Grimstad (Norwegen) – Sie erzählt die Geschichten, über die oft ein Leben lang geschwiegen wurde. Die Autorin Trude Teige schoss im Juli mit ihrem Roman „Wir sehen uns wieder am Meer“ direkt auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Es ist der dritte Band ihrer sogenannten „Großmutter-Trilogie“, in dem die Norwegerin über verschüttete Frauenschicksale im Zweiten Weltkrieg schreibt.

Und mehr noch: Über ihren Geschichten schwebt immer auch die Frage, wie Kriegserfahrungen sich über Generationen fortsetzen und wie traumatische Erlebnisse der Großeltern das Verhalten ihrer Kinder und Enkel bis heute prägen können.

Für „Als Großmutter im Regen tanzte“ recherchierte Teige in Deutschland, stieß auf den Ort Demmin (Mecklenburg-Vorpommern). Sie fand heraus, dass es dort kurz vor Ende des Krieges einen Massenselbstmord gab, rund 1000 Leute sich das Leben nahmen. Eine Geschichte, über die bis dahin nicht viel bekannt war

Bis heute veröffentlichte Trude Teige zwölf Romane und zwei Sachbücher. In Norwegen hielt sie sich damit zwei Jahre am Stück auf der Bestsellerliste. In Deutschland verkauften sich die Bücher ihrer Trilogie bislang rund 600.000 Mal, ihre Krimis (Aufbau Verlag) rund 150.000 Mal

Foto: Tine Poppe

Trude Teige lebt mit ihrem Mann Bjørn Skrattegård, Verhandlungsleiter beim norwegischen Arbeitgeberverband Spekter, am Oslofjord und an der Küste von Grimstad, im Süden Norwegens. Dort schreibt sie, am liebsten frühmorgens, mit Blick auf die stillen Schären. Die Luft ist klar, das Meer glitzert. Es ist eine friedliche Kulisse, und vielleicht braucht es genau die, um abzutauchen in eher dunkle Ecken der Geschichte und der menschlichen Seele.

In ihren Büchern schreibt sie über Ausgrenzung, Gewalt, Schuld und den Verlust von Zugehörigkeit – aus Sicht der Frauen. Im Gespräch mit BILD sagt Trude Teige: „Kriegsgeschichte handelt meist von Männern und wird von Männern erzählt. Es geht um Schlachten, Kämpfe und Schießereien. Ich erzähle, was es bedeutet, im Krieg Mutter zu sein, Entscheidungen zu treffen, für die Frauen verstoßen oder geächtet wurden. Diese Erzählungen sind genauso dramatisch – aber auf eine andere Art, auf einer Schicksalsebene.“

Inspiration fand sie in echten Lebensgeschichten

Viele ihrer Romane sind von echten Biografien inspiriert: Es sind Lebensgeschichten, die von Zerstörung, Scham und Traumata geprägt sind – und Narben hinterlassen haben, die noch in der Gegenwart spürbar sind. „Ich habe jahrelang vor allem nach Geschichten gegraben, die bislang noch nicht erzählt wurden“, sagt sie. Eine davon ist die von Anna Deichmann. Die Norwegerin verliebte sich im Zweiten Weltkrieg in einen deutschen Soldaten, folgte ihrer Liebe nach Hannover und wurde dafür in ihrer Heimat geächtet. Ihr wurde sogar die norwegische Staatsangehörigkeit entzogen.

Anna Deichmann kellnerte für deutsche Offiziere in einem Regiment nahe Tromsø. 1943 verliebte sie sich in den deutschen Soldaten Alfred. Das Paar heiratete nach Kriegsende 1945. Offiziell gab es rund 3000 norwegisch-deutsche Ehen, etwa 50.000 Paare. 2018 entschuldigte sich Norwegens damalige Ministerpräsidentin Erna Solberg (64) bei den sogenannten „Deutschenflittchen“

Anna Deichmann kellnerte für deutsche Offiziere in einem Regiment nahe Tromsø. 1943 verliebte sie sich in den deutschen Soldaten Alfred. Das Paar heiratete nach Kriegsende 1945. Offiziell gab es rund 3000 norwegisch-deutsche Ehen, etwa 50.000 Paare. 2018 entschuldigte sich Norwegens damalige Ministerpräsidentin Erna Solberg (64) bei den sogenannten „Deutschenflittchen“

Foto: Privat

Trude Teige bei der Leipziger Buchmesse – das Interesse an ihren historischen Romanen ist groß

Teige im März bei der Leipziger Buchmesse. Auch die Krimis, die sie zwischen den Teilen der „Großmutter“ Trilogie schrieb, sind begehrt. Zu BILD sagt sie: „Ich werde schreiben, solange mein Kopf klar ist“

Foto: Privat

Trude Teige: „Die meisten Frauen hatten jahrzehntelang nicht über ihre Geschichte gesprochen“

„Anna erklärte mir, wie das ihr ganzes Leben beeinflusst hatte“, erzählt die Schriftstellerin. „Dieses Schicksal hat mich zutiefst bewegt.“ Drei Jahre lang recherchierte Trude Teige in Archiven, wälzte historische Studien und fand andere Betroffene. „Ich führte viele bewegende Gespräche – die meisten Frauen hatten jahrzehntelang mit niemandem darüber gesprochen.“

Anna Deichmanns Geschichte verarbeitet Teige letztlich im ersten Teil ihrer Trilogie, „Als Großmutter im Regen tanzte“. Er erzählt die Geschichte der jungen Juni Bjerke, die nach dem Tod der Großeltern die Geheimnisse ihrer Familie aufspürt. Sie führt sie zurück in die Zeit der Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht, während der ihre Oma Tekla sich in den deutschen Soldaten Otto verliebte.

Im Februar 2023 erschien „Als Großmutter im Regen tanzte“ in Deutschland. Im März 2024 folgte „Und Großvater atmete mit den Wellen“, im Juli 2025 erschien der dritte Teil – „Wir sehen uns wieder am Meer“ (S. Fischer Verlage). Trude Teiges Werke wurden in viele Sprachen übersetzt

„Als Großmutter im Regen tanzte“ erschien 2015 in Norwegen, im Februar 2023 in Deutschland. Es folgten „Und Großvater atmete mit den Wellen“ (März 2024) und „Wir sehen uns wieder am Meer“ (Juli 2025, S. Fischer Verlag). Alle waren Bestseller. Die Romane wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt, darunter Arabisch, Kroatisch und Türkisch

Foto: S. Fischer

Auch um ein zweites unglaubliches Kriegsgeschehen geht es, über das bis heute nicht viel bekannt ist. Schauplatz ist die deutsche Stadt Demmin in Mecklenburg, in der es 1945 innerhalb weniger Tage zu Hunderten Selbstmorden unter Zivilisten kam. Aus Angst vor Vergewaltigungen und Pein durch die einrückenden sowjetischen Truppen, löschten sich ganze Familien aus, töteten sich und ihre Liebsten. Akte der puren Verzweiflung. Teige erzählt: „Ich stieß in einem norwegischen Buch aus den 40er-Jahren auf diese unvorstellbaren Grausamkeiten, konnte dazu aber nichts im Internet finden. Ich war erschüttert, weil ich nie davon gehört hatte, dachte, warum steht das nicht in den Geschichtsbüchern?“

Teige: „In Deutschland gab es eine Kollektivschuld“

Trude Teige reiste nach Demmin, recherchierte vor Ort, sprach mit den Leuten. Sie sagt: „In Ostdeutschland verboten die Kommunisten, darüber zu sprechen. Außerdem gab es eine Art Kollektivschuld. Sie trug offenbar dazu bei, dass das eigene Schicksal von einem kollektiven Schuldgefühl überlagert wurde. Generationen von Frauen schwiegen über das Erlebte, doch ihre Geschichten wirken sich bis heute auf ihre Familien aus.“

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Traumata der Eltern, wie Kriegstraumata, sogar biologische Spuren bei Kindern hinterlassen können. Teige erklärt: „Gutes wie Schlechtes, prägt uns. Wir sind das Ergebnis unserer Herkunft und Umwelt. Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen. Ihre Werte, ihre Art, anderen Menschen und dem Leben zu begegnen, wirkt sich auf uns Kinder aus. Eine traumatisierte Mutter kämpft häufig ein Leben lang mit ihren Erinnerungen. Unter diesem Schmerz leiden dann auch ihre Kinder.“

„Und Großvater atmete mit den Wellen“ erschien in Deutschland im März 2024, stieg auf Platz XX der Spiegel-Bestsellerliste ein. Es ist der zweite Teil der Trilogie, der jedoch für sich steht. Die Romane funktionieren unabhängig voneinander.  Trude Teige erzählt darin die bewegende Geschichte des jungen Norwegers Konrad, der auf Java in japanische Gefangenschaft gerät

„Und Großvater atmete mit den Wellen“ (Platz vier der „Spiegel“-Bestsellerliste) ist der zweite Teil der Trilogie, doch die Romane stehen für sich, müssen nicht in der Reihenfolge gelesen werden. Teige erzählt darin bewegend die Geschichte des jungen Norwegers Konrad, der auf Java in japanische Gefangenschaft gerät

Foto: FISCHER

Aus dem Fernsehstudio auf die Bestsellerliste

Mit ihren Geschichten traf sie einen Nerv. In Norwegen zählt Teige zu den bekanntesten Autorinnen des Landes. Ihre Bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt. Offizielle Verkaufszahlen gibt es nicht – aber allein in Deutschland dürften sie inzwischen deutlich in Richtung mehrere Hunderttausend gehen. Karriere machte sie zuvor als Fernsehjournalistin, und auch, wenn sie ihren ersten Roman erst mit knapp 50 Jahren veröffentlichte, so hat die Mutter dreier Kinder doch schon immer geschrieben. Sie erzählt: „Ich jonglierte mich durch den Alltag mit meinen Zwillingen und meiner kleinen Tochter, schrieb, wenn alle schliefen, beim Friseur oder im Auto, während mein Sohn Fußballtraining hatte.“

Trude Teige erzählt BILD: „Es ist immer die Journalistin in mir, die ein neues Buch startet. Ich suche Themen, die verschwiegen werden, buddele mich hinein. In meinen Krimis kritisiere ich gesellschaftliche Umstände, thematisiere Gruppen, denen Unrecht geschieht, wie ältere Menschen oder Missbrauchsopfer der Kirche“

Trude Teige veröffentlichte vor ihrer „Großmutter-Trilogie“ bislang sieben Krimis. BILD erzählt sie: „Darin kritisiere ich gesellschaftliche Umstände, thematisiere Gruppen, denen Unrecht geschieht, wie ältere Menschen oder Missbrauchsopfer der Kirche“

Foto: Stein J. Bjørge / Aftenposten / NTB

Bis heute veröffentlichte Teige, Tochter eines Fischers, zwölf Romane und zwei Sachbücher. Und auch wenn ihr Familienidyll am Meer in größtmöglichem Kontrast steht zu den Abgründen, über die sie schreibt, so sind ihre Bücher doch nicht komplett fern von ihrer Lebenswelt. Teige erzählt: „Ich liebe den Regen. Die Großmutter im Buch geht raus in den Regen, tanzt und sagt: ,Das Geräusch von Regen ist wie ein kleiner Applaus.‘ Genau so fühle ich es auch.“

Erfolg in Deutschland fühlt sich wie „Glücksschock“ an

Über ihre Karriere sagt sie: „Ich habe mehr, als ich mir je erträumt hätte.“ Ihren Erfolg in Deutschland kann die Autorin kaum fassen: „Ich bin in einer Art Glücksschock. Es fühlt sich an wie ein Traum“, sagt sie.

Allzu viel hat sich in ihrem Leben allerdings nicht geändert. „Von meiner deutschen Gage habe ich mir eine Vase gekauft, sie war nicht besonders teuer“, erzählt sie. Auch sonst sei alles beim Alten. „Ich fühle mich kein bisschen selbstsicherer als vorher, war schon immer sehr selbstkritisch.“ Und auch ihre Familie nimmt den Trubel gelassen. Gerade war sie mit Ehemann und den erwachsenen Kindern im Toskana-Urlaub, da sagte ihre Tochter zu ihr: „Ich habe gehört, dass Trude Teige in Deutschland eine ziemlich erfolgreiche Autorin ist. Aber für mich bist und bleibst du einfach nur Mama.“

Trude Teige Ehemann Bjørn Skrattegard liest all ihre Bücher als Erster. Auf seine Meinung legt sie großen Wert, erzählt: „Er hilft mir dabei, mich selbstsicher zu fühlen. Gerade hat er mein neues Manuskript gelesen – ich bin gespannt, was er sagt“

Ehemann Bjørn Skrattegård (64, Verhandlungsleiter bei einem Arbeitgeberverband) liest Teiges Bücher zuerst: „Er hilft mir, mich selbstsicher zu fühlen. Gerade hat er das Manuskript zu meinem neuen Krimi gelesen – ich bin gespannt, was er sagt“

Foto: trudeteige/Instagram

Gerade reiste das Ehepaar (seit 35 Jahren verheiratet) mit seinen heute erwachsenen Kindern samt Partner in die Toskana. Sohn Frederik (l., 26) brachte Freundin Idun mit, Tochter Synne (26) Freund Linus und Tochter Emilie (34) ging mit Freund Kjetil an Bord

Gerade reiste das Ehepaar (seit 35 Jahren verheiratet) mit seinen heute erwachsenen Kindern samt Partner in die Toskana. Sohn Frederik (l., 26) brachte Freundin Idun mit, Tochter Synne (26) Freund Linus und Tochter Emilie (34) ging mit Freund Kjetil an Bord

Foto: privat

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Die Rückmeldungen ihrer Fans seien enorm positiv, erzählt Teige. Was sie besonders freut: „Viele schreiben mir, dass sie durch meine Bücher ihre Familiengeschichte hinterfragen. Manche haben das erste Mal mit ihren Großeltern oder Eltern über den Krieg gesprochen. Wenn ich helfen kann, dieses Schweigen aufzubrechen, freut mich das sehr. Unsere Sicht auf die Vergangenheit kann Dinge verändern – vielleicht sogar unser Verhältnis zur eigenen Familie.“

Trude Teige ist die Tochter eines Fischers, wuchs auf einer kleinen Insel auf: Sie erzählt BILD: „Ich habe einen Großteil meiner Kindheit in einem Boot zwischen Norwegen und den Shetlandinseln verbracht. Ich liebe es mit einem Boot herauszufahren und auf dem Meer zu sein“. Hier in Begleitung von Cocker Spaniel Karla

Trude Teige (mit Cockerspaniel Karla) ist Tochter eines Fischers, wuchs auf einer kleinen Insel auf: Sie lebt abwechselnd in Oslo und an der Küste Südnorwegens: „Ich verbrachte einen Großteil meiner Kindheit in einem Boot zwischen Norwegen und den Shetlandinseln. Ich liebe es, aufs Meer hinauszufahren“

Foto: trudeteige/Instagram