Guter Whisky aus Deutschland ist ein relativ neues Produkt: In einem Spreewalddorf destillieren drei Bar-Veteranen eine Rarität – reinen Roggen-Whisky. Dafür brauchen sie vor allem eines: langen Atem.
Auch die beste Geschichte, erzählt von erfahrenen Storytellern, stößt in der Realität an eine Grenze – in dem Fall ist diese Grenze rund, aus amerikanischer Eiche, und Bastian Heuser sitzt darauf. „Eine rein deutsche Erzählung, also Whisky gebrannt in Deutschland aus 100 Prozent deutschem Roggen, gereift in Fässern aus deutscher Eiche … wir haben schnell gemerkt: So läuft das nicht.“
Heuser zeigt auf das helle 190-Liter-Fass aus amerikanischer Weiß-Eiche unter sich. „Amerikanische Eiche wächst schneller und ist in der Struktur poröser als deutsche Eiche. Sie nimmt leichter Sauerstoff auf, was bei der Oxidation hilft und die Ecken und Kanten des Destillats abschleift“, erklärt er. Mehr „Holzzucker“, Inulin, bilde sich in Fässern aus amerikanischer Eiche, was das Destillat mit der Zeit „süßer schmecken lässt“.
Fässer aus deutscher oder europäischer Eiche bildeten dagegen viel mehr Tannin aus, also Gerbsäure. Das Destillat schmecke dadurch nach der Reifung „komplexer“. Da ein Roggen-Destillat an sich schon „sehr würzig“ sei und nicht zu viel Tannin aufnehmen solle, würden ihre Spirituosen zu etwa 80 Prozent in Fässern aus US-Eiche „ausgebaut“, wie es im Fachjargon heißt. „Wie immer aber gilt: Die Mischung macht’s“, wirft Heusers Kompagnon Steffen Lohr ein, der ein paar Fässer weiter steht. Jeder ihrer Whiskys reift in Fässern aus beiden Holzsorten – zudem nutzen sie noch alte Weißwein-, Rotwein- und Sherryfässer.
Heuser und Lohr führen an diesem Nachmittag durch die Whisky-Destillerie Stork Club in der brandenburgischen Ortschaft Schlepzig. 50 Fässer von insgesamt 1200 lagern dabei auf dem Dachboden der Destille, der wegen der gut 40 Grad Hitze, auf die er sich im Hochsommer aufheizt, intern auch „Mikrowelle“ genannt wird. Durch die Wärme – bei Hitze dehnt sich Alkohol aus – gehe hier oben eben „alles etwas schneller“.
Die beiden sind zwei von drei smarten Großstadttypen, die in diesem 600-Seelen-Dorf im Biosphärenreservat Spreewald, rund 70 Kilometer südlich von Berlin, seit 2016 ein Experiment wagen, das Leidenschaft und Geduld erfordert. Nämlich hochwertigen Whisky zu brennen, der vier bis fünf Jahre in Fässern verschiedener Herkunft reift, um einen vollen Geschmack auszubilden. Und der dann so gemischt wird, dass der fertige Blend es auf dem großen Whisky-Markt mit der Konkurrenz aufnehmen kann.
Stork Club – der Name bezieht sich auf den Storch, der in der Gegend häufig anzutreffen ist, und einen legendären New Yorker Club, der so hieß – hat sich dabei auf Roggen-Whisky spezialisiert, bekannt als Rye Whisky und auf dem Spirituosenmarkt eher eine Seltenheit. Er ist kräftiger als Single Malt, eignet sich gut zum Mixen (besonders bei Drinks, die normalerweise Bourbon enthalten), da er sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängt, aber einen speziellen Charakter hat und geschmacklich nicht „untergeht“, wie Lohr es ausdrückt.
In der Regel wird Whisky aus Gerste oder Weizen gebrannt. Er darf nicht weniger als 40 Prozent Alkohol enthalten und muss mindestens drei Jahre in Fässern gereift sein, die weniger als 700 Liter fassen. Da es relativ lange dauert, bis man als Einsteiger mit Whisky Geld verdienen kann, lassen die meisten Schnapsbrenner in Deutschland ihre Finger davon. Anders als etwa bei Gin, den man sofort in Umlauf bringen und von dem mittlerweile fast jedes Dorf seine Variante produziert, braucht man für Whisky einen langen Atem.
Steffen Lohr ist als Bartender auf den Geschmack gekommen und hat lange für einen großen Spirituosenhersteller gearbeitet. Als Verantwortlicher für die Stork-Produktion ist er inzwischen mit seiner Familie aus Berlin-Prenzlauer Berg in die Nähe des Dorfs gezogen. Heuser, ebenfalls ein ehemaliger Bartender, der sich vor allem um PR und Marketing kümmert, hat unter anderem die Fachmesse Bar Convent Berlin etabliert. Beide verbindet auch eine Vorliebe für flächendeckende Tattoos. Gemeinsam mit Sebastian Brack, einst einer der Gründer der Tonic-Marke Thomas Henry und heute Geschäftsführer einer Brauerei, betrieben sie in Berlin eine Full-Service-Agentur für Gastrokunden.
Vor zehn Jahren fuhren sie nach Schlepzig, um sich ein Whisky-Fass für den privaten Konsum zu kaufen. In dem liebevoll restaurierten Hof, einem Geviert aus Rotklinker-Gebäuden, befand sich bereits seit 2004 eine Destillerie. Rückseitig grenzt der Komplex an einen der vielen malerischen Wasserläufe, die diese Gegend durchziehen. Schon der Vorbesitzer produzierte Whisky, der bekannteste war ein Single Malt namens „Sloupisti“, der den Storch bereits im Wappen trug und nach dem sorbischen Ortsnamen von Schlepzig benannt war. Der Mann erzählte den Besuchern aus Berlin, dass er einen Nachfolger suche. So kam es, dass die drei gleich die ganze Destillerie kauften – inklusive aller Gerätschaften, Fässer und Destillate. Ohne dieses Pfund hätte das Projekt die ersten Jahre nicht überlebt.
Auf dem Reißbrett hatten die drei Gründer noch eine Destillerie für Single Malt Whisky aus Gerstenmalz geplant, der als das Premiumprodukt unter den Getreidebränden gilt. Irgendwann aber erkannten sie, dass sie in einer Gegend, die zu den größten Roggenanbaugebieten Europas gehört, einen Standortvorteil haben – und machten daraus ein Alleinstellungsmerkmal: Rye Whisky Made in Brandenburg. Sie verzichteten auf Gerste oder Malz, kauften die zweite Brennanlage und schwenkten voll auf Roggen um.
Whisky ist ein eigenwilliger Stoff. Seine Herstellung erfordert nicht nur viel Zeit, sondern auch Übung. Am Anfang habe er ein Dreivierteljahr nur getestet, die Rezeptur entwickelt, erzählt Steffen Lohr, das sei eine Zeit gewesen, „die muss ich nicht noch einmal haben“. Welche Maische, welche Hefe, wie lange gären, wie lange fermentieren. Dann die Frage, in welchem Verhältnis das Destillat aus der alten Kupferkessel-Brennanlage (Firma: Karl) und der neuen Anlage (Firma: Kothe) nach dem Brennen gemischt wird. Denn trotz gleicher Maische schmecke das Ergebnis nach dem Brennen bei 103 Grad bei beiden unterschiedlich (Ergebnis: 40 Prozent Karl und 60 Prozent Kothe).
Und dann komme es eben auf die Fässer an: „Grundsätzlich gilt: Je besser das Destillat, umso mehr potenziert ein gutes Fass dessen Qualität. Beim Whisky spielt die Frage, in welchen Fässern der Ausbau stattfindet, eine eklatant große Rolle“, betont Steffen Lohr. Dass die Gründer von Stork Club so lange am ganzen Prozess gefeilt haben, macht sich beim Tasting bemerkbar: Der „Full Proof Rye“, das Vorzeigeprodukt des Hauses, schmeckt weich und im ersten Eindruck vanillig, brennt aber kräftig nach.
Stork Club ist dabei nicht das einzige Unternehmen aus Deutschland, das Roggen-Whisky im Sortiment hat. Am oberbayerischen Schliersee setzt die Firma Slyrs vor allem auf Single Malts, produziert aber auch mehr als respektable Erzeugnisse auf Roggenbasis. Die „Meisterstück“-Serie der Traditionsbrennerei Echter Nordhäuser in Thüringen beinhaltet ebenfalls Roggen-Whisky, darunter den Meisterstück Whisky No. 2, der sieben Jahre im Eichenfass und ein Jahr im Portweinfass reifte.
Der Stork Club befindet sich also in guter Gesellschaft mit seinem Rye Whisky. Der darf nur nicht mehr so heißen. Seit Kurzem pocht die EU auf die Einhaltung eines Handelsabkommens aus dem Jahr 2004, in dem sich Kanada nicht etwa den dort gebräuchlichen Namen „Canadian Rye Whiskey“ schützen ließ, sondern „Rye Whiskey“ allgemein. Ein „klarer Verhandlungsfehler der EU“, findet Heuser.
Und ein echter Wettbewerbsnachteil für die kleine Destillerie aus Brandenburg. Die Marketingprofis haben ihre Produkte deshalb umbenannt: Aus dem „Straight Rye“ wurde ein „Straight“, und der „Rye Malt“ heißt jetzt „Triple Wood“. Am speziellen Charakter des Roggen-Whiskys aus dem Spreewald ändert das jedoch nichts.
Für Steffen Lohr, den Whisky-Braumeister, kommt das Beste aber tatsächlich am Schluss: Nach Jahren des Reifens sammelt er sich seine Fässer mit dem Destillat zusammen und versucht, etwa den Blend des „Straight Rye“ zu möglichst 100 Prozent zu reproduzieren. Ein Fass amerikanische Eiche raus, eins aus deutscher Eiche rein, ein Sherryfass raus, ein Weißwein rein … Zum Ritual gehört auch, dass alle drei Gründer dazu in Schlepzig zusammenkommen, alle drei den Blend probieren und bewerten – ohne Blickkontakt. Immer wieder. Erst wenn alle die Mischung abgenickt haben, wird abgefüllt. Drei glückliche Hipster im Roggen.