Stell dir vor, stell dir vor, du erbst eine Garage„. Mit diesen Worten beginnt die Inszenierung von „Und über uns der große Wagen“. Wenn man bedenkt, dass es in Chemnitz und Umgebung um die 30.000 Garagen geben soll, dann ist das keineswegs abwegig.

Im Gegenteil: Mit Blick darauf, dass im Osten Deutschlands erheblich weniger vererbt und geerbt wird als im Westen, stellt zumindest die Garage – oder besser: der Pachtvertrag dafür – eine Hinterlassenschaft dar, die man seinen Kindern und Enkeln vermachen kann.

Der Garagenhof, eine Männerdomäne?

Dieser Gedanke trieb auch die Regisseurin Julia Brettschneider um, erklärt sie bei MDR KULTUR: „Deswegen fanden wir es auch interessant, von da aus zu starten, zu sagen, ‚Ok, ich erbe eine Garage. Was mache ich jetzt damit?'“ Im Stück selbst ist die Antwort längst nicht klar. Denn anfangs scheint es eine Distanz zu diesem, zumeist mit Kram vollgestopftem Objekt zu geben. Vielleicht war es wie ein zweites Zuhause für den Vater oder den Ehemann gewesen?

Man – oder besser: Frau – muss sich dieses Terrain erst erobern. Im Stück werden ausschließlich Geschichten von Garagenbesitzerinnen erzählt.  

Weibliche Perspektive auf die Bastlerstube

„Ich wollte unbedingt, dass wir diese Frauenstimmen hören zu dem Thema, also die Töchter, die Frauen, die Schwestern, die Enkelinnen, was sie damit verbinden“, erklärt Julia Brettschneider und fügt an, „und eben nicht nur die Männer, weil das ist ja schon ein von Männern dominiertes Genre.“

Das ist ja schon ein von Männern dominiertes Genre.

Julia Brettschneider, Regisseurin

Nach der Wende überflüssig, heute wieder begehrt

Der Text zum Stück ist eine Essenz aus etwa 15 Interviews mit Chemnitzer Garagenbesitzerinnen. Die Autorin Peggy Mädler hat sie geführt und zu einer Bühnenfassung collagiert. Es sind Szenen, die davon erzählen, wie eine Frau Ende der 1980er-Jahre nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes plötzlich mit einer mitten im Bau befindlichen Garage dasteht.  

Der Blick geht sowohl zurück, etwa in die Zeit, als man sich in der DDR endlich die Genehmigung für einen Garagenbau ergattert hatte, aber auch in die Gegenwart, so Dramaturgin Friederike Spindler, was auch spannend gewesen sei, waren Punkte, wie teuer so eine Garage eigentlich ist.

Die Garagen, die nach der Wiedervereinigung kaum gefragt gewesen und günstig verkauft worden seien, erklärt Friederike Spindler, seien heute wieder sehr viel Geld wert. „Was natürlich auch dazu führt, dass so ein Hof vielleicht auch gar nicht mehr so viel Gemeinschaft in sich birgt wie früher.“

Spiel mit markanten Requisiten

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft wird im Stück immer wieder formuliert – meist als Utopie, die von den drei Darstellerinnen des Figurentheaters Chemnitz sehr treffend mit einer glänzenden Diskokugel immer wieder ins Spiel gebracht wird.

Während Julia Brettschneider den Text vorträgt, agieren sie mit verschiedensten Objekten, wie man sie auch in Garagen finden könnte: Schaufeln, Eimern, Pappkartons. Auf einer Holzkonstruktion, die dem genormten Unterstellplatz nachempfunden ist, klettern die drei Schauspielerinnen herum und steigen schließlich durch eine Luke aufs Dach.

Die Garage als kleines Stück Utopie

Einerseits erinnere der Name der Inszenierung an das Schrauben an den Kraftfahrzeugen, erklärt die Dramaturgin und gleichzeitig verweise der Titel auch auf „die Utopie, wenn ich auf dem Dach liege, wenn die Welt unter mir passiert und ich in den Himmel schaue und dieses Träumen, diese Sehnsucht, diese Ruhe, dieser Ort, an dem man auch für sich selber sein kann“.

Ein Gegenentwurf zu der lauten Stadt, die einen umgibt, seien die Garagenhöfe für Friederike Spindler. „Stell dir vor, du liegst auf der Dachterasse deiner Garage und über dir zieht der Große Wagen am Himmel entlang“, heißt es da etwa im Stück.

Mit diesem reizvollen Gedanken scheint die Frage, was aus der geerbten Garage wird, nicht zwingend beantwortet zu sein. Eine endgültige Antwort ist aber auch nicht unbedingt notwendig, denn darüber können Publikum und Darstellerinnen im Anschluss an die Vorstellung an einer langen Tafel gemeinsam weiter diskutieren.

Redaktionelle Bearbeitung: tis