„Ein katastrophales Abkommen“
Der Zolldeal, den die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen mit der US-Administration unter Präsident Donald Trump ausgehandelt hat, stößt in der EU wie auch in den Mitgliedstaaten in steigendem Maß auf Kritik. Von einem „ausgewogenen und fairen Abkommen“, von dem die Kommission spreche, könne „keine Rede sein“, urteilt etwa Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament; vielmehr werde mit der Vereinbarung „das Recht des Stärkeren“, der Vereinigten Staaten, „zementiert“.[1] Die französische Europaabgeordnete Marie-Pierre Vedrenne aus der liberalen Fraktion „Renew“ wird mit der Einschätzung zitiert, der aktuelle Deal werde „die erhoffte Stabilität nicht bringen“.[2] Der italienische Europaabgeordnete Brando Benifei, ein Sozialdemokrat, erklärt, die gemeinsame Erklärung, auf die sich beide Seiten geeinigt haben, sei „ganz und gar ungleich“: Während die EU „ihren Markt im großen Stil“ öffne, verweigerten die USA jede Gegenleistung. Niclas Poitiers, ein Wirtschaftsexperte der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, hält den Deal sogar für „ein katastrophales Handelsabkommen“, das allenfalls durch spezifische geostrategische Erwägungen – die militärische Abhängigkeit der EU von den USA – zu rechtfertigen sei.[3]
Zusagen gebrochen
Unmut löst nicht nur aus, dass rund zwei Drittel aller EU-Lieferungen in die USA mit Zöllen in Höhe von mindestens 15 Prozent belegt werden, während US-Lieferungen in die EU völlig zollfrei sein sollen. Es kommt hinzu, dass die Trump-Administration schon jetzt mehrfach Zusagen, die sie Ende Juli gegeben hatte, gebrochen hat. Die US-Zölle auf Autos aus der EU etwa, die derzeit 27,5 Prozent betragen, werden – anders als zunächst versprochen – nicht sofort gesenkt, sondern erst nach einer offiziellen EU-Beschlussfassung über die vollständige Aufhebung der Zölle für EU-Einfuhren aus den USA. Auch hat Washington die 50-Prozent-Zölle auf den Import von Stahl und Aluminium Mitte August einseitig auf mehr als 400 Produkte ausgeweitet; Motorräder etwa, deren Lieferung in die Vereinigten Staaten noch zu Jahresbeginn mit 2,5 Prozent verzollt wurde, werden künftig nicht bloß mit 15 Prozent belegt – es kommen noch 50-Prozent-Zölle auf ihren Stahl- und Aluminiumgehalt hinzu.[4] Dabei war die EU-Kommission zuvor nicht nur im Hinblick auf die US-Internetkonzerne eingeknickt und hatte sich bereit erklärt, von ihnen keinerlei Netznutzungsgebühr zu erheben. Sie hatte US-Konzernen auch „Flexibilitäten“ bei der Verpflichtung zur Einhaltung von EU-Sozial- und Umweltstandards zugesagt.[5]
Abhängig von Trump (I)
Begünstigen die Zollbestimmungen in hohem Maß einseitig die Vereinigten Staaten, so sind Zugeständnisse der EU-Kommission in Rohstofffragen geeignet, die EU in eine unmittelbare Abhängigkeit von US-Lieferungen zu bringen. Dies gilt insbesondere für die Zusage der EU-Kommission, bis zum Jahr 2028 Energieträger im Wert von 750 Milliarden US-Dollar aus den USA zu importieren.[6] Die Aussage ist zwar als eine nicht rechtsverbindliche „Absicht“ deklariert; zudem ist sie sachlich unsinnig, da zum einen die EU-Kommission den privaten Energiekonzernen keine Vertragsabschlüsse befehlen kann und zum anderen die US-Branche nicht in der Lage ist, Energieträger im rechnerisch erforderlichen riesigen Volumen für den Export bereitzustellen. Allerdings wird die Trump-Administration zumindest die Ausweitung der EU-Einfuhren von US-Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) einfordern. Bereits im vergangenen Jahr bezog die EU gut 45 Prozent ihres gesamten Flüssiggases aus den USA.[7] Kommissionspräsidentin von der Leyen hat in Aussicht gestellt, die heute noch getätigten Gasimporte aus Russland komplett durch US-LNG zu ersetzen. 2024 kamen rund 19 Prozent des EU-Erdgasimports – LNG plus Pipelinegas – aus Russland.[8] Fällt der Anteil komplett an die USA, geraten die EU-Staaten in eine umfassende Abhängigkeit von der Trump-Administration.
Abhängig von Trump (II)
Eine vergleichbare Abhängigkeit von den USA droht mittel- bis langfristig auch bei den Seltenen Erden. Auf diese hat China gegenwärtig nahezu ein Monopol; dieses nutzt es zur Zeit im Wirtschaftskrieg mit den Vereinigten Staaten, um die ungehemmt eskalierenden US-Attacken zu bremsen.[9] Die Trump-Administration hat deshalb begonnen, die Förderung und die – deutlich komplexere – Aufbereitung Seltener Erden im eigenen Land zu forcieren. Dazu steigt das Pentagon mit einem Anteil von 15 Prozent bei dem Unternehmen MP Materials ein, das in der Mine Mountain Pass (Kalifornien) Seltene Erden abbaut und die Aufbereitung zu entwickeln beginnt. Das Pentagon unterstützt MP Materials auch, indem es für bestimmte Seltene Erden (Neodym, Praseodym) über zehn Jahre einen Mindestpreis von 110 US-Dollar pro Kilogramm garantiert – doppelt so viel, wie MP Materials heute dafür kassiert. Darüber hinaus garantiert es, Abnehmer für die Rohstoffe zu finden.[10] Bereits im Juli wurde berichtet, Washington dränge auch Unternehmen in Europa dazu, Seltene Erden bei MP Materials zu bestellen – und damit faktisch die US-Bergbaufirma mitzufinanzieren. Der aktuelle Zolldeal sieht explizit vor, sich gemeinsam bei kritischen Rohstoffen von Drittstaaten – gemeint ist China – unabhängig zu machen.[11] Allerdings bände das die EU ein weiteres Stück enger an die USA.
Ohne Alternative
Darauf arbeitet Washington auch hin, indem es die EU in der neuen Zollvereinbarung zu Absprachen über Investitions- und Exportkontrollen gegenüber Drittstaaten verpflichtet hat; auch damit sind vor allem Maßnahmen gegen China gemeint.[12] Aktuell prescht damit die ultrarechte Regierung Italiens unter der Trump recht nahe stehenden Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vor. Hatte Rom Investitionen aus China insbesondere nach der Finanzkrise 2008 willkommen geheißen, um die wankende italienische Industrie zu stärken, so sucht Meloni sie jetzt aus dem Land zu drängen. Ein Beispiel bietet der Reifenproduzent Pirelli, eine italienische Traditionsfirma, an der der chinesische Staatskonzern Sinochem 37 Prozent der Anteile hält. Da die Trump-Administration mit Verkaufsbeschränkungen auf dem US-Markt droht, sucht Meloni nach Wegen, Sinochem zum Verkauf seiner Pirelli-Anteile zu nötigen.[13] Mittlerweile ist es etwa gelungen, die Anteile von Shanghai Electric an Ansaldo Energia, einem mächtigen Kraftwerksbetreiber, von 40 auf 0,5 Prozent zu reduzieren; doch auch dies sei Washington immer noch ein Dorn im Auge, heißt es.[14] Ein solches Vorgehen wünscht sich die Trump-Administration von der gesamten EU. Diese verlöre damit – nach ihrer vollständigen ökonomischen Trennung von Russland – die letzte echte Alternative zum transatlantischen Geschäft.
Sanktionen
Berichten zufolge bereitet die Trump-Administration, die das umfassende Einknicken der EU-Kommission zutreffend als Schwäche interpretiert, nun bereits den nächsten Schlag vor und zieht in Betracht, Sanktionen gegen Repräsentanten der EU oder ihrer Mitgliedstaaten zu verhängen, die für die Umsetzung der Regeln des Digital Services Act zuständig sind. Ursache ist, dass den US-Internetkonzernen die EU-Regeln für Online-Plattformen lästig sind – sie sind in der EU verpflichtet, offen diskriminierende, NS-verherrlichende und anderweitig volksverhetzende Inhalte etwa aus sozialen Medien zu entfernen. Die Trump-Regierung, die bereits seit je gegen den Digital Services Act agitiert, liebäugelt mit dem Plan, nun den Druck mit der Verhängung von Sanktionen zu erhöhen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am gestrigen Montag berichtete.[15] Damit geht der Versuch Washingtons, die EU ganz auf seine Interessen festzulegen, in die nächste Runde.
Mehr zum Thema: Im Interesse der deutschen Kfz-Industrie.
[1] „Von fairem Deal kann keine Rede sein“. bernd-lange.de 21.08.2025.
[2], [3] Cédric Vallet: Droits de douane : les Etats-Unis et l’Union Européenne finalisent leur nouveau cadre commercial. lemonde.fr 22.08.2025.
[4] Lazar Backovic, Jakob Hanke Vela, Franz Hubik: Null-Zölle für US-Waren – Europas riskanter Deal mit Trump. handelsblatt.com 23.08.2025.
[5], [6] Joint Statement on a United States – European Union framework on an agreement on reciprocal, fair and balanced trade. policy.trade.ec.europa.eu 21.08.2025.
[7] Anne-Sophie Corbeau: Bridging the EU-US Trade Gap with US LNG Is More Complex than It Sounds. energypolicy.columbia.edu 20.02.2025.
[8] EU gibt mehr für russisches Flüssigerdgas aus. tagesschau.de 19.08.2025.
[9] S. dazu „Maximal konfrontativ“.
[10] Roland Lindner, Gustav Theile: Trump will „Champion” für Seltene Erden. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2025.
[11], [12] Joint Statement on a United States – European Union framework on an agreement on reciprocal, fair and balanced trade. policy.trade.ec.europa.eu 21.08.2025.
[13], [14] Meloni drängt chinesische Investoren zum Rückzug. handelsblatt.com 12.08.2025.
[15] Humeyra Pamuk: Exclusive: Trump administration weighs sanctions on officials implementing EU tech law, sources say. reuters.com 25.08.2025.