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Einer unserer Sinne versagt bei Alzheimer besonders früh. Eine neue Studie zeigt, wie der bisher unbekannte Mechanismus funktioniert.

Frankfurt – Was harmlos beginnt, könnte das erste Warnsignal einer Alzheimer-Erkrankung sein, und zwar Jahre bevor Gedächtnisprobleme auftreten. Forschende haben jetzt entschlüsselt, warum einer unserer Sinne bei Alzheimer so früh versagt, noch ehe die typischen Alzheimer-Symptome bemerkbar sind.

Hand eines Forschenden hält Probe vor Monitor mit Hirnscans. (Symbolbild)Eine neue Studie entschlüsselt, warum bei Alzheimer einer der Sinne bereits früh versagt. © IMAGO/Andrew Brookes

Ein Team des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat in einer Studie einen bislang unbekannten Mechanismus aufgedeckt. Demnach zerstört das körpereigene Immunsystem bereits im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung wichtige Nervenfasern, die für das Riechen zuständig sind.

„Fress-mich-Signal“ löst Riechverlust aus: Studie erklärt frühe Alzheimer-Warnsignale

Sie fanden heraus, dass Immunzellen des Gehirns, sogenannte Mikroglia, bei Alzheimer gezielt Verbindungen zwischen dem Riechkolben im Vorderhirn und dem Locus Coeruleus im Hirnstamm angreifen. Der reguliere eine Vielzahl physiologischer Mechanismen. Darunter die Durchblutung des Gehirns, Schlaf-Wach-Rhythmen und sensorische Verarbeitung. „Letzteres gilt insbesondere auch für den Geruchssinn“, erklärt Dr. Lars Paeger in einer Pressemitteilung des DZNE.

Der Angriff der Immunzellen erfolgt dabei nicht zufällig. Die Alzheimer-Erkrankung führt dazu, dass betroffene Nervenzellen überaktiv werden und abnorm feuern. Dies verändert ihre Zellwände: Der Fettstoff Phosphatidylserin wandert von der Innenseite nach außen. „Das Vorhandensein von Phosphatidylserin auf der äußeren Seite der Zellmembran ist als ‚Fress-mich-Signal‘ für Mikroglia bekannt“, so Paeger weiter.

Neue Studie könnte Alzheimer-Diagnostik revolutionieren: Immunsystem zerstört gezielt Riechnerven

Die Immunzellen interpretieren dieses Signal in der Folge als Auftrag, die vermeintlich defekten Nervenfasern zu beseitigen. „Infolgedessen werden sie von den Mikroglia abgebaut“, erklärt der Wissenschaftler. Die Erkenntnisse könnten die Alzheimer-Diagnostik revolutionieren – ähnlich wie eine App, die sich zurzeit in der Forschung befindet.

Professor Dr. Jochen Herms, Mitautor der Studie, betont laut DZNE: „Geruchsstörungen bei Alzheimer und Schädigungen der zugehörigen Nerven sind schon länger in der Diskussion. Doch die Ursachen waren bisher unklar.“ Die neuen Ergebnisse deuten nun auf einen immunologischen Mechanismus als Auslöser hin und insbesondere darauf, dass diese Vorgänge bereits im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit einsetzen.

Demenz im Alter vorbeugen: Zehn Tipps, mit denen Sie täglich Ihr Risiko senken könnenFrau hört über Kopfhörer MusikFotostrecke ansehenForscher untersuchen Alzheimer-Phänomen: Diagnose damit noch vor Gedächtnisverlust möglich

Etwa 85 Prozent aller Alzheimer-Patientinnen und Patienten entwickeln Riechstörungen, oft Jahre vor den ersten Gedächtnisproblemen. Die Forschenden untersuchten in ihrer Studie sowohl Mäuse als auch Hirngewebe verstorbener Alzheimer-Patientinnen und Patienten und bestätigten ihre Erkenntnisse mit bildgebenden Verfahren bei lebenden Probanden.

Besonders relevant sind die Ergebnisse für neue Alzheimer-Medikamente. Seit kurzem gibt es Amyloid-beta-Antikörper, die jedoch nur im frühen Krankheitsstadium wirken. „Unsere Befunde könnten den Weg bereiten, Patienten, die einen Morbus Alzheimer entwickeln, frühzeitig zu identifizieren“, so Herms.

Alzheimer-Behandlung: Frühe Diagnose erhöht Ansprechwahrscheinlichkeit auf Medikamente

Gelinge dies, könne man zu einer gesicherten Diagnose kommen, noch bevor kognitive Probleme auftreten. „Das könnte eine frühzeitigere Intervention mit Amyloid-beta-Antikörpern ermöglichen – mit entsprechend höherer Ansprechwahrscheinlichkeit“, so Herms.

Die Erkenntnisse könnte Ärztinnen und Ärzten also helfen, Alzheimer zu erkennen, bevor Patientinnen und Patienten selbst Symptome bemerken. Frauen sind übrigens insgesamt überproportional häufig von Alzheimer betroffen: Rund zwei Drittel der Erkrankten sind weiblich. (nana)