Das umstrittene „System Change Camp“ im Frankfurter Grüneburgpark hätte nach Angaben der städtischen Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) nicht verboten werden können. Die Rechtssprechung lasse solche Verbote nur „höchst ausnahmsweise“ und nur dann zu, wenn zuvor erteilte Auflagen nicht ausgereicht hätten, um einen friedlichen Versammlungsverlauf zu gewährleisten. Zu dieser Einschätzung sei auch das städtische Rechtsamt gekommen. Die Versammlungsbehörde habe das Camp zwar zunächst an einen anderen Ort verlegen wollen, damit hätten sich die Anmelder des Camps aber nicht einverstanden erklärt.
Rinn sah sich zur abermaligen Klarstellung gezwungen, da am Wochenende die Vermutung aufgekommen war, das Camp hätte doch verboten werden können. Der Fall eines Lagers der Blockupy-Bewegung, dessen Verbot das Frankfurter Verwaltungsgericht im Jahr 2012 bestätigt hatte, sei mit dem aktuellen Fall aber nicht vergleichbar, sagt Rinn. Das Blockupy-Camp rund um den damaligen Standort der Europäischen Zentralbank (EZB) habe, anders als das jetzige, monatelang bestanden und sei am Ende „ein einziges Chaos“ gewesen.
Rinn äußerte sich zudem „entsetzt“ über den von einer Bewohnerin des „System Change Camps“ verübten Angriff auf jüdische Demonstranten. Damit sei „eine rote Linie überschritten“ worden. „Menschen mit Farbe zu beschmieren und damit körperlich zu verletzen sowie Plakate zu vernichten, sind Straftaten, die konsequent verfolgt und geahndet werden müssen“, sagte sie . „Antisemitismus hat in Frankfurt keinen Platz.“
Ein kleines Plakat mit der Aufschrift „Willkommen auf dem System Change Camp” und der handschriftlichen Ergänzung „Wo Juden mit Farbbeuteln beworfen werden”.Peter Jülich
Indes fordert die Jüdische Gemeinde nach dem Übergriff auf jüdische Demonstranten und angesichts einer bevorstehenden propalästinensischen Kundgebung, zu der bundesweit aufgerufen wird, von der Stadt Frankfurt mehr Engagement gegen Antisemitismus. „Wie erwarten jetzt klare Kante“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Gemeinde, Benjamin Graumann. Die Gemeinde sei besorgt wegen der Demonstration, die am Samstag unter dem Motto „United 4 Gaza“ in Frankfurt stattfinden soll. Graumann sieht seinen Worten zufolge ein „großes Gefahrenpotential“, das von der Demonstration ausgehe. „Diese Kundgebung muss verboten werden.“
Bei einer früheren Demonstration des „United 4 Gaza“-Bündnisses in Berlin sei es zu Gewalt und Festnahmen gekommen, in Aufrufen zu der Frankfurter Kundgebung würden Aktivisten das Existenzrecht Israels negieren. „Wenn man das bedenkt, müsste eigentlich jedem bewusst sein, welche Gefahr da auf die Stadt zukommt“, sagt Graumann. Es sei zudem „hochproblematisch“, dass die Demonstration im Hafenpark an der Europäischen Zentralbank beginnen soll. An dem Ort, an dem das Gebäudeensemble der Zentralbank heute steht, wurden von 1941 an Frankfurter Juden gesammelt, um sie in die Vernichtungslager in Osteuropa zu deportieren.
Vorwurf der Gewaltbereitschaft
Insbesondere nach dem Farbangriff beim „System Change Camp“ fühlten sich viele Gemeindemitglieder nicht mehr sicher. Der Angriff habe gezeigt, dass die Aktivisten „offensichtlich gewaltbereit“ seien. Zu dem Übergriff war es am frühen Freitagabend am Grüneburgpark gekommen, wo das Camp bis Sonntag stattgefunden hat. Die Gegendemonstranten hatten, wie schon in den Tagen zuvor, Plakate mit den Gesichtern der am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen entführten Israelis, die sich noch immer in der Gewalt der Terrororganisation Hamas befinden, an Bauzäunen im Park befestigt. Den Camp-Organisatoren warfen sie vor, antisemitischen Positionen auf der Versammlung Raum zu geben. Eine Camp-Teilnehmerin hatte die Gruppe daraufhin mit roter Farbe bespritzt.
Graumann sieht die Frankfurter Stadtregierung, vor allem aber Ordnungsdezernentin Rinn, nun in der Pflicht, sich „klar zu positionieren“ und ein Verbot der Demonstration auszusprechen. „Leichtfertig und mit viel Naivität“ habe die Dezernentin die Gefahren des Camps unterschätzt. Dieser Fehler dürfe sich nicht wiederholen. „Die Sicherheitsdezernentin ist zum Sicherheitsrisiko geworden“, sagt Graumann. „Schöne Worte sind gut, aber jetzt kommt es auf Taten an.“ Ein Verbot der Demonstration fordern derzeit auch die Frankfurter CDU, die Jungen Liberalen und der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU). Die CDU und auch die Bürger für Frankfurt (BFF) wollen das Vorgehen des Magistrats zum „System Change Camp“ zudem parlamentarisch aufarbeiten lassen.
Aber auch unter den Organisatoren des Camps sorgt der Angriff auf die jüdischen Aktivisten für Kontroversen und Kritik. Verurteilt wird er etwa von der Klimaschutzgruppe Extinction Rebellion. „Die Aktion widerspricht unseren Prinzipien und Werten“, heißt es vonseiten der Gruppe. Das Camp müsse ein Ort sein, an dem verschiedene Meinungen geäußert werden könnten. „Zur Gewaltfreiheit gab es einen Konsens im Vorfeld, an den sich Einzelne nicht gehalten haben“, beklagt die Gruppe.
Abbau des Camps hat begonnen
Am Montag wurde unterdessen mit dem Abbau der Zelte im südlichen Teil des Grüneburgparks begonnen. Das „System Change Camp“ ist von den Organisatoren, dem Verein Bildungs- und Aktionsnetzwerk Wandel, wie geplant am Sonntagabend offiziell beendet worden. Der größte Teil der rund 250 Schlafzelte, die in den vergangenen zehn Tagen vor allem in der Nähe des Parkcafés standen, wurden bereits am Sonntag abgebaut. Auch die größeren Zelte, in denen Veranstaltungen, aber auch gemeinsame Essen stattfanden, wurden am Montag weitgehend abtransportiert. Voraussichtlich noch bis Dienstag wird es dauern, bis alle Zelte abgebaut worden sind.
Unterdessen hat sich am Montag Innenminister Roman Poseck (CDU) zu den Vorgängen in Frankfurt geäußert. „Auch wenn bei uns jeder das Recht hat, sich zu versammeln und seine Meinung zu äußern, müssen die Umstände rund um das Camp im Grüneburgpark gründlich aufgearbeitet werden. Es ist unerträglich, dass aus diesem Camp heraus antisemitische Straftaten und Hetze begangen wurden“, sagte der Minister.
Die Sicherheit der Menschen jüdischen Glaubens hätten aufgrund der historischen Verantwortung in Deutschland höchste Priorität, so Poseck weiter. Das Camp sei ein aktuelles Beispiel für eine „gefährliche und immer stärker um sich greifende Verbindung von linksextremem und antisemitischem Gedankengut“.
Neben der konsequenten Verfolgung von Straftaten gehöre dazu auch, alle versammlungsrechtlichen Instrumente zur Verhinderung solcher Veranstaltungen zu nutzen. Poseck sagt, er sehe es „mit Sorge, dass die Stadt Frankfurt hier insgesamt eine sehr großzügige Linie vertritt“. Diese zeige sich auch bei Hausbesetzungen durch linke Gruppierungen, die über Wochen geduldet wurden. „Ich erwarte, dass die Stadt Frankfurt ihr Handeln überprüft und zukünftig den Rechtsstaat von Anfang an konsequent zur Geltung bringt.“