Risse in den Wänden, abgeplatztes Mauerwerk und rostige Stahlträger. Die vergangenen Jahrzehnte sind nicht spurlos am Wagenburgtunnel vorbeigegangen. Besonders in Mitleidenschaft wurden die Abluftkanäle an den beiden Portalen gezogen. Seit Herbst 2022 waren sie eingerüstet, damit kein Gestein mehr auf die Fahrbahn fallen konnte. Derzeit werden sie für rund 580 000 Euro erneuert. Die riesigen Krümmer aus rissigem Stahlbeton werden durch eine gebogene Stahlkonstruktion ersetzt. „Eine filigranere Lösung“, sagt Anja Vollrath vom städtischen Tiefbauamt.
Steile Hangstraßen Wagenburgtunnel meistern
Die ersten Überlegungen, eine direkte Verbindung – ohne steile Hangstraßen – zwischen der Innenstadt und dem Stuttgarter Osten zu schaffen, kamen vor rund einem Jahrhundert auf. Autos rollten jedoch erstmals im März 1958 durch den Tunnel. „Mit ihm ist ein neuer Weg aufgezeigt, wie städtische Verkehrsprobleme gemeistert werden können“, schrieb der damalige Baudirektor Adolf Heeb in einer Broschüre, welche die Stadt Stuttgart zur Eröffnung der Südröhre herausgegeben hat. Mächtig stolz fügte er an, dass der Wagenburgtunnel der längste Straßentunnel Deutschlands sei.
„Gebirge und Sickerwasser haben den Bauleuten viel Schwierigkeiten bereitet“, so Heeb, der von 1952 bis 1969 das Tiefbauamt leitete. Dass die Bauzeit auf 17 Jahre anwuchs, hatte jedoch noch einen weiteren Grund: Während des Zweiten Weltkriegs und auch in der Nachkriegszeit mussten die Arbeiten unterbrochen werden, das 824 Meter lange Bauwerk wurde zeitweise als „Großluftschutzraum“ genutzt. Letztlich beliefen sich die Aufwendungen auf 14,1 Millionen Mark. Nicht berücksichtigt sind die Kosten, die im Dritten Reich für den Ausbau zu Luftschutzzwecken erfolgten.
Visionen des Stadtoberhaupts Klett haben sich bewahrheitet
Auch Oberbürgermeister Arnulf Klett war der Verkehrswert des Tunnels schon bei der Eröffnung bewusst: „Er wird mit dem um- und fortschreitenden Um- und Ausbau der Straßen in der Innenstadt in Zukunft noch zunehmen.“ Die Visionen des Stadtoberhaupts haben sich bewahrheitet; heute werden an Werktagen täglich rund 6500 Fahrzeuge im Wagenburgtunnel gezählt. Er hat sich zu einer wichtigen Verkehrsachse entwickelt.
Anja Vollrath vom städtischen Tiefbauamt Foto: Lichtgut
Seit Ende Juli ist er jedoch gesperrt, weil Schäden im Bereich der Belüftung behoben werden müssen. Während der Sanierung befindet sich der Tunnel im Notbetrieb. Normalerweise strömt aber Frischluft mithilfe von Ventilatoren und Turbinen durch einen Kanal, der unter der Fahrbahn verläuft, in die Röhre. Anschließend wird die Abluft durch einen weiteren Kanal, der in der Tunneldecke verläuft, abgesaugt und an den Portalen ins Freie geleitet. Und eben an dieser letzten Biegung waren vor drei Jahren Risse im Stahlbeton entdeckt worden.
Kleine Überraschungen beim Abbruch
Ursprünglich sollten die Arbeiten an den Krümmern am Sonntag, 31. August, abgeschlossen sein. Verkehrsteilnehmer müssen sich aber wohl noch etwas länger gedulden. Wegen kleiner Überraschungen kann der Termin nicht eingehalten werden. „Beim Abbruch haben wir festgestellt, dass die Beschaffenheit nicht so gut ist, wie erwartet“, sagt Anja Vollrath. Man habe zwar alte Bestandspläne und gewisse Erwartungen, aber die Realität sehe eben oftmals anders aus. „Deshalb haben wir im Vorfeld schon einen Puffer von zwei Wochen eingeplant. Ob wir die gesamte Zeit bis zum Ende der Sommerferien benötigen, bleibt abzuwarten.“
Bis dahin ist Maßarbeit gefragt. Die neuen Krümmer, die an zwei riesige Rutschen erinnern, sind bereits vor Ort fertiggestellt worden. Es handelt sich um lackierte Trapezbleche, die auf eine Unterkonstruktion aus Stahlträgern gebogen worden sind. Die beiden tonnenschweren Gebilde werden nun mit Hilfe eines Hubwagens angehoben und in rund fünf Metern Höhe über der Fahrbahn an sechs massive Platten geschraubt. Diese wurden zuvor fest in den Wänden verankert.
Technik im Wagenburgtunnel muss erneuert werden
Parallel zu den Arbeiten wird die Sperrung genutzt, um die alten Fliesen – heute würde man auf spezielle Beschichtungen setzen – von Russ und Schmierereien zu befreien. Außerdem wird der Gesamtzustand des Bauwerks unter die Lupe genommen. Es werden Risse und Mängel erfasst, um eine Schadensanalyse zu erstellen. Sie dient zur Planung einer großen Instandsetzung, denn offenbar hat nicht nur an den Portalen der Zahn der Zeit genagt. „Der Tunnel muss einmal komplett saniert werden“, sagt Vollrath. Die Mitarbeiterin des Tiefbauamts geht davon aus, dass die Maßnahme in einem Rutsch durchgezogen wird, nicht schrittweise. Man müsse die gesamte Betriebstechnik erneuern – sämtliche Stromleitungen, Warnanlagen wie Signalhorne und auch die Lüfter. Bei der Beleuchtung werde man wie im Rosensteintunnel auf energiesparende LED-Lampen setzen. „Auch der Schwabtunnel ist bereits umgerüstet worden.“
Trotz der Hiobsbotschaft verteidigt die Expertin die aktuelle Maßnahmen. „Wir konnten mit dem Tausch der Abluftkrümmer nicht bis zur Sanierung des Wagenburgtunnels warten. Zumal es schwierig sei, einen Starttermin zu nennen. „Er wird aber nicht vor den 2030er-Jahren sein“, sagt die Bauingenieurin, die keinen Hehl daraus macht, dass die generelle Instandsetzung deutlich teurer wird. „Wir können den Tunnel nicht einfach abreißen und wie bei einer Brücke ein nagelneues Bauwerk errichten, sondern müssen einen bestmöglichen Kompromiss zwischen den heutigen Anforderungen und dem aktuellen Bestand finden.“
Zugleich gibt sie Entwarnung: „Sobald der Tunnel wieder in Betrieb ist, kann man ihn sicher nutzen.“ Er ist kameraüberwacht, der Brandschutz und die Lüftung funktionieren. Außerdem sind die Fluchtwege über eine parallel zum Tunnel verlaufenden, kleineren Röhre gekennzeichnet. Regelmäßig würden im Rahmen der nächtlichen Wartungssperrungen zudem Notsituationen durchgespielt. „Und geprüft, ob alles einwandfrei läuft. Die Sicherheit steht an erster Stelle, sonst kann man ihn nicht betreiben“, versichert Anja Vollrath.
Ostportal liegt 44 Metern höher als das Westportal.