Künstliche Intelligenz erobert die Kinderbuchwelt. Immer mehr Titel werden mit KI-Unterstützung geschrieben, doch Experten bleiben skeptisch. Wie wird die Branche auf diese Entwicklung reagieren?

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Im Nordwesten –
Ob abends im Bett oder nachmittags auf dem Sofa – in vielen Familien gehört es zum Tag dazu, den Kindern etwas vorzulesen. Die Auswahl ist für alle Altersgruppen riesig: von Leo Lausemaus über Conni bis hin zur Schule der magischen Tiere, von den zahllosen Sachbüchern ganz zu schweigen. Im Jahr 2024 machten Kinder- und Jugendbücher laut des Börsenvereins des deutschen Buchhandels mit rund 1,79 Milliarden Euro rund ein Fünftel des Gesamtumsatzes am deutschen Buchhandel aus. Entgegen dem Trend geht die Zahl der Erstauflagen bei Kinder- und Jugendbüchern außerdem nicht zurück: Sie ist im Vergleich zu 2023 um 1,2 Prozent gestiegen.

Die Produktion reißt nicht ab. Laut Thomas Boyken, Professor für Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Oldenburg, werden immer mehr Titel geschrieben und den Verlagen zugeschickt. Das bestätigt auch Frank Kühne, Programmleiter im Bereich Kinderbuch beim Carlsen Verlag in Hamburg. Darunter sind auch Titel, die mit der Unterstützung von Künstlicher Intelligenz (KI) geschrieben wurden. Doch wie steht die Branche zum Einsatz von KI in der Kinder- und Jugendliteratur? Und wie sind die Zukunftsaussichten?

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Die Ist-Situation

Wer sich beim Online-Händler Amazon im Kinderbuch-Segment umschaut, stößt schnell auf Cover, die typische Merkmale von KI-Bildern aufweisen. „Weil du ein wunderbarer Junge bist“ heißt eins dieser Bücher, es ist als „Bestseller“ markiert. Wer es sich anschaut, dem werden dutzendfach ähnliche Bücher vorgeschlagen. „Das ist ein Buch zum Schenken für Kinder, die man nicht besonders gut kennt“, sagt Frank Kühne. „Der Buchtitel ist der Erfolg, nicht der Inhalt.“

Frank Kühne, Programmleiter des Bereichs Kinderbuch beim Carlsen Verlag. Bild: Privat

Frank Kühne, Programmleiter des Bereichs Kinderbuch beim Carlsen Verlag. Bild: Privat

Ob es sich tatsächlich um ein Buch handelt, das mit Unterstützung von KI verfasst wurde, ist nicht klar. Für Kühne sowie Boyken liegt das jedoch nahe. Eine Kennzeichnungspflicht gibt es nicht. Kühne weiß: „Manche Verlage kennzeichnen es, wenn KI eingesetzt wurde.“

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Beim Carlsen Verlag werden eingesandte Manuskripte, die mit KI-Unterstützung entstanden sind, im Lektorat herausgefiltert, sagt Kühne. „Wir können erkennen, wenn ein Buch eine gewisse Schlichtheit hat, die typisch ist für KI-generierte Inhalte“. Außerdem müssten die Autorinnen und Autoren dem Verlag bestätigen, dass sie das Urheberrecht an dem von ihnen an den Verlag gegebenen Material haben. Man wolle es den Kreativen jedoch nicht verbieten, KI als unterstützendes Werkzeug einzusetzen: „Früher hat man auch schon mit einer Suchmaschine recherchiert oder sich Formulierungen vorschlagen lassen – diese Form von Support ist legitim“, sagt Frank Kühne.

Kinder- und Jugendbuchautorin Maja von Vogel. Bild: Windhoff

Kinder- und Jugendbuchautorin Maja von Vogel. Bild: Windhoff

Die in Oldenburg lebende Kinderbuchautorin Maja von Vogel (Die drei Ausrufezeichen, Emma-Reihe) kann sich nicht vorstellen, KI zum Schreiben einzusetzen: „Ich könnte mir höchstens vorstellen, KI als Sparringspartner beim Brainstorming einzusetzen, aber ich finde es netter, mich mit Kollegen zusammenzusetzen und zu brainstormen.“ Sie plädiert dafür, den Einsatz von KI kenntlich zu machen.

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Die Zukunft

Maja von Vogel weiß, dass unter Autoren, Illustratoren und Übersetzern die Angst umgeht, wenn es um die künftige Entwicklung und die Sicherheit der eigenen Jobs angeht. Doch: „Selbst wenn KI schlauer ist als der Mensch – es fehlen die eigenen Gefühle, KI ist emotionslos. Außerdem kreiert die KI nicht, sie setzt nur neu zusammen, was es schon gab“, sagt von Vogel.

Prof. Dr. Thomas Boyken, Professor für Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Oldenburg. Bild: Kodalle

Prof. Dr. Thomas Boyken, Professor für Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Oldenburg. Bild: Kodalle

Auch Thomas Boyken betont, dass Künstliche Intelligenz nichts Neues erschafft, sondern bestehendes imitiert: „Es handelt sich etwa bei Chat GPT und Gemini um Large Language Models (LLMs), die entscheiden: Welches Wort hat die höchste Wahrscheinlichkeit auf ein anderes Wort zu folgen?“

Grundlage sind die vorhandenen Daten, mit denen die LLMs trainiert wurden. Diese werden zunehmend besser geschützt. Nach dem Leitfaden für KI der Europäischen Union sollen KI-Unternehmen offenlegen, welche Quellen sie nutzen, um ihre LLMs zu trainieren, und ob Internetseiten automatisch ausgelesen werden. Der Carlsen Verlag unterstützt die Gesetzesinitiative: „Das, was auf EU-Ebene entstanden ist, ist spektakulär, weil es KI-Anbieter in Grenzen weist“, sagt Frank Kühne. „Wir verbieten, mit unseren Büchern KI zu trainieren.“

Kühne hat eine klare Idee für die Zukunft: „Es wird ein kleines Segment geben von Büchern, die im KI-Bereich anzusiedeln sind. Aber man kann auch einfach besser sein als KI – und das ist für viele eine Perspektive in die Zukunft.“

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