Die Entscheidung fiel bei einem Abendessen am Mittelmeer. Emmanuel Macron empfing seinen Premierminister vergangene Woche in seiner Sommerresidenz Fort de Bregançon in der Nähe von Toulon. François Bayrou nutzte laut Medienberichten das Tête-à-Tête, um dem Präsidenten seinen Plan zu präsentieren, sich am 8. September einer Vertrauensabstimmung im Parlament zu stellen. Der 74-Jährige kommt damit einem Misstrauensvotum zuvor, das ihn wahrscheinlich im Herbst gestürzt hätte. Denn sein Sparkurs, der die Streichung von zwei Feiertagen vorsieht, stößt im ganzen Land auf Widerstand. „Es gibt Momente im Leben, wo nur durch Risiko das Schlimmste verhindert werden kann“, begründete Bayrou am Montagnachmittag bei einer Pressekonferenz seine Entscheidung.
Mit seinem Überraschungscoup besiegelt der Zentrumspolitiker, der seit Dezember an der Spitze einer Minderheitsregierung steht, allerdings sein eigenes Aus. Denn eine Mehrheit für ihn ist nicht in Sicht. Die gesamte Opposition vom rechtspopulistischen Rassemblement National bis zu den Linksparteien will gegen ihn votieren. Sogar die Sozialisten, die Bayrou bei der Abstimmung über den Haushalt zu Jahresanfang stützten, wandten sich nun von ihm ab. „Es ist nicht vorstellbar, dass die Sozialisten dem Premierminister das Vertrauen aussprechen“, sagte Parteichef Olivier Faure.
Auch wenn Bayrou in den nächsten Tagen auf Gespräche mit der Opposition setzt, dürfte es am 8. September auf eine Abstimmungsniederlage und den Rücktritt seiner Regierung hinauslaufen. Frankreich würde dann nach knapp neun Monaten wieder ohne Premierminister dastehen. Seitdem Macron im Juni 2024 ohne Not das Parlament auflöste, hat das Land bereits zwei Regierungschefs kommen und nach kurzer Zeit wieder gehen sehen. Einem Dritten dürfte es ähnlich ergehen. Denn Macrons Lager hat in der Nationalversammlung nicht einmal mehr eine einfache Mehrheit. Der Christdemokrat Bayrou regierte mit einem wackeligen Bündnis mit den konservativen Republikanern.
Die Frontfrau des rechtspopulistischen Rassemblement National, Marine Le Pen, forderte bereits Neuwahlen. „Nur eine Auflösung (des Parlaments) erlaubt es den Franzosen, über ihr Schicksal zu entscheiden“, schrieb die RN-Fraktionschefin im Kurznachrichtendienst X. Sie selbst kann dabei allerdings nicht antreten, da ein Pariser Strafgericht sie im Frühjahr wegen Veruntreuung von EU-Geldern zur Unwählbarkeit für fünf Jahre verurteilt hatte. Ein Berufungsprozess soll erst im nächsten Jahr beginnen. In einem Interview mit der Zeitschrift „Paris Match“ hatte Macron vergangene Woche eine erneute Auflösung des Parlaments abgelehnt. Das Szenario sei aber nicht abgeschlossen, versicherten mehrere Regierungsmitglieder.
In jedem Fall steht Frankreich mit dem wahrscheinlich Abgang Bayrous eine neue Phase der Instabilität bevor. Schon am 10. September will die Bewegung „Bloquons tout“, die Rechts- und Linksextremisten sowie Erben der Gelbwesten-Bewegung vereint, das Land lahm legen. Der starke Mann der linkspopulistischen Partei La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, rief für diesen Tag sogar zu einem Generalstreik auf. Die Gewerkschaften wollen am Freitag entscheiden, ob sie sich dieser „nebulösen“ Bewegung anschließen.
„Bloquons tout“ hatte an Fahrt aufgenommen, nachdem Bayrou im Juli seine Sparpläne verkündet hatte. Schon damals hatte der Premier mit drastischen Worten vor den Gefahren der Schuldenlast gewarnt. Der Premier will deshalb im Haushalt für das Jahr 2026 knapp 44 Milliarden Euro einsparen und dazu auch zwei Feiertage streichen. 84 Prozent der Französinnen und Franzosen lehnen diese Maßnahme ab.
Nach einem Abgang Bayrous dürfte das hoch verschuldete Frankreich noch tiefer in die roten Zahlen rutschen. Die Zinssätze könnten sogar die von Italien überholen, warnte Wirtschaftsminister Eric Lombard. Am Montagabend sackten die Aktienkurse an der Pariser Börse bereits ab. „Haben wir die Mittel, eine neue politische Krise zu bezahlen? Ich glaube nicht“, warnte der Senator und Zentrumspolitiker Hervé Marseille. „Entweder Bayrou oder das Chaos.“