Ein halbes Jahr nach dem Eklat um einen Rettungseinsatz im Lichtenberger Rathaus hat der erste Prozess am Arbeitsgericht von Berlin begonnen. Wobei: Von einem echten Prozessbeginn kann an diesem Montag kaum die Rede sein. Auch die Verwunderung, die Richter Arne Boyer zu Beginn ausdrückt, muss erst einmal adressiert werden.
Was denn hier los sei, fragt Boyer in die Runde, dass sich sogar Journalisten in seinen kleinen Sitzungssaal 509 im Arbeitsgericht in Berlin-Mitte verirrt hätten? Verhandelt wird schließlich eine „Eingruppierungsfeststellungsklage“ – ein Tarifbeschäftigter will mehr Lohn von seinem Arbeitgeber. Kaum der Stoff, für den sich die Öffentlichkeit sonst interessiert.
„Wir gehen davon aus, dass hier eine politisch-persönliche Angelegenheit ausgefochten wird“, sagt Anwalt Christian Teppe.
© David Will
Also holt Anwalt Christian Teppe etwas weiter aus. Er erzählt, dass sein Mandant C. vor mittlerweile einem halben Jahr von seiner Arbeit als Katastrophenschutzbeauftragter des Bezirks Lichtenberg beurlaubt worden sei. Dass der Bezirk dafür nie eine Begründung geliefert habe. Und dass es bei dieser Auseinandersetzung aus seiner Sicht in Wirklichkeit um viel mehr geht.
Es steht Aussage gegen Aussage
Es ist der 10. Februar dieses Jahres, als ein älterer Herr in einer Warteschlange im Rathaus Lichtenberg zusammenbricht. C. ist vor Ort und leistet Erste Hilfe, bis ein Rettungswagen eintrifft. Soweit lassen sich die Ereignisse einwandfrei rekonstruieren. Strittig ist allerdings, was genau in den entscheidenden Minuten passiert. Es ist diese Unklarheit, die ein halbes Jahr später im Rechtsstreit mündet.
C. behauptet, ein direkter Referent von Bürgermeister Martin Schaefer (CDU) habe ihn bei der Behandlung des Herrn behindert. Diesen Vorwurf äußert er noch am selben Tag auf X, er wiederholt ihn zum Prozessauftakt auch vor Gericht. Das Bezirksamt widerspricht öffentlich: Bei der Erstversorgung sei niemand behindert worden, schreibt das Amt auf Nachfrage der „Berliner Morgenpost“ im März. Das Rathaus beurlaubt C. noch im Februar und beantragt die außerordentliche Kündigung – laut seinem Anwalt Teppe, ohne eine Begründung zu liefern. Doch der Personalrat habe das abgelehnt.
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So weit, so unübersichtlich. Seitdem hänge der Fall von C. in der Schwebe: Er sei bis heute freigestellt, der Bezirk Lichtenberg müsse seither auf seinen Katastrophenschutzbeauftragten verzichten. Nun aber gehen C. und sein Anwalt Teppe in die Offensive. Den Referenten habe er wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt, den Bürgermeister Schaefer wegen übler Nachrede, sagt C. auf Nachfrage des Tagesspiegels. Denn der habe ihn in diversen Rundschreiben schlechtgeredet. „Es geht mir nicht gut“, sagt C.
„Ich bitte um Nachsicht“
Um diese Strafverfahren soll es an diesem Montag aber nicht gehen. Vor dem Berliner Arbeitsgericht will C. durchsetzen, von seinem Gerade-Noch-Arbeitgeber in einer höheren Tarifgruppe einsortiert und damit besser bezahlt zu werden. Anwalt Teppe argumentiert damit, dass C. als Katastrophenschutzbeauftragter immerhin für das Wohlergehen von Hunderttausenden Menschen zuständig sei. Tatsächlich geht es wohl auch darum, aus der Defensive zu kommen und den Druck auf das Bezirksamt Lichtenberg zu erhöhen.
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Zu einer Entscheidung kommt es an diesem Tag allerdings nicht. Das Gericht muss nach einer halben Stunde eingestehen, dass es die Verhandlung offensichtlich verbaselt hat. Ein Fax wurde falsch abgeheftet, ein Schreiben übersehen und „ne, die elektronische Akte haben wir noch nicht“, sagt Richter Boyer entschuldigend. „Ich bitte um Nachsicht“. Kurzfristig ist offen, ob der Prozess überhaupt fortgesetzt werden kann. Schließlich einigt man sich darauf, das Prozedere noch einmal zu prüfen und den Prozess bald fortzusetzen. Die Gegenseite erhebt keinen Einspruch. Sie ist schließlich gar nicht erst erschienen.