„Das Ruhrgebiet spricht“ heißt die Aktion, zu der vier evangelische Citykirchen in Dortmund, Essen, Bochum und Duisburg am vergangenen Wochenende interessierte, aufgebrachte, verdrossene, neugierige und engagierte Mitmenschen eingeladen hat.

In insgesamt 150 Vieraugen-Gesprächen sollten die sich auf einander und auf einen anderen Standpunkt einlassen. Zuvor wurden bei der Anmeldung im Internet anhand einiger Kernfragen Gesprächspaare einander zugeordnet, dabei sollten möglichst Menschen verschiedener Ansichten miteinander sprechen, statt übereinander.

„Es brodelt der Schmelztiegel Ruhrpott“, sagte Pfarrer Martin Winterberg bei der Begrüßung in Duisburg auf der Wiese hinter der Salvatorkirche, „und man kann durchaus den Eindruck haben, dass die Temperatur ansteigt.“ Winterberg betonte, auch im Hinblick auf die kommenden Wahlen, wie wichtig ein echter Austausch sei, dafür solle im Raum der Kirche so oft wie möglich Gelegenheit geboten werden.

Die Blase
verlassen

Ein bisschen Verwunderung erzeugten die stark unterschiedlichen Anmeldezahlen, in Dortmund kamen 118 Anmeldungen zustande, in Duisburg waren es nur 26. „Wir wissen nicht genau, woran das liegt“, sagte der Pfarrer im Gespräch, „aber wir geben nicht auf. Im Gegenteil, wir wollen uns umso mehr darum bemühen, dass die Menschen Lust bekommen, ihre Meinung im fairen Dialog zu sagen und ihre Blase zu verlassen, wenn sie denn in einer sind.“ 
 
Zu den angemeldeten Gesprächsteilnehmern kamen spontan noch einige dazu und wurden auf der Kirchwiese mit Akkordeonmusik, Kaffee aus dem Kirchenmobil der Pfarrei St. Johann und Grillwürstchen empfangen. Hanna Hassenjürgen und Julia Foth hatten sich beide gewappnet, falls sie im Gespräch auf einen Menschen mit sehr rechten Auffassungen gestoßen wären.

Aber sie verstanden sich auf Anhieb und sprachen über Diversität und darüber, dass die Stadt in sogenannte Problemviertel und bürgerliche Ecken zerfällt. Hoffnung macht beiden, dass sich immer noch viele Menschen gesellschaftlich engagieren und sich austauschen. Und mit Blick auf die AfD sagen beide: „Die Zeit der einfachen Wahrheiten ist vorbei.

Jetzt Gehör
verschaffen

Auch Oskar Mikulski (28) und Frank-Michael Rich (66) stellten bei aller Verschiedenheit doch viele Übereinstimmungen fest. „Man muss sich besseres Gehör verschaffen, denn es wird in unserer Gesellschaft nicht jedem gleich gut zugehört,“ sagt Mikulski, der mit Rich über Generationsprobleme, über die Bundeswehr und über Bildung gesprochen hatte. Da helft es nur, wenn man sich Gehör verschaffe. Ob man das als Presbyter in einer Kirchengemeinde tut, wie Rich oder sich bei der paneuropäischen Partei VOLT engagiert, wie Mikulski, das ist dabei zweitrangig. 
 
Jutta Eckardt und Karin Flesch bewegte gemeinsam eine Frage, die sich durch alle Gespräche zog, die auf der Kirchwiese geführt wurden. „Wir wollten doch alle mal mit einem AfD-Wähler diskutieren, wo sind die denn?“ fragten sie sich beide. Sie waren also „angenehm enttäuscht“ voneinander und sprachen „über Gott und die Welt“ miteinander.

Dass sie sich von der Politik nicht gesehen fühlen, darin waren sie einig. Und dass es gar nicht so leicht ist, die eigene Blase zu verlassen, das betraf auch beide. „Im eigenen Bekanntenkreis gibt es keine AfD-Wähler, wir dachten halt, die treffen wir hier.“

Politische
Entscheidung

Katharina (27) aus Dinslaken und Detlef (66) aus Walsum kamen gemeinsam zu dem Schluss, „dass die Leute oft nicht das Bewusstsein haben, dass eine politische Entscheidung etwas in ihrem Leben verändern kann.“ Katharina hatte sich auch auf eine hitzige Diskussion mit einer AfD nahen Person eingestellt. Nun fragt sie sich, warum die Leute, die doch im Internet immer so freigiebig mit ihren politischen Ansichten umgehen, diese Gelegenheit zum echten Austausch ungenutzt gelassen haben.
 
Auch das Fehlen der großen Gruppe von Duisburgern und Duisburgerinnen mit Migrationshintergrund fiel den Gesprächsteilnehmern auf. Josip Sosic, der in der Volkshochschule den Fachbereich der Politischen Bildung verantwortet, zeigte sich aber sehr zufrieden mit der konstruktiven Gesprächsatmosphäre. „Das soll ja erst der Anfang solcher Gespräche gewesen sein“, sagte er, „mal sehen, was sich daraus noch alles ergibt.“

Text: Sabine Merkelt-Rahm

Stichwort: „Das
Ruhrgebiet spricht“

„Das Ruhrgebiet spricht“ war eine gemeinsame Aktion der evangelischen City- und Stadtkirchen in Bochum, Dortmund (in Kooperation mit dem Theater Dortmund und der Diakonie), Duisburg und Es-sen. Es fand in dieser Form zum ersten Mal im Ruhrgebiet statt: am 22.8.2025 in Bochum und Essen, am 23.8.2025 in Dortmund und Duisburg (Infos unter https://dasruhrgebietspricht.de). 
 
Als Unterstützer wirkten mit der Regionalverband Ruhr, die Universität Duisburg-Essen und weitere starke Partner wie die Evonik Industries AG, die Sparkassen Essen und Dortmund und die Evangelische Kirche in Westfalen. Zahlreiche weitere Institutionen und Organisationen wie die AWO Essen, das Bistum Essen, die Diakoniewerke der vier Städte, Stadtbibliotheken, Volkshochschulen und weitere mehr unterstützten das Projekt tatkräftig. In Essen förderte außerdem das Unperfekthaus das Event. In Duisburg unterstützten „Das Ruhrgebiet spricht“ die Diakoniewerk Duisburg GmbH, die VHS und die Stadtbibliothek Duisburg und die Katholische Stadtkirche Duisburg die Aktion ebenfalls.