Berlin. Ja, nein, doch nicht, nun doch: Die Posse um die Mohrenstraße wird lange nachwirken. Ein ungewöhnlicher Vorschlag zum Umgang damit.

Ach, was sind da wieder für Chancen vergeben worden! Ich gebe zu, ich war heimlicher Fan der „Möhrenstraße“. Pragmatischer und vor allem amüsanter wäre Berlin das Problem doch kaum losgeworden, das die Hauptstadt seit Jahrzehnten in Wallung bringt wie sonst nur, sagen wir, Tempolimits.

Insgesamt wohl seit 25 Jahren streitet man sich um einen heute rassistisch interpretierten Straßennamen. Den auch ich, um ehrlich zu sein, schwierig finde. Niemand möchte zu seiner Adresse immer eine historische Abhandlung parat haben müssen. Umgekehrt lässt sich Geschichte nicht tilgen, schon gar nicht durch die Umbenennung von Straßen. Ehrlich gesagt: Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft die Mohrenstraße neu benannt werden sollte, dann wieder doch nicht, wie viele Gerichtsentscheidungen und illegale Umbenennungsversuche es gab, bis nun am Freitagabend der endgültige Vollzug angekündigt wurde.

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Umbenennung der Berliner Mohrenstraße

Die Möhrenstraße wäre zu schön gewesen! Eine Ohrenstraße hätte ich auch gut gefunden. Um mit dem – zunehmend zum Denglisch tendierenden – Zeitgeist zu gehen, hätte sich vielleicht auch eine No-more-Mohrenstraße empfohlen. So hätte man einerseits den Mohr erhalten, von dem sich die einen nicht trennen wollen. Andererseits wäre der berlintypischen Protesthaltung ein Denkmal gesetzt worden, die ja zur Hauptstadt-DNA gehört.

Drittens hätte jeder Besserwisser sich an Begriffen wie „Oxymoron“ oder „Litotes“ versuchen können: Ein Straßenname, der etwas tilgen soll, es dadurch aber nur noch deutlicher hervorhebt: Nicht übel! Oder doch eher bittersüß? Auf jeden Fall: ein Dilemma.

Ein Straßenname, der etwas tilgen soll, es aber nur deutlicher hervorhebt

Möhrenstraße statt Mohrenstraße Mitte

Möhrenstraße statt Mohrenstraße: Um die Umbenennung der Straße in Berlin-Mitte wurde zu lange gestritten – und mit zu wenig Humor, findet die Kolumnistin.
© BM | Uta Keseling

Wie auch immer: Die Mohrenstraßen-Posse hatte genau diesen Effekt. Je lauter um seine Abschaffung gestritten wurde, desto monströser wurde der Mohr, der nun durch einen Bandwurmstraßennamen abgelöst wird. Die Anton-Wilhelm-Amo-Straße mag moralisch ihre Berechtigung haben. Praktisch gesehen dürfte sie zumindest bei Anwohnern und Nutzern des ebenfalls umzubenennenden U-Bahnhofs für Ärger sorgen. Und somit dafür, dass uns der Berliner Problemmohr weiter erhalten bleibt.

Wie soll man mit dem Thema umgehen? Meine Empfehlung, allen Ernstes: mit Humor. Also jener Disziplin, in der Berlin wirklich Welthauptstadt ist. Nehmen wir nur mal die Nachrichten der vergangenen Wochen. Am Donnerstag fuhr eine S-Bahn ihre Fahrgäste versehentlich auf ein Abstellgleis. Nicht irgendwo am Rande der Stadt, sondern zentral, aus Lichtenberg. Kann ja mal passieren? Klar, in Berlin!

Schon am 10. August haben zwei Berliner bei Rüdesheim im Rhein ihr Sportboot in den Sand gesetzt. Ursache seien mangelnde Ortskenntnisse gewesen, berichtete jetzt der Rbb. Berlintypisch, so sehen zumindest die Fotos aus, waren die Hauptstadtskipper mit einem schrottigen Kahn unterwegs. Was den Rbb zu einem weiteren Berlinwitz veranlasste: „Zu-verschenken-Kiste im Rhein… oder so“, schrieben sie auf Facebook – bezogen auf eine Nachricht vom August, die ihrerseits zu „Berlin-mal-wieder“-Witzen geführt hatte.

Es gab noch mehr Nachrichten aus Berlin als Stadt der Deppen

Ja, der Senat hat ein weiteres Mal angekündigt, jetzt aber wirklich Ernst zu machen mit dem ausufernden illegalen Müll in Berlin. Eine weggeworfene Zigarettenkippe kann demnach 250 Euro Bußgeld nach sich ziehen. Illegal abgelagerter Sperrmüll soll sogar 4000 statt wie bisher 150 Euro kosten. Auch die Berliner „Zu-verschenken“-Kiste auf dem Gehweg gilt dann als das, was sie ist: Müll.

Aber, Sie ahnen es: Wir sind nicht in Singapur. Der Berliner Bußgeldkatalog muss erst noch mit den Verwaltungen „abgestimmt“ werden. Dann wird vermutlich gestritten, wer sich um den Müll kümmert. Und statt mit der Höchststrafe kann ein Müllsünder auch erstmal nur mit einer Verwarnung belegt werden: 55 Euro. So viel wie bisher.

Vergangene Woche hatte ich mich über die Flut der (Fake-)Videos beschwert, in denen Berlin als Stadt der Deppen dargestellt wird. Okay, vielleicht waren die Schlagzeilen dieser Woche nur ein Versuch, auch in echt mitzuhalten. Aber jelacht hamwa doch. Oder?

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