Heute soll diese Kolumne ausnahmsweise von einer anderen Stadt und einem anderen Land handeln, Frau Freund und ich weilten nämlich drei Tage lang in Berlin. Dort wohnt das Töchterchen mit ihrem Freund, der ein Deutscher ist, aber wir haben ihn sehr gern.
Die beiden haben uns vom Flughafen abgeholt, und auf der Fahrt zur neuen Wohnung, die es zu besichtigen galt, kamen wir aus dem Staunen nicht heraus. Die Stadtautobahn zeigte sich ja noch halbwegs urban, doch als wir in Charlottenburg abfuhren, landeten wir quasi direkt in einem Wald.
In einem solchen leben die beiden glücklichen jungen Menschen, im Grunewald nämlich. Wie sie es geschafft haben, diese Wohnung mit drei (!) Terrassen zu einer für Berliner Verhältnisse durchaus erschwinglichen Miete zu ergattern, wir wissen es nicht. Als wir auf der Westterrasse unseren Sundowner schlürften, merkte Frau Freund nicht ganz neidlos an, wie still es in Berlin sei.
Rund um Berlin ist Ruh
Keine Mopedparade, kein Traktor, keine Motorsäge. Ein Eichelhäher gluckste, und vom benachbarten Koenigssee hörte man leise das Quaken der Frösche. Um die Idylle perfekt zu machen, schlenderte ein junger Fuchs durch den Nachbarsgarten.
Frau Freund und ich bestanden anderntags darauf, in die City zu fahren, auf dem Land leben wir schließlich selber. Und da bemerkten wir, dass das Jammern unserer Berliner Kindel über die Verhältnisse in ihrer Stadt keinesfalls übertrieben war.
Alles „in Arbeit“
Der Bus? Er kam, aber nicht, weil der Fahrplan es so wollte, sondern weil der Zeitgeist entschieden hatte, dass es an der Zeit für ihn sei. Die Straßen? Die könnte man als Kunstprojekt verkaufen: Asphalt in modernem Schwarz, ergänzt durch Schlaglöcher, die wie kleine, unbeabsichtigte Skulpturen wirken. Das ist überhaupt faszinierend an Berlin – man kommt immer wieder an Plätzen vorbei, bei denen man nicht weiß, ob es sich um Müllhalden oder um Kunstinstallationen handelt.
Wir lernten schnell: Hier ist nichts kaputt, hier ist alles „in Arbeit“. Der Berliner betrachtet jedes Baustellenschild wie einen alten Freund, der gekommen ist, um zu bleiben. „Fertigstellung: Sommer 2023“, steht da. Wir schreiben 2025.
Wohin fährt die S-Bahn in Berlin?
Die S-Bahn? Sie fuhr zwar, aber nicht dorthin, wo wir eigentlich hinwollten, der Grund war eine Signalstörung. Apropos Signalstörung, in der Hauptstadt Deutschlands gibt es nirgendwo ausreichend Handyempfang, um auch nur ein Foto zu verschicken.
Eine SMS kam immerhin durch – unser Flug sei storniert, erfuhren wir. Einen Grund dafür nicht.
Wien ist in Ordnung
Als wir endlich in Kreuzberg angekommen waren, begaben wir uns schnurstracks in die Markthalle 9, wo wir in der berühmten Weinhandlung Suff bei zwei Achteln Veltliner darüber sprachen, dass die Welt in Wien noch in Ordnung ist. Und natürlich im Grunewald, wo wir eine weitere Nacht zwischen Fröschen und Füchsen verbringen durften.
Zum Autor: René Freund lebt als Schriftsteller im südlichen Oberösterreich. Alle Infos unter www.renefreund.com