Nürnberg wollte europäische Kulturhauptstadt werden – es wurde nichts daraus. Man wollte den Saal 600 zum Unesco-Welterbe erklären lassen, in dem sich die NS-Kriegsverbrecher vor der Weltöffentlichkeit verantworten mussten – auch daraus wurde nichts. Nun bewirbt sich die Stadt um den Unesco-Titel „City of Literature“. Da fällt die Prognose nicht schwer: Daraus wird wohl wieder nichts.
Moment, es gibt da nämlich einen Unterschied zu den vorherigen Bewerbungen. Nürnberg, aufgespannt zwischen den Polen „Dürer“ und „Führer“, wäre zweifellos ein maximal spannender Ort als Kulturhauptstadt gewesen. Und dass der Saal 600, Wiege des modernen Völkerstrafrechts, in diesen Zeiten mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, können nur Ahnungslose in Zweifel ziehen.
SZ Bayern auf Whatsapp
:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren
Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.
Nun aber, Nürnberg als „Unesco City of Literature“? Selbst beim Konsum stimmungsaufhellender Substanzen bleibt da die Frage: echt jetzt?
Andererseits wird ja womöglich gerade dann etwas daraus, wenn wohl selbst der größte Nürnberg-Fan weltweit, Markus S., nicht mit einem Titel rechnet. Wie skurril Jurys mitunter ticken, eher den Bedarf honorierend als vorhandenes Potenzial – das immerhin wissen sie in Nürnberg zur Genüge.
Heidelberg ist eine der mehr als 50 Städte weltweit, die sich „City of Literature“ nennen dürfen. Wer auch nur ein paar Tage seines Lebens dort verbracht hat, wird wissen: sehr zu Recht. Die Stimmung verhagelt einem am Neckar eher die Frage, für welche der Lesungen man sich abends entscheiden soll. In Nürnberg? Oh doch, es gibt dort das „Literaturhaus“, mit dem die Stadt in ihrer Bewerbung wirbt. Betrieben aber wird es nicht mithilfe massiver öffentlicher Mittel wie in vergleichbaren Städten. Sondern von einer sich selbst ausbeutenden Truppe von Enthusiasten – während die Stadt für das Haus gerne mal einen „Kulturpreis“ locker macht und ansonsten andeutet: schön so weitermachen, unentgeltlich.
Aber es gibt doch das Poetenfest, kommendes Wochenende wieder, das schönste spätsommerliche Literaturfestival der Republik? Ganz recht. Nur eben in Erlangen. Der Beitrag Nürnbergs? Liegt ziemlich exakt bei null.
Es gibt auch Gründe für den Literaturtitel – die liegen in der Zeit aber alle sehr lang zurück
Um fair zu bleiben: Dass es in Nürnberg kein literarisches Leben gibt, das einer Halbmillionenstadt angemessen wäre, liegt nicht allein an der Kommune. In München und Frankfurt etwa spielen die Literaturhäuser in einer komplett anderen Liga, nur hat man dort ganz andere finanzielle Möglichkeiten. Und dass in Nürnberg kein einziger großer Belletristikverlag beheimatet ist, liegt auch nicht an der Stadt allein.
So ist es womöglich sogar gewitzt, mit so einer Bewerbung darauf aufmerksam zu machen, was man alles hat (nun ja: hatte). Zentrum des Buchdrucks war man, im Mittelalter. Hatte die älteste Papiermühle nördlich der Alpen. In Nürnberg wurde die älteste kommunale Bibliothek gegründet, die älteste Buchhandlung in Deutschland eröffnet. Sogar ein Verlagszentrum war man mal. Gut, im 15. und 16. Jahrhundert. Und dann noch, hey: Hans Sachs!
Keine Frage, die Stadtbibliothek mit Café samt grünem Innenhof ist toll. Und natürlich gibt es in Nürnberg eine literarische Szene, wenn sie auch arg überschaubar ist.
Ist diese Bewerbung ein Witz? Nein. Mehr als abgelehnt werden kann man ja nicht. Zumal Bedarf für ein pulsierendes literarisches Leben in Nürnberg hinreichend vorhanden ist. Wenn’s der Jury also wieder darum gehen sollte primär – stünde einem Zuschlag im Herbst absolut nichts im Wege.