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Beim Joggen fällt Yanni Gentsch auf, dass ein Mann sie heimlich filmt. Ihre Reaktion wird zur viralen Botschaft gegen sexuellen Übergriff auf Frauen im öffentlichen Raum.
Die Kölnerin Yanni Gentsch ist joggen, als ihr auffällt, dass sie heimlich von hinten von einem Mann gefilmt wird. Gentsch reagiert instinktiv, stellt sich dem Mann in den Weg und hält den Vorfall schließlich selbst mit dem Handy fest. Das Video, das sie später veröffentlicht, geht viral. Im Interview mit t-online spricht sie über den Moment der Konfrontation, ihre Wut – und ihren Wunsch, mit ihrer Erfahrung Aufklärung zu leisten.
t-online: Frau Gentsch, erzählen Sie doch noch mal, was Ihnen im Februar während des Joggens passiert ist.
Yanni Gentsch: Es war Sonntag und ich hatte mir eine Strecke herausgesucht, die ich vorher noch nie gelaufen bin – eine Strecke entlang des Kalscheurer Weihers, und dann ist es auf dem Rückweg passiert. Dank der Abendsonne habe ich ganz dicht hinter mir einen Schatten gesehen – von einer Person auf einem Fahrrad.
Da denkt man sich erst mal nichts bei, oder?
Doch, in dem Fall schon. Es waren nämlich weit und breit keine anderen Personen zu sehen, sodass der Fahrradfahrer keinen Grund hatte, so dicht hinter mir herfahren zu müssen. Ich habe mich dann sofort reflexartig umgedreht, und dann hatte der Typ auf dem Fahrrad sein Handy in der Hand. Am Winkel habe ich dann genau gesehen, dass er nicht die Landschaft filmt, sondern mich. Zwischen dem Vorderrad des Fahrrads und mir waren maximal zwei Meter – und dann brauchst du nicht lange zu überlegen.
Und wie ging es dann weiter?
Was man auf dem Video nicht sieht: Wir haben erst einmal um sein Handy gerungen. Als ich sein Handy dann hatte, wurde aber schnell klar, damit er die Aufnahme löschen kann, muss ich ihm sein Handy wiedergeben. Das habe ich gemacht, mich aber gleichzeitig vor sein Fahrrad gestellt. Der Mann fuhr auf einem E-Bike, der wäre weg gewesen, wenn ich ihm nicht den Weg blockiert hätte.
Und dann haben Sie angefangen zu filmen?
Ja, dann fing er an, auf seinem Telefon das Video zu suchen, und dann habe ich mein Handy herausgeholt und gefilmt.
Direkt Ihr Handy zu zücken und zu filmen: War das ein Reflex von Ihnen oder sind Sie schon vorher solche Szenarien im Kopf durchgegangen und haben sich überlegt, was Sie dann machen?
Das war eine Impulsreaktion.
Hatten Sie in dem Moment Angst?
Nein, keine Angst. Es war Wut.
In dem Video sieht man, dass Leute an Ihnen vorbeigelaufen sind. Hat Ihnen niemand helfen wollen?
Die Passanten, die man in dem Video sieht, sind die einzigen, und die haben nicht reagiert. Es hat niemanden interessiert, was da gerade passiert.
Hätten Sie sich gewünscht, dass jemand stehen bleibt und Ihnen hilft?
Ich bin in dem Moment zum Glück gut allein klargekommen. Sicherlich hätte es die Situation verändert, wenn jemand stehen geblieben wäre. Aber wie genau, weiß man nicht. Trotzdem hätte ich mich gefreut. Würde ich das Gleiche beobachten und merken, dass da was komisch ist, würde ich auf jeden Fall stehen bleiben. Einfach Präsenz zeigen und der Person, die gerade ein Problem hat, vermitteln: Du bist nicht allein.
Der Mann hat Sie dann noch auf Ihre Kleidung angesprochen und suggeriert, dass Sie selbst schuld seien, wenn Sie enge Hosen beim Joggen tragen. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, dass Männer verstehen, dass die Kleidung von Frauen keine Einladung für sexuelle Belästigung ist?
Aufklärung über patriarchale Strukturen und das Aufbrechen dieser Strukturen. Aber das ist halt ein Riesenthema.
War Ihnen nach der Aufnahme sofort klar, dass Sie das Video veröffentlichen wollen?
Nein, der Gedanke kam erst später, als ich zu Hause war, und auch erst, nachdem ich mit zwei Freundinnen gesprochen hatte. Ihnen habe ich das Video gezeigt, und dann war klar, dass das Video keine Angriffsfläche auf meine Person bietet, sondern ein Paradebeispiel dafür ist, was Frauen regelmäßig passiert: sexuelle Belästigung. Die Veröffentlichung war dann für mich eine Art Therapie, um das zu verarbeiten.