Anas Modamani mag Selfies. Auch zehn Jahre nach seinem berühmt gewordenen Selfie mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel schaut der aus Syrien stammende junge Mann öfter mal lächelnd in Smartphones. „Also damals habe ich Selfies mit Angela Merkel gemacht. Heute machen die anderen Selfies mit mir, und das freut mich“, sagt der 27-Jährige. Immer wieder werde er auf der Straße angesprochen für ein gemeinsames Foto.
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Modamani ist der vielleicht bekannteste Syrer in Deutschland. Kurz nach seiner Ankunft in Berlin gelingen ihm im September 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft Handy-Fotos mit Besucherin Merkel. Presse-Fotografen halten diesen Moment und Aufnahmen von Merkel-Selfies anderer Geflüchteter fest – die Bilder gehen viral und erreichen Medien in aller Welt. Sie stehen für die Willkommenskultur, die 2015/2016 angesichts Hunderttausender Flüchtlinge das Land prägte.
Voll des Lobes für Merkel
Noch heute zeigt Modamani sein Foto stolz auf seinen Social-Media-Kanälen, auf denen er sehr aktiv ist und Zehntausende Follower hat. „Das Selfie mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel bedeutet für mich sehr viel. Sie hat mein Leben gerettet, genauso wie das vieler anderer Menschen, die aus Syrien hier nach Berlin gekommen sind, in ganz Deutschland“, sagt er. „Sie ist die stärkste Frau in meinen Augen.“ Vor kurzem erst habe er sie wieder getroffen – zu einem Kaffee in ihrem Büro in Berlin.
Merkel selbst schildert in ihrem Buch „Freiheit“, wie ein Geflüchteter an jenem Tag an sie herantrat und mit dem Wort „Selfie“ sein Handy hochhielt. „Ich hatte in dem Moment nicht die geringste Vorstellung davon, welche Wellen dieses Bild und weitere Selfies schlagen würden, die ich an diesem Tag zuließ, sondern dachte: Warum nicht?“ Merkel war danach vorgeworfen worden, mit den Bildern andere Menschen zur Flucht nach Deutschland animiert zu haben. Sie könne das bis heute nicht nachvollziehen, schreibt sie in dem Buch.
„Teil der Zukunft Deutschlands“
Die CDU-Politikerin prägte Ende August 2015 angesichts des starken Andrangs geflüchteter Menschen den Satz „Wir schaffen das“. Modamani sagt heute: „Ja, ich habe es geschafft.“ Deutsch lernen, eigenes Geld verdienen als Paketbote oder im Supermarkt, Studium der Medienwirtschaft, deutsche Staatsbürgerschaft, jetzt Videojournalist bei der Deutschen Welle: Der 27-Jährige, der als Teenager ohne seine in Syrien zurückgebliebene Familie nach Deutschland kam, legte hierzulande eine Art Turbo-Integration hin.
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„Am Anfang war es schwer“, sagt er. „Neue Sprache, neue Kultur, neue Gesetze. Aber ich habe gelernt, nie aufzugeben.“ Und er stehe damit nicht allein. „Viele Syrer haben Unternehmen gegründet, Arbeitsplätze geschaffen und zahlen heute Steuern wie jeder andere.“ Viele seien Ärzte, Ingenieure, Journalisten. „Wir tragen zum Erfolg Deutschlands bei. Wir zeigen: Syrer sind nicht nur Geflüchtete, wir sind Teil der Zukunft Deutschlands.“
Die Worte klingen wie aus dem Mund eines Politikers. Ein politischer Mensch, eine hörbare Stimme ist er auf jeden Fall. Auf Social Media veröffentlicht er gemeinsam mit Mitstreitern in dichter Folge Videos, in denen er arabische Zuwanderer – überwiegend in ihrer Muttersprache – über ihren Alltag, Erlebnisse, Erfolge, Niederlagen, Sorgen und Nöte berichten lässt.
Dokumentarfilm in Arbeit
„Ich will den Leuten ein realistisches Bild von Deutschland vermitteln“, sagt er. Europa sei kein Paradies, man könne auch scheitern. „Es reicht nicht aus, wenn Du einfach in das Land hier reinkommst. Dann musst Du selbst hart an Dir arbeiten“, lautet Modamanis Botschaft an seine fast 170.000 Follower bei Tiktok und gut 91.000 Follower bei Instagram. Er erreicht damit auch Menschen in Syrien. „Viele fragen mich: Wir wollen nach Deutschland kommen. Wie ist das? Und ich sage: „Hey, guck Dir mal ein Video an.““
Ein neues Projekt hat Modamani im Blick, seinen ersten Dokumentarfilm. „Ich plane jetzt gerade die Skripte und andere Dinge. Und wir werden das im Winter vielleicht drehen.“ Er wolle zehn unterschiedliche Syrer in Deutschland vorstellen, sagt der Journalist. „Fünf haben es geschafft, fünf nicht.“
Nach Syrien, wo sich nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad im letzten Dezember vieles verändert hat, reist Modamani, um Eltern oder Geschwister zu besuchen. Dauerhaft zurück möchte er nicht. Zu sehr hängt er an Berlin und dem, was er sich hier aufgebaut hat. Und na klar: Zu sehr hängt er an seiner aus der Ukraine stammenden Freundin.
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„In Berlin ist mir einfach alles gegeben, was ich mir gewünscht habe“, sagt er. „Ich liebe Berlin, weil es ist Multikulti und das Essen ist lecker. Es gibt arabisches Essen, türkisches Essen, chinesisches Essen.“ Manche deutsche Ernährungsgewohnheiten findet Modamani indes auch nach zehn Jahren noch merkwürdig. „Ich kenne nur eine Art Brot, also die arabische Art. Aber die Deutschen haben Tausende Sorten von Brot.“ (dpa)