John Bolton dürfte gar nicht so überrascht gewesen sein, als das FBI vorfuhr. „Ich denke, es ist eine Präsidentschaft der Vergeltung“, sagte Donald Trumps früherer Sicherheitsberater vor zwei Wochen beim Sender ABC. Er war mal einer der engsten Mitarbeiter des US-Präsidenten und ist längst einer seiner bekanntesten Kritiker – er wird geahnt haben, was das bedeutet. Jetzt haben es Trumps Ermittler auf Bolton abgesehen, und nicht nur auf ihn.

Am Freitag durchsuchten Polizisten sein Haus in Bethesda am Rande von Washington und sein Büro im Zentrum der Hauptstadt, sie nahmen kistenweise Dokumente mit. Die Bilder machten schnell die Runde, zurück bleiben Fragen: Sind Trumps Leute vor allem hinter Bolton her, weil er bei jeder Gelegenheit die Außenpolitik des Mannes im Weißen Haus auseinandernimmt? Oder hat er tatsächlich Material gelagert, das ihm nicht zusteht?

Die Szenen erinnern an die Razzia im August 2022 bei Trump in dessen Strandresidenz Mar-a-Lago im Süden Floridas. Damals, es regierte noch Joe Biden, stellten die Beamten Geheimpapiere sicher, die Trump nach dem Ende seiner ersten Amtszeit Anfang 2021 mitgenommen hatte. Das folgende Verfahren überstand er weitgehend unbeschadet, zumal Fahnder später auch bei Biden und Trumps ehemaligem Vize Mike Pence fündig wurden.

Der heute 76 Jahre alte Bolton sagte seinerzeit, es wundere ihn nicht, dass Trump solch vertrauliche Schriftstücke bei sich hortete. Er sei in Fragen der Klassifizierung eher sorglos gewesen. Jetzt soll es offenbar umgekehrt gehen. Er kenne das Gefühl, sagte Trump genüsslich, als er auf den Polizeieinsatz bei seinem einstigen Vertrauten angesprochen wurde, auf dem Kopf trug der Präsident ein rotes Käppi mit Aufschrift „Trump was right about everything“. Bolton sei „kein kluger Kerl. Aber er könnte ein sehr unpatriotischer Typ sein. Wir werden es herausfinden.“

Das Justizministerium verklagte Bolton wegen dessen Buch

Der Streit begann schon vor Jahren, nach Boltons langer Karriere in höchsten Staatsämtern. Er war UN-Botschafter unter George W. Bush, im April 2018 ernannte ihn Trump zu seinem Nationalen Sicherheitsberater, einer der wichtigsten Posten der Regierung. Im September 2019 musste er wieder gehen. 2020 brachte Bolton ein Buch mit dem Titel „The Room Where It Happened“ auf den Markt – es wurde ein Bestseller und beschreibt Trump als unberechenbaren und miserabel informierten Staatschef.

Schon vor der Veröffentlichung wurde er vom Justizministerium verklagt. Trump warf ihm vor, geheime Informationen für diese Memoiren verwendet zu haben, was der Autor bestreitet. Unter dem Demokraten Biden wurden die Ermittlungen eingestellt, nun nehmen sie wieder Fahrt auf. Verhaftet oder angeklagt wurde Bolton nicht, aber auch das kann noch kommen. „Die Sicherheit Amerikas ist nicht verhandelbar“, postete Trumps Generalstaatsanwältin Pam Bondi auf der Plattform X. „Gerechtigkeit wird immer geübt.“

Sie reagierte auf einen Beitrag im selben Netzwerk von Kash Patel, Trumps FBI-Direktor. „Niemand steht über dem Gesetz“, schrieb er, ohne dabei näher auf den Fall Bolton einzugehen. „FBI-Agenten auf Mission.“ 2023 hatte derselbe Patel für Freunde von Verschwörungsmythen ein Buch über „Government Gangster“ und „Deep State“ verfasst, darin eine Art Feindesliste, in der auch Bolton auftaucht.

Bolton gehörte zu jenen, die vor Trumps Rückkehr warnten, vergeblich. „Eine Fülle von Fakten belegt, dass Trump für das Amt des Präsidenten ungeeignet ist“, erklärte er in einer Neuauflage seines Buches und nannte das Vorwort „The Room Where It Will Happen Again“ (Der Raum, in dem es wieder passieren wird). Trump könne eine Verfassungskrise provozieren, sich an politischen Gegnern rächen und die USA aus der Nato herausnehmen.

Nach seinem Comeback entzog ihm der Präsident erst einmal den Personenschutz, trotz Morddrohungen gegen Bolton aus Iran. Er zog sich aber nicht zurück, sondern ist häufig als Experte im Fernsehen zu sehen, zuletzt zum Beispiel während der Debatten über Trumps Begegnung mit dem russischen Kriegsherrn Wladimir Putin in Alaska.

Rund um den Alaska-Gipfel stritten die beiden öffentlich

Schon vor dem Gipfel stichele Bolton in The Atlantic, dass Putin gewonnen habe. „Er ist der Anführer eines Schurkenstaates und wird auf amerikanischem Boden ein Foto mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bekommen.“ Ständig würden „entlassene Verlierer und wirklich dumme Leute wie John Bolton zitiert“, ereiferte sich Trump daraufhin auf Truth Social. „Was soll das? Wir gewinnen in ALLEM.“

Trump habe in Anchorage „sehr wenig erreicht“ und „sah müde aus“, legte Bolton anschließend bei CNN nach. Die Treffen gingen weiter, „weil Trump den Friedensnobelpreis will“, schrieb er dann am vergangenen Freitagmorgen US-Ostküstenzeit bei X, „aber ich sehe keine Fortschritte in diesen Gesprächen.“ Als diese Zeilen erschienen, 1,2 Millionen Mal beachtet, da begannen Suchtrupps des FBI gerade, seine Quartiere zu durchforsten.

Was bei dem Manöver gefunden wurde und ob sich Bolton tatsächlich strafbar gemacht haben könnte, indem er geheimdienstliche Erkenntnisse gebunkert und verwendet hat, darüber wurde bisher nichts bekannt. „Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium der laufenden Ermittlungen gegen John Bolton“, berichtete Vizepräsident J. D. Vance bei MSNBC. Dies sei kein Racheakt, „anders als unter Biden“ würden Strafverfolgungsbehörden, Justizministerium und FBI „vom Gesetz und nicht von der Politik geleitet“.

Viele Beobachter haben jedoch einen anderen Eindruck. Trump hatte immer wieder anklingen lassen, dass er gegen seine Rivalen vorgehen wolle. Er hat Soldaten erst nach Los Angeles und nun nach Washington, D.C., geschickt, zwei von Demokraten regierte Städte. In der Hauptstadt ließ er auch die Polizei dem Justizministerium unterstellen, und der Durchsuchungsbefehl in der Causa Bolton kam ebenfalls aus dieser Bundesbehörde, angeführt von Justizministerin Bondi.

Vance sagte, „wir werden diese Ermittlungen weiterlaufen lassen“. Es sieht ganz so aus, als sei Bolton da wie andere Trump-Rivalen in einen Feldzug geraten. Ermittelt wird auch gegen die New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James, die Demokratin hatte mit ihrer Anklage dazu beigetragen, dass Trump in einem Zivilprozess wegen Finanzbetrugs schuldig gesprochen wurde. Staatliche Untersuchungen laufen außerdem gegen den demokratischen Senator Adam Schiff aus Kalifornien sowie die ehemaligen Direktoren von FBI und CIA, James Comey und John Brennan.

Trumps Vendetta-Kampagne ziele auf John Bolton, steht über einem Leitartikel des konservativen Wall Street Journal. „Who is next“, fragt die New York Times. „Wer ist der Nächste?“