Reportage

Stand: 24.08.2025 14:03 Uhr

Während Russland seinen Angriffskrieg weiter führt, bleiben Museen für viele Menschen in der Ukraine ein wichtiger Ort. Auch in der Kultur zeigt sich der Kampf um eine eigenständige Identität.

Von Niels Bula, ARD Studio Kiew

Mykola Lukin läuft über den Platz vor dem Nationalen Kunstmuseum in Odessa. Der rote Palast aus dem 19. Jahrhundert gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Statt Glasscheiben hängen Holzspanplatten in den Fenstern – Folgen eines russischen Angriffs auf die Hafenstadt im November 2023.

Damals schlug eine Rakete auf dem Gelände ein und hinterließ einen tiefen Krater in der Erde. Auch die Fenster, Wände und Decken des Museums wurden beschädigt. Für Kurator Lukin war es damals ein Schock: „Ich fühlte mich wie krank, denn ich arbeite in diesem Museum, ich kenne es aus meiner Kindheit. Ich dachte erst, dass es nun das Museum nicht mehr länger geben wird, denn die Fotos sahen absolut furchtbar aus.“

Doch der Wiederaufbau gelang mithilfe von vielen Freiwilligen. „Museen sind sehr wichtige Punkte auf der Landkarte von Odessa, die ganze Generationen von Künstlern vereinen“, sagt Lukin heute. „Die Künstlergemeinschaft hier hat ihre eigenen unterschiedlichen Gruppen und Konflikte, aber Ereignisse wie diese bringen alle zusammen. Das waren wirklich dramatische Tage.“

Tausende Denkmäler und Kultureinrichtungen beschädigt

Immer wieder werden auch Kulturstätten in der Ukraine von russischen Angriffen getroffen. Bis Juli 2025 zählte das Kulturministerium 1.500 Kulturdenkmäler und 2.300 Kultureinrichtungen, die im Krieg beschädigt oder zerstört wurden.

Besonders große Verluste gab es in den Regionen Donezk, Charkiw und Cherson. Damit Kunstwerke und Ausstellungsobjekte nicht vernichtet werden, wurden bereits viele an anderen Orten in Sicherheit gebracht.

Die Sorge um die Kunstwerke ist groß. Hier bringen Mitarbeiter des Andrej-Scheptyzkyj-Nationalmuseums in Lwiw kurz nach Kriegsbeginn eine Ikonostase aus einer orthodoxen Klosterkirche in Sicherheit.

Auch Exponate aus dem Kunstmuseum in Odessa wurden weggeschafft. Einige Rahmen und Wände bleiben deswegen leer. Und trotzdem lebt das Museum weiter.

Neue Ausstellung spiegelt Geschichte der Ukraine wider

Erst im Juni eröffnete Lukin eine neue Ausstellung. Sie zeigt Arbeiten von Studenten der Staatlichen Kunsthochschule Grekow, der ältesten Kunsthochschule der Ukraine. Der Kurator äußert sich zufrieden: „Wenn man durch diese Räume läuft, sehen wir die Entwicklung dieser Bildungsinstitution. Und besonders interessant: Wir können auch die Geschichte der Ukraine nachverfolgen.“

Seine Ausstellung heißt Plejaden, benannt nach dem Sternhaufen. Jedes Werk ist wie ein einzelner Stern, entstanden unter den Umständen seiner Zeit. Und doch eint alle, dass sie in der selben Bildungseinrichtung geschaffen worden.

Zarenreich, Sowjetunion, unabhängige Ukraine

Anlässlich des 160. Geburtstages der Hochschule hat Lukin mehr als 300 Objekte ihrer Studenten zusammengetragen. Grafiken, Gemälde, und Keramiken. Von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis in die 1990er Jahre: Zarenreiche, Sowjetunion und unabhängige Ukraine.

Die Ausstellung erzählt vom Streben nach einer unabhängigen, eigenen Kultur, von Terror und Verfolgung, aber auch von Anpassung und Propaganda, etwa in der Sowjetunion. Das gefällt nicht allen Besuchern, erzählt Lukin. Manche Artefakte seien sehr unangenehm.

„Geschichte darstellen, wie sie ist“

„Wir haben bereits eine Reihe von negativen Meinungen zu einigen der Objekte erhalten. Aber dennoch ist dies unsere Geschichte“, so Lukin. „In einem so kritischen und dramatischen Moment für unser Land ist es sicherlich notwendig, sie kompromisslos zu zeigen, zu erforschen, auszustellen – und damit die Geschichte so darzustellen, wie sie ist.“

Christina Ratuschna sieht sich in der Ausstellung um. Sie ist aus Kiew angereist und besucht gerade einen Freund in Odessa. Gerade jetzt in Zeiten des Krieges müsse man sich mehr mit Kunst beschäftigen, findet sie: „Wir spüren das umso stärker, weil wir einig sein wollen, weil wir mehr über unsere Identität erfahren wollen, insbesondere durch Schriftsteller, Künstler und Fotografen.“

Die Museumsbesucherin schlägt auch eine Brücke von der Kultur zur Außenpolitik: „Jetzt ist eine Zeit, in der die Ukrainer der Welt stärker erklären müssen, dass die Ukraine nicht Russland ist, dass Russland in der Vergangenheit und auch heute ukrainische Schriftsteller und Künstler entweder für sich beansprucht oder sie einfach tötet.“

Normalität im Kriegsalltag

Und dann sei so ein Ausstellungsbesuch einfach ein Stück Normalität im Kriegsalltag, erzählt Anastasia Rjahusowa, eine andere Besucherin: „Das ist sehr wichtig. Das ist sehr unterstützend, inspirierend, gibt Hoffnung, dass das Leben weitergeht und wir weiterkämpfen und an unsere beste Zukunft glauben.“

Doch so wichtig Kunst gerade auch für viele Menschen im Krieg ist, in manchen Momenten tritt sie dann doch wieder in den Hintergrund. Statt Kulturveranstaltungen bietet das Museum am Unabhängigkeitstag kostenlose Erste-Hilfe-Kurse an. Es soll darum gehen, wie man schnell Blutungen stoppen kann. Man lebe in Kriegszeiten, heißt es auf der Instagram-Seite des Museums. Es gehe nicht um Wissen, sondern um die Bereitschaft, sich gegenseitig das Leben zu retten.