Sein Platz ist aus Sicht der Fernsehzuschauer einen Meter rechts vom Präsidenten. In der Mitte einer dreisitzigen goldenen Couch. Dort, wo man am tiefsten in den Kissen versinkt.

Bei öffentlichen Terminen im Oval Office ist Marco Rubio stets dabei. Er trägt dann einen dunklen Anzug, eine gedeckte Krawatte und einen unausgeschlafenen Gesichtsausdruck. Anders als die schrillen Fox-News-Gewächse in Donald Trumps Kabinett lärmt der Außenminister nicht. Zwischen dem einen Kopf größeren Finanzressort-Chef Scott Bessent und dem ebenfalls höhergewachsenen Vizepräsidenten J.D. Vance kann man ihn auf dem Sofa leicht übersehen.

Einmal, im Februar, schien es, als würde sich der Einserjurist wirklich am liebsten unsichtbar machen. Da beschimpften der US-Präsident und sein Stellvertreter den Präsidenten der von Russland überfallenen Ukraine vor laufenden Kameras so, als sei er der Kriegsverbrecher. „Sie sind in einer sehr schlechten Position“, blaffte Trump erbost Wolodymyr Selenskyj an: „Sie spielen mit dem Leben von Millionen Menschen.“ Derweil rutschte Rubio mit versteinerter Miene und verkrampften Händen immer tiefer in das Sitzmöbel.

Zwischen beiden passt heute kein Blatt mehr: US-Außenminister Marco Rubio während einer Kabinettssitzung mit Präsident Trump im Weißen Haus. Foto: Getty Images

Zuschauer rund um die Welt waren überzeugt, einen Moment der Fremdscham zu erleben. Immerhin hatte Rubio in seiner Zeit im Senat als hartgesottener „Russland-Falke“ gegolten und die angebliche Schwäche des damaligen Präsidenten Barack Obama im Umgang mit dem Kreml angeprangert.

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Entsprechend laut war das Aufatmen in vielen europäischen Hauptstädten gewesen, als Trump im vorigen November den Sohn kubanischer Einwanderer als Secretary of State nominierte. Das sei ein sehr gutes Zeichen für die Ukraine, hieß es. Auch die Demokraten im Senat stimmten der Personalie zu.

Trumps Mann für „alles“

Wie sehr sie sich getäuscht hatten, wurde 40 Minuten nach dem Rauswurf von Selenskyj aus dem Weißen Haus klar. Da setzte der Secretary of State auf der Plattform X eine Ergebenheitsadresse ab: „Danke, @POTUS (der offizielle Account des Präsidenten), dass Sie für Amerika auf eine Weise einstehen, wie kein Präsident zuvor den Mut hatte.“

Mancher traute seinen Augen nicht. „Kumpel, hast Du das geschrieben?“, postete der demokratische Abgeordnete Eric Swalwell: „Wir haben Dich gesehen. Du hast Trump angeschaut, als wäre er ein durchgeknallter Alter, der Dich bei Deinem ersten Date bloßstellt. Erzähl uns keinen Scheiß! Zeig mal Eier!“

Wann immer ich ein Problem habe, rufe ich Marco.

Donald Trump

US-Präsident

Die liberale Welt war geschockt. Aber im Trump-Kosmos erlebt Rubio seither einen atemberaubenden Aufstieg. Der Präsident hat ihn mit zusätzlichen Aufgaben überhäuft, wie den Kaminsims im Oval Office, mit goldenem Trödel. Neben seinem Hauptjob als Außenminister ist der 54-Jährige inzwischen Insolvenzverwalter der Entwicklungsbehörde USAID, staatlicher Archivist und Nationaler Sicherheitsberater. „Minister für Alles“ hat ihn die „New York Times“ genannt. Selbst als möglichen Nachfolger hat Trump ihn ins Gespräch gebracht.

So viel Macht hatte nicht einmal der legendäre Henry Kissinger. „Wann immer ich ein Problem habe, rufe ich Marco“, berichtete der Präsident vor ein paar Wochen: „Der kriegt das gelöst.“

Rubio schwenkt auf Trumps Kurs ein

Nun erhält der Tausendsassa ein weiteres Mandat: Beim Treffen der acht europäischen Spitzenpolitiker mit Trump am Montag wurde verabredet, dass Rubio mit den Europäern einen Vorschlag für Sicherheitsgarantien erarbeiten soll, die als Voraussetzung für potenzielle Friedensgespräche zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Kreml-Chef Wladimir Putin gelten.

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Nach Trumps Willen soll alles wahnsinnig schnell gegen. Von einer oder zwei Wochen ist die Rede. Doch zwischen den Erwartungen der Europäer an die Amerikaner und der Neigung des Präsidenten, irgendwelche Zusagen für ein 8.000 Kilometer entferntes Land abzugeben, das ihn jenseits der dortigen Rohstoffvorkommen nicht interessiert, liegen Welten.

Marco Rubio und Donald Trump beim republikanischen TV-Duell 2016 in Houston. Damals konkurrierten beide um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Foto: NBC Universal

Anders als Trumps Ukraine-Unterhändler Steve Witkoff, der von der Region keine Ahnung hat, weiß Rubio, worüber er spricht. Im Senat hat er einst gefordert, die Separatisten im Osten der Ukraine als Terrororganisation einzustufen und US-Unternehmen jegliche Investitionen in Russland zu verbieten.

„Ich wünschte, ich könnte mehr teilen“, twitterte der damalige Vizevorsitzende des Geheimdienstausschusses einen Tag nach der russischen Invasion: „Fürs Erste kann ich sagen, dass vielen klar ist, dass mit Putin etwas nicht stimmt. Er war schon immer ein Mörder, aber sein Problem ist jetzt anders und bedeutend.“

Der Marco Rubio, der einstmals über die Bedeutung von Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit als Teil der amerikanischen Außenpolitik sprach, ist verschwunden.

Chris van Hollen

Demokratischer Senator

Das war im Februar 2022. Inzwischen steht Rubio in Trumps Diensten und klingt ganz anders. „Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine in den vergangenen drei Jahren geholfen und wollen den Krieg beenden“, verkündete er im April. „Aber es ist nicht unser Krieg.“ Wenn ein Friedensschluss nicht möglich sei, müssten die USA eben „weiterziehen“. Auch in Europa ahnt man seither, dass Trumps neuer Super Marco mit dem alten Transatlantiker nicht mehr viel gemein hat.

Rubio nannte Trump einst „Trickbetrüger“

„Rubios MAGA-Gehirntransplantation ist abgeschlossen“, ätzte kürzlich der demokratische Senator Chris van Hollen in der „Washington Post“: „Der Marco Rubio, der einstmals über die Bedeutung von Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit als Teil der amerikanischen Außenpolitik sprach, ist verschwunden.“

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Tatsächlich hat der in Miami geborene Sohn kubanischer Einwanderer in seinem Politikerleben eine erstaunliche Metamorphose durchlaufen. Unterstützt von der Tea-Party war er 2010 im Alter von 39 Jahren in den US-Senat gewählt worden. Der konservative Politiker trat für mehr Haushaltsdisziplin, eine harte Haltung gegenüber China und Russland und strenge Grenzkontrollen ein. Gleichzeitig kämpfte er jedoch dafür, den Millionen bereits in den USA lebenden illegalen Migranten einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu eröffnen.

Marco Rubio 2015 als Wahlkämpfer. Foto: Corbis via Getty Images

„Hier in Amerika werden diejenigen, die einst keine Hoffnung hatten, ihren Kindern die Chance auf das Leben geben, das sie sich immer für sich selbst gewünscht haben“, warb er 2013 in einer Rede voller Pathos vor dem Senat um Unterstützung: „Hier in Amerika werden Generationen unerfüllter Träume endlich in Erfüllung gehen.“

Mit ihm werden wir die Wahl verlieren.

Marco Rubio 2016 über Trump

Damals Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur

Viele Beobachter sahen einen neuen Polit-Star, manche gar einen „republikanischen Obama“ – jung, gutaussehend, kultiviert, mit lateinamerikanischen Wurzeln und fließend in Englisch und Spanisch. Doch das von Rubio propagierte Einbürgerungsgesetz scheiterte im Repräsentantenhaus.

Der ambitionierte Sohn eines Barkeepers und eines Zimmermädchens pokerte höher: Er bewarb sich für die republikanische Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2016. Sein Wahlkampfbuch hieß „Amerikanische Träume“ und handelte von der Wiederherstellung der Aufstiegschancen für alle.

Sein gefährlichster Gegenkandidat war Donald Trump, der mit düsteren, ausländerfeindlichen Parolen auf Stimmenfang ging. Rubio nannte ihn einen „Trickbetrüger“ und prophezeite: „Mit ihm werden wir die Wahl verlieren.“

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Höfling seines einstigen Widersachers

Trump gewann. Nicht nur die Nominierung, sondern auch die Präsidentschaft. Den 1,75 Meter großen Rubio verspottete er als „Little Marco“. Und der drehte eilig bei. Im Jahr 2023 schrieb er ein neues Buch. Es hieß: „Das Jahrzehnt der Dekadenz. Wie unsere verwöhnten Eliten Amerika ruiniert haben“. Der konservative Weltverbesserer von einst machte sich das rechtspopulistische Narrativ zu eigen. Und wurde zum Höfling seines einstigen Widersachers.

Wir sollten stolz sein, dass wir einen Präsidenten haben, der den Frieden zu seiner Priorität gemacht hat.

Marco Rubio über Donald Trump

US-Außenminister

Als Minister hat Rubio die Entwicklungshilfe, die er früher unterstützte, weitgehend eingestellt. Er lobt die massenhafte Deportation von Migranten in ein salvadorianisches Gulag-Gefängnis, lässt die Social-Media-Posts von Visa-Bewerbern auf „feindliche Haltung gegenüber der US-Kultur (inklusive ihrer Regierung)“ durchschnüffeln und verweigert Menschen aus dem Gazastreifen die Einreise zur medizinischen Behandlung.

Marco Rubio mit seiner Familie nach der Wahlniederlage im Ringen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur in Florida 2016. Foto: WireImage

Trump werde nichts als „Chaos“ schaffen, hatte der einstige Präsidentschaftsbewerber vor zehn Jahren prophezeit. Viele Liberale würden ihm heute recht geben. Doch Rubio sieht das nun anders: Nur Trump könne den Ukraine-Krieg beenden, schwärmte er kürzlich beim rechten Sender Fox News: „Wir sollten stolz sein, dass wir einen Präsidenten haben, der den Frieden zu seiner Priorität gemacht hat.“

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