der Vergangenheit nicht geschehen – stattdessen habe man „schlicht Stefan Hensel ernannt, weil man Stefan Hensel behalten wollte“, so der Anwalt.
Senat schreibt Ehrenamt öffentlich aus
Daraufhin schrieb der Senat die Stelle im Frühjahr öffentlich aus. In der Ausschreibung hieß es, es sei von Vorteil, wenn der Beauftragte „Verständnis für das Prinzip der Einheitsgemeinde“ und „gute Kenntnisse der Behördenstrukturen in Hamburg“ habe. Kritiker und Kritikerinnen sagen, das sei auf Hensel zugeschnitten. Später untersagte das Gericht auch dieses Vorgehen des Senats. Es verpflichtete den Senat, das alte Verfahren zwischen den beiden Kandidaten Hensel von der jüdischen Einheitsgemeinde und Steinig vom Israelitischen Tempelverband fortzusetzen.
Auch die wissenschaftspolitische Sprecherin der CDU, Anna von Treuenfels, bewertet das Amtsbesetzungsverfahren als undurchsichtig. Es sei intransparent durchgeführt worden und gerade im Hinblick auf den starken Antisemitismusanstieg stelle es eine sehr unglückliche Situation dar, so die Bürgerschaftsabgeordnete.
Auch interne Kritik an Hensel
Nach NDR Informationen rumort es auch in der Wissenschaftsbehörde. Dem NDR liegen interne Aktenvermerke vor. Darin kritisieren Mitarbeitende unter anderem, dass Hensel seine Mitgliedschaft in der jüdischen Einheitsgemeinde bei seinem Amtsantritt verschwiegen habe. So heißt es in der internen Sachakte „Die Kritik der LJGH (Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg) ist nachvollziehbar. Dass der ASB (Antisemitismusbeauftragter) seine Mitgliedschaft in der JGHH weder der LJGH noch dem Senat gegenüber offenlegte, ist irritierend und kritikwürdig“. Weiter heißt es: „Da der Senat gehalten ist, einen ASB zu ernennen, die/der Ansprechpartner für alle in Hamburg lebenden Jüdinnen und Juden ist und ein solides Arbeitsverhältnis zu beiden Gemeinden pflegt, sollte dies zur Prämisse bei der Ernennung einer/s ASB in der Amtszeit 2024-2027 erhoben werden.“ Trotz dieser Kritik hat der Senat Hensel im vergangenen Jahr neu bestellt und auf ein Auswahlverfahren mit weiteren Kandidaten verzichtet.
Kritische Amtsleiterin versetzt – Zufall?
Kurz vor dem angesetzten Auswahltermin für den neuen Beauftragten wurde die Leiterin des Amtes für Gleichstellung und gesellschaftlichen Zusammenhalt von ihren Aufgaben freigestellt. Sie war unter anderem verantwortlich für das Referat „Förderung Jüdischen Lebens“ und wäre in dieser Rolle maßgeblich am Auswahlverfahren beteiligt gewesen. Wissenschaftssenatorin Maryam Blumenthal (Grüne) hatte dieser Amtsleiterin zwei Wochen vor der entscheidenden Phase der geplanten Neubesetzung ihre Versetzung mitgeteilt. Nach NDR Informationen soll es sich dabei um die Amtsleiterin handeln, die sich für ein faires Verfahren eingesetzt hatte. Die Beamtin wehrte sich vor dem Verwaltungsgericht gegen ihre Versetzung.
Laut Wissenschaftsbehörde gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Neubesetzung des Amtes des Beauftragten für jüdisches Leben und Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus und der Versetzung der Amtsleiterin. Das Verwaltungsgericht hat am 14. August die Versetzung der Amtsleiterin für rechtswidrig erklärt. Die Wissenschaftsbehörde plant nach NDR Informationen keine Rechtsmittel gegen die Gerichtsentscheidung einzulegen.
Entscheidung über Beauftragten muss bald fallen
Schon bald muss sich der Senat für einen neuen Beauftragten für das Ehrenamt entschieden haben. Entweder wird es Steinig vom Israelitischen Tempelverband oder Hensel bleibt weiterhin in seinem Ehrenamt. Wenn das bis zum 7. September nicht passiert, droht dem Senat ein Zwangsgeld.
Saïda Belaatel berichtet.
Weil er in seinem Auto ein hebräisches Lied abspielte, wurde Stefan Hensel von einem 57-Jährigen beschimpft und bedroht. Der Staatsschutz ermittelt.
Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus registrierte einen deutlichen Anstieg. Mehr bei tagesschau.de.
Darauf hat sich der Senat verständigt. Hensel übernimmt das Ehrenamt für weitere drei Jahre. Im Interview mit NDR 90,3 zieht er eine Zwischenbilanz.