Willkommen bei Europa Kompakt, Ihrer umfassenden Übersicht über die europäische Nachrichtenlage.

Brüssel döst noch durch die letzten Sommertage, die echte Rentrée steht erst bevor. Politische Action? Die spielt sich derzeit etwas weiter südlich ab.

In der heutigen Ausgabe:

  • Frankreichs Sparkurs, Misstrauensvotum und Generalstreik
  • EU-Parlamentspräsidentin über Europas Rolle in der Welt
  • Ist Trump Europas Präsident?
  • Deutsch-französische Beziehungen und FCAS-Kampfjets
  • Tod eines Streamers in Frankreich legt DSA-Schwachstellen offen

Der französische Premierminister François Bayrou, setzt sein politisches Überleben aufs Spiel: Bei einer Vertrauensabstimmung will er die Abgeordneten zwingen, entweder sein Sparbudget mitzutragen – oder seine Minderheitsregierung nach nur acht Monaten im Amt zu stürzen. Eine Niederlage würde das politische Beben verlängern, das Präsident Emmanuel Macron mit den Neuwahlen im Juni ausgelöst hatte.

Auf einer Pressekonferenz am Montag kündigte der Polit-Veteran Bayrou die Abstimmung für den 8. September an – und verteidigte seinen unpopulären Sparkurs von 44 Milliarden Euro. Die Staatsverschuldung sei mit inzwischen 114 Prozent der Wirtschaftsleistung und 3,4 Billionen Euro eine existenzielle Bedrohung, warnte er.

Nur eine Vertrauensfrage könne den Bürger:innen den Ernst der Lage klarmachen, so Bayrou. Frankreichs Abhängigkeit von seinen Gläubigern verglich er mit einer „militärischen Besatzung“. Das Haushaltsdefizit lag 2023 bei 5,8 Prozent – dem höchsten Wert der Eurozone und fast doppelt so hoch wie das EU-Limit von 3 Prozent. Allein für Zinsen muss Frankreich dieses Jahr voraussichtlich 53 Milliarden Euro aufbringen – mehr als für sein Militär.

Auch Investoren schlagen Alarm: Frankreich zahlt inzwischen höhere Zinsen als viele andere Euro-Staaten; selbst Griechenland kann sich günstiger finanzieren. Nur Italien muss noch mehr aufbringen – aber das könnte sich bald ändern, heißt es.

Besonders umstritten ist Bayrous Plan, zwei gesetzliche Feiertage zu streichen – Gewerkschaften drohen bereits mit einem Generalstreik. Zugeständnisse machte der Premier nicht, betonte aber, dass im Parlament noch Änderungen möglich seien. „Das größte Risiko ist, nichts zu tun“, sagte er.

Doch rasch rückte eine andere Frage in den Vordergrund: Kann Bayrou politisch überleben? Könnte sein Vabanquespiel sogar Marine Le Pens rechts-außen Rassemblement National stärken? „Vielleicht hat heute der eigentliche Präsidentschaftswahlkampf begonnen“, witzelte Ex-EU-Kommissar Thierry Breton bei LCI. Macron selbst ist von der Abstimmung zwar nicht betroffen, könnte aber weiter geschwächt werden.

Die Rassemblement National kündigte sofort an, gegen die Regierung zu stimmen – ebenso wie die Linkspopulisten von La France Insoumise und die Sozialdemokraten. Bayrou braucht die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen, Enthaltungen könnten ihm also den Sieg retten.

Damit hat er etwas bessere Karten als sein Vorgänger Michel Barnier, dessen Regierung 2024 an genau dieser Hürde scheiterte – nach zwei Monaten, wohlgemerkt. Bayrous Hoffnung: einzelne Abgeordnete der Mitte-Links- oder Rechtsaußenparteien zum Enthalten bewegen.

Brisant: Nur zwei Tage nach Bayrous Abstimmung wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 10. September in Straßburg ihre Rede zur Lage der Union halten – und dabei wohl auch auf die Schuldenproblematik eingehen.

Ganz Europa steht unter Spardruck. Selbst Deutschland mit nur halb so hoher Schuldenquote will über 30 Milliarden Euro aus dem Haushalt 2027 streichen, um Verteidigungs- und Infrastrukturkosten zu stemmen. Die Rückkehr zur Austerität ist in vollem Gange – und mit ihr das Risiko eines neuen Populismus.

🇬🇷 Und in Athen? Dort regt sich unterdessen die Vergangenheit: Alexis Tsipras, der Griechenland einst als Ministerpräsident durch die Schuldenkrise führte, denkt über ein Comeback nach. Mit Premier Mitsotakis unter Druck wittert er eine Chance – auch wenn ihn kaum jemand mit offenen Armen empfangen dürfte, wie unser Kollege Sarantis Michalopoulus schreibt.

Polen will Leistungen für ukrainische Flüchtlinge einschränken

Der im Juni gewählte, nationalkonservative Präsident Karol Nawrocki verweigerte die Unterschrift unter ein Gesetz, das die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge bis März 2026 verlängert hätte.

Rund 1 Million Ukrainer:innen profitieren derzeit von temporärem Schutz in Polen. Diese Großzügigkeit gehe zu weit, sagte Nawrocki: „Ich akzeptiere keine Situation, in der die Bürger des polnischen Staates schlechter behandelt werden als unsere Gäste aus der Ukraine. Polen zuerst, Polen zuerst!“

Er kündigte an, den Zugang zu Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung zu verschärfen, darunter auch das Prestigeprojekt „800+“ – eine monatliche Zahlung von ca. 180 Euro pro Kind, eingeführt von der PiS und von der Regierung Tusk fortgeführt, die bislang auch ukrainische Flüchtlinge einschließt. Nawrocki will die Unterstützung nur noch für Erwerbstätige gewähren – in Anlehnung an frühere PiS-Vorstöße zur Einschränkung.

Metsola: „Europa ist kein Zuschauer“

Heute wird EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola beim Rimini Meeting sprechen – einer jährlichen, katholisch geprägten Zusammenkunft der politischen und wirtschaftlichen Elite Italiens.

Schon vergangene Woche hatte Mario Draghi an gleicher Stelle eine scharfe Kritik an der EU geübt und dem Kontinent vorgeworfen, im geopolitischen Wettbewerb nur Zuschauer zu sein. Euractiv erhielten vorab Einblick in Metsolas Rede – und sie will deutlich widersprechen.

„Europa ist kein Zuschauer. Es war es nie und darf es auch nie werden“, wird Metsola sagen. „Europa hat stets die Kraft gefunden zu führen, zu handeln und das Richtige zu verteidigen.“

„Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Entbürokratisierung, Integration – das sind keine Schlagworte. Das sind die Bausteine für Europas nächste Kapitel.“

Präsident von Europa? Einfach Trump fragen

Donald Trump behauptete am Montag, EU-Spitzenpolitiker hätten ihn „scherzhaft“ als „Präsidenten von Europa“ bezeichnet.

„Sie nennen mich den Präsidenten von Europa. Das ist eine Ehre. Ich mag Europa. Und ich mag diese Leute. Sie sind gute Leute. Großartige Führungspersönlichkeiten“, sagte der US-Präsident vor Journalisten im Oval Office. Die EU-Kommission lehnte eine Stellungnahme wie gewohnt ab.

Ob das peinlicher ist als NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der Trump „Daddy“ genannt haben soll, bleibt offen. Klar ist: Europa beherrscht die Kunst, das Ego eines Mannes zu streicheln, der für Schmeicheleien besonders empfänglich ist.

Doch die Wärme hielt nur wenige Stunden: Kurz darauf drohte Trump auf Truth Social mit „erheblichen“ Zöllen für Länder mit Digitalsteuern oder Inhaltsvorgaben. Seine Regierung sieht den Digital Services Act der EU seit Langem als Zensur und unfaire Belastung für US-Konzerne.

Putin-Selenskyj-Gipfel: Kommt das Treffen – und wo?

Rund um den Globus bringen sich Städte als mögliche Gastgeber für ein Gipfeltreffen zwischen Donald Trump, Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj ins Gespräch. Doch große Hürden – allen voran Putins internationaler Haftbefehl – erschweren die Planungen.

ROM

Italien hat 17,7 % der 72,3 Milliarden € zurückgeholt, die 2024 durch Steuerhinterziehung verloren gingen. Das geht aus einem Bericht des Rechnungshofs hervor. Da jährlich nur 1,4 % der Unternehmen und Selbständigen geprüft werden, kritisieren die Kontrolleure lasche Durchsetzung und warnen, wiederholte Amnestien hätten die Kultur der Steuerhinterziehung eher verfestigt als eingedämmt. Die Ergebnisse stehen im Widerspruch zu den Regierungsangaben vom April, die von beispiellosen Erfolgen im Kampf gegen Steuerbetrug sprachen.

MADRID

Spaniens konservativer Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo hat einen Waldbrand-Plan vorgeschlagen, der ein nationales Brandstifter-Register vorsieht – eine Maßnahme ohne Beispiel in Europa, die wohl gegen EU-Datenschutzregeln verstoßen würde. Rekordbrände – rund 350.000 Hektar verbrannt – haben einen politischen Schlagabtausch mit den regierenden Sozialisten über Prävention und Reaktion ausgelöst.

VILNIUS

Litauens regierende Sozialdemokraten haben vor der Vertrauensabstimmung über ihre künftige Ministerpräsidentin eine neue Koalition geschmiedet. Dafür nahmen sie die „Morgenröte der Nemunas“ wieder auf, deren Vorsitzender wegen Antisemitismus unter Ermittlungen steht, und holten die Bauern- und Grünenunion ins Boot. Mathematisch reicht es – 82 von 141 Sitzen –, politisch aber sorgt der Schritt für Empörung. Für heute sind Proteste in Vilnius angekündigt.

WARSCHAU

In der Stadt erklärte Kanadas Premierminister Mark Carney gestern, sein Land werde sich anderen anschließen und US-Waffen für die Ukraine im Rahmen eines milliardenschweren Hilfspakets kaufen. Polens Regierungschef Donald Tusk bekräftigte, keine Truppen zu entsenden, betonte aber die gemeinsame Bereitschaft mit Kanada und europäischen Partnern, die ukrainische Verteidigung und den Wiederaufbau zu unterstützen.

LISSABON

Portugal verzeichnet den größten Waldbrand seiner Geschichte: Mehr als 64.000 Hektar brannten in der Region Arganil ab, wie vorläufige Zahlen zeigen. Insgesamt hat die Saison bereits rund 250.000 Hektar landesweit zerstört. Der Druck auf Brüssel wächst, die EU-Mechanismen für Waldbrandprävention und Katastrophenschutz angesichts zunehmender Klimaauswirkungen zu verstärken.

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Redaktion: Jeremias Lin