Die Meldung hat in der Vorwoche für Aufsehen gesorgt. Der Grazer Technologiekonzern AVL List baut an seinem Stammsitz rund 350 Beschäftigte ab. Dies soll über die nächsten Monate und „maßvoll“ erfolgen, über natürliche Fluktuation oder auch Altersteilzeitmodelle. Ein Sozialplan soll erstellt werden.
Im KURIER-Interview erklärt Unternehmenssprecher und Chief Human Resources Officer Markus Tomaschitz die Hintergründe.
KURIER: Was waren die Gründe für diesen relativ großen Jobabbau?
Markus Tomaschitz: Es ist ein perfekter Sturm, bei dem alles aus negativer Sicht zusammenkommt. Zum einen verunsicherte Endkunden, die noch immer nicht wissen, welches Auto mit welcher Antriebsform sie kaufen sollen – Verbrenner, Elektro oder Hybrid oder soll er gar schon in den Wasserstoff gehen? Aus diesem Grund verschieben viele Konsumenten ihren geplanten Autokauf. Das führt am Ende des Tages bei unseren Kunden dazu, ihrerseits wiederum das ein oder andere Projekt zu verschieben. Diese allgemeine Verunsicherung trifft auf eine US-amerikanisch dominierte Handels- und Zollpolitik, bei der sich im Wochenrhythmus Regularien und Rahmenbedingungen ändern. Nichts ist schlimmer als permanente Neuerungen.
Was noch?
Wir haben in den letzten Jahren eine Lohnpolitik in Österreich gehabt, die geprägt davon war, die inländische Inflationsrate zu kompensieren. In Unkenntnis dessen, dass ein Großteil der österreichischen Industrie im internationalen Wettbewerb steht. Die Lohnstückkosten laufen aus dem Ruder. So effizient kann man gar nicht mehr werden. Und zudem müssen wir sehr viel in die Transformation investieren.
Wie viel im Jahr?
Es waren seit 2018 über 500 Millionen Euro vor allem für die Mobilitätswende. Wir sind ein sehr forschungsgetriebenes Unternehmen, wir stehen an der vordersten Front und müssen in Vorleistung treten, um Up to date zu bleiben. Mindestens 10 Prozent des Umsatzes fließen in die Forschung.
Welches der angeführten Probleme wiegt für AVL List am schwersten?
Nachdem wir ein sehr personalintensives Unternehmen sind, sind es die gestiegenen Lohnstückkosten infolge der kollektivvertraglichen Erhöhungen der letzten Jahre. Wahrscheinlich würden andere Zulieferbetriebe die Energiekosten mindestens als gleich starken Faktor nennen. Bei uns spielen sie eine untergeordnete Rolle, weil wir weniger eine Produktion, sondern eine Montage von fertigen Teilen haben.
Was wäre ihr Wunsch an die Lohnverhandler?
Meine Hoffnung ist, dass die Sozialpartner angesichts der konjunkturellen Lage nicht nur die Inflationsrate heranziehen. Sondern mit kühlem Kopf und differenziertem Blick sagen, die österreichische Industrie steckt im internationalen Wettbewerb. Man kann nicht nur die nationalen Inflationsraten als Grundlage für Lohnerhöhungen heranziehen. Ich bin guter Dinge, dass die Sozialpartner dies bei den Verhandlungen berücksichtigen und an den Standort denken. Ich würde mir wünschen, dass nicht jede Diskussion ein Kulturkampf wird. Und nicht nur die „armen Arbeiter“ gegen die „reichen Unternehmer“ ausgespielt werden – das ist nicht mehr zeitgemäß. Davon hat niemand etwas.
Sind Verlagerungen zu anderen AVL-Standorten Thema?
Natürlich denkt man darüber nach, aber es steht nicht im Vordergrund. Wir haben hier tolle universitäre Partner vor Ort. Aber wenn wir über Jahre zu den Lohnerhöhungen keine äquivalente Produktivitätserhöhung sehen, ist jedes Unternehmen irgendwann gefordert, an Alternativen zu denken.
AVL List ist ja kein Einzelfall in der Branche. Hat Österreichs Industrie zu sehr auf die Autoindustrie gesetzt?
Das glaube ich nicht, weil ja Aufträge da waren und wir mit unseren Produkten qualitativ und preislich wettbewerbsfähig waren. Das Problem ist, dass die Transformation politisch grundlegend falsch aufgesetzt worden ist.
Inwiefern?
Professor List (der langjährige Unternehmenschef Helmut List, Anm.) hat über Jahre Technologieoffenheit eingefordert. Für manche heißt das „Er will ja nur den Verbrennungsmotor.“ Nein! Aber wenn wir keine Infrastruktur haben – eine grundlegende Voraussetzung für Elektromobilität – und wenn der Strom nicht rein aus nachhaltigen Quellen kommt und sich die Verunsicherung über Jahre hochschaukelt, dann kann man die besten Elektroautos bauen, aber die Menschen werden sie nicht kaufen. Man war in Europa mit dieser Verbotsthematik am völlig falschen Weg. Mit Verboten schafft man den Umstieg nicht. Das wurde sehr stark ideologisch, aber nicht rational angegangen. Man kann an den Kundenwünschen vorbei Verbote aussprechen, das lassen sich die Menschen nicht gefallen. Die Suppe haben wir uns in Europa selbst eingebrockt.
Die EU hat aber offenbar erkannt, dass sie überschießend vorgegangen ist. Denken Sie, dass es jetzt wieder in die andere Richtung geht?
Ja, wenn man es wirklich rational und mit Hausverstand angeht. Niemand will die Umwelt zerstören. Ziel muss CO2-freie Mobilität sein. Nur braucht es eine Menge an Investitionen und Verständnis für physikalische und chemische Vorgänge.
Wie sehr ist AVL List von den neuen US-Zöllen betroffen?
Wir direkt weniger, aber unsere Kunden stark. Und damit spüren wir es auch.
Wer ist konkret vom Jobabbau in Graz betroffen?
Es wird sehr differenziert vorgegangen. Man kann davon ausgehen, dass die Umbrüche insbesondere dort stattfinden, wo es einen starken Verbrennungsmotoranteil gibt. Es trifft querbeet alle Qualifikationen – von Akademikern, HTL-Ingenieuren bis hin zu Facharbeitern mit einer abgeschlossenen Lehre oder Meister. Es gibt aber eine positive Nachricht: Es haben sich bei uns 18 Firmen gemeldet, nicht nur rein aus dem Automotive-Bereich, die dringend Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern haben. Wir gehen daher davon aus, dass viele unserer Mitarbeiter sofort wieder bei anderen Betrieben unterkommen. Und das in einer konjunkturell nicht gerade leichten Zeit.
Wie hoch ist der Automotive-Anteil bei AVL List?
Circa dreiviertel des Umsatzes von rund 2 Milliarden Euro im Jahr.
Planen Sie eine weitere Diversifizierung?
Ja, natürlich. Für uns ist das Thema Schiffe sehr interessant, weil gerade im Bereich der Umweltgesetze vieles auf Reedereien zukommt. Auch bei Flugzeugen und Lkw können Ausstoß und Verbrauch deutlich reduziert werden. In den Bereichen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und autonomes Fahren konnten wir schon sehr viel Kompetenz aufbauen. Auch der Defence-Bereich wird immer spannender und das Thema Drohnenantriebe kann zu einem Thema werden.
Wie wird es in der Branche in den nächsten Monaten weitergehen?
Es wird vor allem davon abhängen, ob wir eine konjunkturelle Erholung und die Menschen wieder Zuversicht haben. Die Sparquote ist sehr hoch, das ist immer ein Zeichen von Verunsicherung bei den Kunden. Es gibt große Nachholeffekte im Bereich Autokauf. Noch so ein paar Jahre würden wir uns gerne ersparen.