Leipzig. Einst waren sie einander alles: Sonja, genannt Sonne, und Jana von Mond, eben „die Mond“, fanden zusammen einen Halt, den sie so dringend brauchten. Beide waren als Schülerinnen durch das gemeinsame Trauma, frühzeitig zu Waisen geworden zu sein, miteinander verbunden. In diesem brutalen Verlust waren Sonne und Mond einander Trost und Nächste.
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Als beste Freundinnen starteten sie eine Bühnenkarriere, bis eine die gemeinsame Umlaufbahn verließ: Jana nutzte ihre Chance, groß herauszukommen. Auf dem Weg nach oben war kein Platz mehr für Sonja, die diesen Verrat nicht verzeihen und verschmerzen konnte.
Ein Wiedersehen im Beerdigungsinstitut
Jahre später treffen Sonne und Mond wieder aufeinander – unter delikaten Umständen: Sonja führt mittlerweile ein alternatives Bestattungsunternehmen und soll nun ausgerechnet die Beerdigung für den Mann ihrer einst engsten Vertrauten übernehmen.
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Das ist alles schon heikel, noch dazu, weil der Verstorbene samt Geliebter verunglückt ist, und es eine Trauerfeier für zwei werden soll. Abgesehen davon sinkt Janas Stern am Comedy-Himmel, und der Boulevard ist hinter ihr her. Ausgerechnet bei Sonja will sie sich verstecken.
Chris Kraus hat mit „Die Sonne und die Mond“ einen Roman über Liebe, Trauer, Verlust und Verzeihen vorgelegt.
Quelle: Maurice Haas / © Diogenes Verlag
Wie sich beide Frauen dabei begegnen, alte Wunden aufbrechen und Annäherung geschieht, beschreibt Chris Kraus in seinem neuen Roman „Die Sonne und die Mond“. Und wie: Liebevoll nähert er sich seinen Figuren, trotz oder gerade wegen all ihrer Fehltritte.
Die Skepsis und die Vorsicht, mit der Sonja ihrer einst besten Freundin begegnet, sind zutiefst menschlich. Alle Abwehrversuche scheitern – das, was beide verbindet, trägt auch über die lange Zeit der Distanz.
Wunsch nach Nähe und Angst vor Schmerz
Dieses Ringen um neuerliche Nähe, die Angst vor wiederholter Enttäuschung, das Sehnen nach Zugehörigkeit – das kann Chris Kraus wunderbar erzählen. Das hat er bereits vielfach als preisgekrönter Drehbuchautor („Die Blumen von gestern“ oder „Vier Minuten“) und in seinen Romanen wie dem Familienepos „Das kalte Blut“ bewiesen.
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Sein neues Buch ist seiner verstorbenen Frau gewidmet. Durch die Arbeit mit ihrem Bestatter bekam der Autor einen Einblick in dessen Arbeit, berichtet von warmer Zuwendung und Empathie, mit der die letzte Reise der großen Liebe begleitet wurde. Eigenschaften, die er im Buch Sonja verleiht: Zugewandt und fürsorglich kümmert sie sich um Todesfälle und hilft so, die Brutalität des Abschiedes zu lindern.
Traumata wie Glutnester
Hier zeigt sich, wie wichtig Rituale und Respekt am Ende sind – im Sinne der Verstorbenen, aber auch der Hinterbliebenen. So ist es gerade der Umgang mit den Toten, in den Sonja eine Wärme legt, die sie ihrer wieder aufgetauchten Freundin Jana zunächst nicht geben kann. Beide suchen nach einem Neuanfang, nach Vergebung, auch sich selbst gegenüber. Doch wir sind, was wir waren, und so ist es nicht leicht, sich wieder unbefangen zu begegnen. Unmöglich ist es aber nicht. „Alle inneren Probleme, die wir Menschen haben, gründen fast immer in dem, was uns einst widerfahren ist, was uns geprägt, gebeugt oder sogar gebrochen hat“, sagt Chris Kraus.
Humor ist das Schönste am Menschen, das Trotzigste, so ein sanfter, paradoxer Widerstand. Humor ist das Menschliche schlechthin.
Chris Kraus
Autor
In „Die Sonne und die Mond“ werden alte Traumata wie Glutnester aufgerissen und doch steht über allem die Frage, ob und wie man Verletzungen überwinden kann. Man wünscht es den Figuren, die beim Lesen ans Herz wachsen, jedenfalls sehr.
Bevor es zu bitter wird: Humor als Rettungsanker
Trotz allem gibt es eine Leichtigkeit, einen feinen Humor in dem Roman. Immer dann, wenn es zu schmerzlich wird und sich eine erschütternde Direktheit ausbreitet, tritt Chris Kraus der Trauer mit Komik entgegen. Da sind die schrägen Typen im Berliner Beerdigungsuniversum oder Sonjas Sohn, dessen Schildkröte mit Sekundenkleber auf ein Mini-Skateboard fixiert wird und so durch die gut gesicherte – das Kind ist Bluter – Wohnung rollt.
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„Humor ist das Schönste am Menschen, das Trotzigste, so ein sanfter, paradoxer Widerstand. Humor ist das Menschliche schlechthin“, sagt der Autor, der diesen Humor im Buch mit der Dunkelheit der Ereignisse in Balance bringt und die Güte seiner Charaktere trotz aller Widrigkeiten zeigt.
„Die Sonne und die Mond“ ist eine eindrucksvolle, oft schonungslose Auseinandersetzung mit Verlust, Loyalität und der Frage, wie man trotz großer Brüche und tiefen Schmerzes weiterlebt. Ein Roman, der Trauer nicht romantisiert, sondern menschlich, nahbar und gelegentlich auch komisch erzählt.
Cover „Die Sonne und die Mond“ Diogenes
Quelle: diogenes
Info: Chris Kraus: Die Sonne und die Mond. Roman. Diogenes; 608 Seiten, 25 Euro
LVZ