Leipzig. Haushaltskrise, Projektförder-Stopp, steigende Kosten: Die Kultur scheint nach der Corona-Pandemie direkt in die nächste Krise zu schlittern. Woher rühren die Probleme, und was kommt in den nächsten Jahren auf die Leipziger Kultur zu? Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) sprach darüber mit der LVZ.
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Corona, Inflation, Haushaltskrise: Als Sie 2016 Ihr Amt als Leipzigs Kulturbürgermeisterin antraten, hätten Sie da geahnt, dass Sie in so kurzer Zeit so viele Krisen würden bewältigen müssen?
Nein, natürlich kann man weder Corona noch eine derart heftige Haushaltskrise konkret vorhersehen. Aber dass man immer um die Kultur kämpfen muss und auf ihr ein hoher Legitimationsdruck lastet, das ist nichts Neues. Corona mal ausgeklammert, waren das seit 2016 allerdings gute Jahre für die Kultur, Budgeterhöhungen und Investitionen waren möglich. Zwar nie im gewünschten Umfang, denn am Ende ist es immer zu wenig. Aber es gab viele substanzielle Verbesserungen vor der Pandemie und zum Teil auch in den Monaten danach. Das wird nun aufs Spiel gesetzt. Einerseits durch den Druck der öffentlichen Haushalte, andererseits nehme ich wahr, dass dieser Druck von einigen politisch genutzt wird.
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Hatten Sie schon vorher Erfahrung als Krisenmanagerin?
Na ja, ich bin Mutter von drei Kindern (lacht). Man wächst mit seinen Aufgaben. Man hat ja ein Ethos in einem solchen Amt: man will etwas für den Bereich, den man verantwortet, erreichen. Das ist mal mit größeren und mal mit kleineren Widerständen verbunden. Aber der Wille und der Auftrag ist ja immer derselbe: gegen die Widerstände anzukämpfen und das Bestmögliche zu erreichen.
Wie hat sich die Wahrnehmung des Wertes von Kultur verändert, politisch und gesellschaftlich?
Vor Corona konnten wir in Leipzig aufgrund der wirtschaftlich stabilen Lage viel für die Kultur tun. Gerade im Schulterschluss mit dem Stadtrat ließ der Druck, sich für die höheren Kosten rechtfertigen zu müssen, in dieser Zeit nach. Wir hatten ein gutes, vertrauensvolles Miteinander. Und auch gesellschaftlich, so mein Eindruck, saß die Kultur sehr fest im Sattel. Zu Beginn von Corona, da erinnern sich sicher alle schmerzhaft dran, wurde die Kultur dann oft vergessen. Im Verlauf der Pandemie nahm die Wertschätzung wieder zu, weil es so viel Protest und Gegenwehr gab und die Politik bald einsah, dass Kultur gerade in solch einer Situation Stabilität schaffen kann und identitätsstiftend wirkt. Jetzt aber sind wir wieder in einer neuen Phase, in der ich mich manchmal an das Murmeltier erinnert fühle: Der Legitimationsdruck, den man glaubte, überwunden zu haben, entsteht aufgrund des Haushaltsdrucks mit voller Wucht neu. Die Diskursgräben reißen erneut auf.
„Es steht viel auf dem Spiel.“
Ist Leipzigs Status als Kulturstadt in Gefahr?
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Nein. Aber es steht viel auf dem Spiel. Bundesweit und international haben wir einen sehr guten Ruf. Es überrascht mich selbst immer wieder: Egal, wo man hinkommt, Leipzig zaubert jedem, der etwas mit der Stadt verbindet, ein Lächeln ins Gesicht, und das in der Regel im Zusammenhang mit der Kultur, mit ihrer Qualität und dem Lebensgefühl, das durch sie entsteht.
Trotzdem muss gespart werden. Wie sehr betrifft das die städtischen Eigenbetriebe?
Die Stadt muss insgesamt 100 Millionen Euro bis 2027 einsparen. Für das Kulturdezernat bedeutet das 2025 eine halbe Million Euro, 1,4 Millionen im Jahr 2026 und 1,7 Millionen im Jahr 2027. Da muss jeder seinen Beitrag bringen, auch die Eigenbetriebe. Zugleich sind die Kosten bei Energie und allen Drittdienstleistungen wie Bewachung, IT, Reinigung und Besucherdienst enorm gestiegen. Diese Steigerungen haben alle innerhalb des Wirtschaftsplans kompensiert. Das macht allein 5 Millionen Euro im Jahr 2025 aus, die die Eigenbetriebe intern bereits eingespart haben – schmerzhaft erkauft, beispielsweise dadurch, dass eine spürbare Anzahl von Stellen nicht besetzt ist. Zum Teil im zweistelligen Bereich. Das kann kein Dauerzustand bleiben, ist aber eben eine Folge der derzeitigen Haushaltssituation.
Und wird Folgen fürs Programm haben?
Es wird nicht ohne Auswirkungen aufs Programm bleiben, etwa auf die Inszenierungsbudgets, auf die Vielzahl der Formate, auch aufs Marketing. Aber alle bemühen sich wahnsinnig intensiv, das Optimum zu finden, so dass keine Substanz verlorengeht. Aber es tut weh.
Zur Person
Skadi Jennicke wurde 1977 in Leipzig geboren. Sie studierte Dramaturgie an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater und promovierte 2009 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ab 1997 arbeitete sie unter anderem als Dramaturgie- und Regieassistentin sowie als Dramaturgin am Neuen Theater Halle/Saale und am Schauspiel Leipzig. Von 2009 bis 2016 war sie stellvertretende Vorsitzende und kulturpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Seit 2016 ist sie Leipzigs Kulturbürgermeisterin.
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Wo genau wird es schmerzen?
Ganz ohne Einschränkungen wird es nicht gehen. Wir stellen gerade die Wirtschaftspläne für 2026 auf. Da stehen erneut harte Verhandlungen an, wie wir das hinbekommen. Wir sind mittendrin, dem kann und will ich deshalb nicht vorgreifen. Aber wir haben eine gute kollegiale Situation, alle Eigenbetriebsleiter sitzen an einem Tisch und wissen von den anderen – das hat es auch nicht immer gegeben. Es gibt ein sehr wertschätzendes Miteinander, und das ist in so einer Situation sehr viel wert.
Auch Leipzigs Freie Szene ist von Einschnitten betroffen
Und inwiefern werden die Einsparungen die Freie Szene betreffen?
Da versuchen wir, die Einschnitte moderat zu halten, und fahren auf Sicht. In diesem Jahr haben wir die Arbeitsstipendien in Höhe von 250.000 Euro, die nicht produktionsgebunden sind, ausgesetzt. Das ist nicht schön, weil wir sie erst letztes Jahr eingeführt haben. Ich bin dankbar, dass die Szene hier so hartnäckig war. Der Plan ist, sie nächstes Jahr wieder einzusetzen, wenn auch vielleicht nicht in der vollen Höhe. Das ist ein junges, neues Förderinstrument, und ich möchte das nicht gefährden. Auch an der neuen Basisförderung in Höhe von 500.000 Euro, die jetzt ausgeschrieben ist, würde ich gern festhalten. Das kann natürlich bedeuten, dass wir an anderer Stelle einen Beitrag zur Gesamtkonsolidierung bringen müssen, doch so weit sind wir noch nicht. Wir haben jetzt erstmal ausgehandelt, dass wir ab 2026 auf die zweite Projektfördermittel-Vergaberunde verzichten. Das Geld bleibt im Topf, aber wir machen kein zweites Verfahren im März. Das spart Verwaltungskapazität, die wir für die Basisförderung einsetzen.
Ende Juni sorgte das vorläufige Aussetzen der Projektfördermittel für einen Schock in der Freien Szene.
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Verständlicherweise. Eigentlich dürfen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung gar keine Projektfördermittel ausgereicht werden. Das haben wir trotzdem gemacht mit dem Hinweis, dass das unter Vorbehalt geschieht und es im schlimmsten Fall Rückforderungen gibt. Das möchte niemand, aber das stand auf jedem Bescheid.
Kam so etwas schon mal vor?
Nein, meines Wissens nicht. Zweiter wichtiger Punkt dabei: Bei der vorläufigen Haushaltsführung, also wenn noch keine Genehmigung von der Landesdirektion vorliegt, dürfen alle Budgets nur zu maximal 40 Prozent freigegeben werden. Das war im ersten Jahr eines Doppelhaushalts schon immer so. Nur war die Genehmigung meist spätestens im Juni da. Dieses Jahr nicht, und im Juni waren die 40 Prozent ausgeschöpft, so dass keine Projektmittel mehr ausgereicht werden konnten. Die Kolleginnen im Kulturamt haben reagiert und allen Betroffenen umgehend Gespräche angeboten, wovon es dann mehr als 70 gab, um Härtefälle zu prüfen, falls jemand schon vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist. In wenigen Einzelfällen wurden auch Mittel ausgereicht. Aber sicher: Das hat viel Frust und Enttäuschung verursacht.
Aus welchem Topf kamen diese Mittel?
Aus dem gleichen, über die 40 Prozent hinaus. Aber eben nur auf Einzelantrag, und das liegt dann auch in der Hoheit der Kämmerei.
Es gab also einen Notfallplan?
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Den haben wir beim Laufen erfunden. Die gesamte Stadtverwaltung operiert ja in der Erwartung, dass die Genehmigung kommt. Aber wir haben jetzt zwei Drittel des Jahres um und durften bislang trotzdem nur 40 Prozent der Budgets nutzen.
„Die strukturelle Krise der kommunalen Haushalte ist bundespolitisch verursacht“
Ist Leipzig da ein Einzelfall?
Nein, das sind die Regeln des kommunalen Haushaltsgesetzes. Die gelten in ganz Sachsen. Der Konsolidierungsdruck ist überall enorm, noch viel stärker im ländlichen Raum. Chemnitz hat – gerade im Kulturhauptstadt-Jahr – ebenfalls massive Einsparungen vorgenommen. Soweit ich es überblicke, ist jede größere deutsche Kulturstadt betroffen. Hamburg ist eine Ausnahme. Wir haben eine strukturelle Krise der kommunalen Haushalte, und die ist bundespolitisch verursacht. In Sachsen kommt, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, noch hinzu, dass die Regierung einen sehr restriktiven Haushaltskurs fährt. Das Mantra, keine neuen Schulden aufzunehmen, schlägt sich unmittelbar auf die Kommunen nieder. Man lässt uns damit gnadenlos allein.
Das Mantra, keine neuen Schulden aufzunehmen, schlägt sich unmittelbar auf die Kommunen nieder.
Skadi Jennicke, Leipzigs Kulturbürgermeisterin
Manche fordern, das Geld solle statt in die Kultur eher in Straßen oder andere Infrastruktur gesteckt werden. Was entgegnen Sie dem?
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Ich habe Verständnis dafür, dass eine Stadt in ihrer Grundkonstitution funktional sein muss – aber dazu gehört eben genauso die Kultur. Man gewinnt nichts, wenn man eine Sache nach vorne stellt und die andere nach hinten.
Verbunden ist das oft mit der Forderung, Kultur müsse sich wirtschaftlich selbst tragen können.
Das zeugt von frappierender Unkenntnis und wird den Anstrengungen der Akteure nicht gerecht. Auch Kultureinrichtungen werden unternehmerisch geführt und sind wirtschaftlich effizient, werden ihre Kosten aber nicht durch Einnahmen am Markt erwirtschaften. Das liegt in der Natur der Sache, weil Kunst in der Regel sehr zeitaufwendig und personalintensiv ist. Egal ob Theater, Konzert oder Ausstellung: Der Aufwand wird immer größer sein als die Einnahmen an der Ticketkasse. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die bislang auch Konsens ist, dass eine Gesellschaft sich das gern leisten möchte, weil sie es für wertvoll und essenziell erachtet. Wenn man das diskutieren möchte, dann gern auf dieser Ebene, und dem stelle ich mich auch. Aber nicht auf einer Haushaltsebene.
Ist Kultur systemrelevant?
Absolut. Mir gefällt dieser Begriff aber nicht, ich würde deshalb lieber sagen: Kultur ist lebensrelevant.
Skadi Jennicke lud zum Interview in ihr Büro im Neuen Rathaus.
Quelle: Mayla Lüst
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Sind solche Haushaltskrisen wie die derzeitige nicht aber trotzdem ein Indiz dafür, dass die Kultur womöglich zu abhängig von Förderung ist?
Dem würde ich vehement widersprechen. Es gibt eine Abhängigkeit, ja. Die Forderung, Kultur müsse sich selber tragen, greift aber zu kurz. Es gibt Bereiche, da funktioniert das, wenn auch zuweilen mehr schlecht als recht zulasten der Künstler. Ich erwarte von den hiesigen Kulturbetrieben, dass sie unternehmerisch innovativ und flexibel agieren, und das tun sie auch. Und sie bringen extrem hohe Qualität sowohl in der Führung als auch in der künstlerischen Produktion. Dann aber zu behaupten, sie könnten auch ohne Fördermittel leben – das finde ich respektlos. Selbst eine Oper oder ein Gewandhaus mit jeweils bis zu 2000 Plätzen wird sich nicht tragen können, solange wir unseren Anspruch an das Programm halten. Und dieser ist Ergebnis von zum Teil jahrhundertelanger Tradition, die nach täglicher Aktualisierung verlangt. Forderungen in Richtung der Kultur, sich gerade jetzt um privates Geld zu bemühen, sind aktuell nahezu zynisch: Die wirtschaftlich schwierige Situation ist ja eine Ursache für die geringen Einnahmen der Kommunen. Da ist es wahrlich nicht der richtige Augenblick, nach Partnern aus der Privatwirtschaft zu suchen.
Die Suche nach einem Nachfolger für Opernintendant Tobias Wolff ist in der ersten Runde schiefgegangen. Was machen Sie bei der Suche nach einem neuen Schauspiel-Intendanten anders?
Ich stoße mich ein wenig an dieser Formulierung „schiefgegangen“, die sich so verselbstständigt hat. Wir haben in der ersten Runde einfach niemanden gefunden. Da kam vieles zusammen. Bewerbungen wurden zurückgezogen, weil sich anderswo Türen öffneten. Diese Verfahren sind immer sehr komplex, auch die Stadträte sind Teil des Auswahlverfahrens. Und die ganze Opernbranche steht vor dieser Herausforderung – wir sind nicht die Einzigen, die es nicht im ersten Anlauf geschafft haben. Jedes Verfahren bringt neue Erkenntnisse. Beim Schauspiel bin ich zuversichtlich – da ist die Nachfrage sehr groß. Es kommt ja aber nicht nur auf die künstlerische Seite an, wo Innovation und inhaltliche Substanz gefragt sind. Im Falle der Oper braucht es jemanden, der einen Betrieb mit über 700 Menschen führen kann. Die Kombination ist schwierig. In der nachwachsenden Generation gibt es nicht viele, die das wollen. Auf einer Intendantenposition lastet unheimlicher Druck.
Wenn Sie mal Zeit haben, die Leipziger Kultur ganz privat zu genießen, wo gehen Sie hin?
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Wenn ich in Leipzig irgendwo hingehe, dann ist es schwer, privat zu sein. Aber wenn, dann wohl eher in eine abseits gelegene Kirche bei einem kleinen Konzert. Ich würde eher das Ruhige und Abgeschiedene suchen. Wobei … beim einen oder anderen Großkonzert auf der Festwiese, das ich aufgrund dienstlicher Verpflichtungen verpasst habe, bin ich manchmal ein bisschen neidisch. (lacht)
LVZ