Myroslava Melnychenko kennt das Dorf, sogar den exakten Ort, an dem der Leichnam ihres jüngeren Bruders liegt. Sie hat Drohnenbilder von dem Moment gesehen, in dem er im Ukraine-Krieg gefallen ist. Und trotzdem ist es ihr auch drei Jahre nach seinem Tod noch unmöglich, ihn zu beerdigen, wie das „Time“-Magazin berichtet.
Denn der Ort, an dem Oleksii Melnychenko liegt, befindet sich sehr nah an der Frontlinie. So nah, dass selbst die Experten, die sich um Rückholaktionen von gefallenen Soldaten kümmern, keine Chance haben, an ihn heranzukommen, ohne ihr Leben zu riskieren.
Ukraine-Update
Mit unserem Update-Newsletter zum Ukraine-Krieg erhalten Sie aktuelle Nachrichten, wichtige Hintergründe und exklusive Analysen von den Expertinnen und Experten des Tagesspiegels.
Das liege unter anderem an Minen, die noch auf dem Schlachtfeld liegen, sagt Andres Rodriguez Zorro, ein Forensiker des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), der die Rückholaktionen koordiniert, zum „Time“-Magazin. Zudem seien die menschlichen Überreste oft in einem Zustand, der die Bergung erschwert.
So lange Oleksii Melnychenkos Leichnam nicht geborgen ist, zählt er zu den rund 134.000 „vermissten“ Personen im Ukraine-Krieg, die das IKRK auflistet.
Der Ort, an dem Oleksii Melnychenko liegt, ist das Dorf Marjinka nahe Donezk im Osten der Ukraine. Dort habe er Ende 2022 eine Mission angeführt, nachdem er sich gleich zu Beginn des Krieges als Freiwilliger gemeldet hatte, erklärt seine Schwester dem „Time“-Magazin.
„Wir wussten, dass dieser Ort brutal war, was die Kämpfe anging“, erklärt Myroslava Melnychenko, die bis kurz vor seinem Tod regelmäßig Kontakt zu ihm hatte. Anfang 2023 sei ihre Mutter darüber informiert worden, dass ihr Sohn als vermisst gilt. Was folgte, waren Versuche, Gewissheit zu erhalten. Myroslava Melnychenko stieß demnach auf Soldatenkollegen ihres Bruders, die ihr sagten, dass er getötet worden war.
„Seine Kriegskameraden wollten nicht, dass ich das Video sehe, das seinen Tod zeigt, damit ich nicht traumatisiert werde“, sagt sie. „Doch ich hab es gefunden, es mir angesehen und sichergestellt: Da ist mein Bruder zu sehen.“ Es sei schmerzhaft, dass er nicht zurückgebracht werden könne, sagt sie. „Doch ich hoffe immer noch, dass es eines Tages möglich sein wird.“
Die wichtigsten Nachrichten des Tages
- US-Präsident Donald Trump hat eigenen Angaben zufolge erneut mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin gesprochen. Auf Nachfrage von Journalisten, wie das Gespräch verlaufen sei, sagte Trump: „Jedes Gespräch, das ich mit ihm führe, ist ein gutes Gespräch. Und dann schlägt leider eine Bombe in Kiew oder irgendwo anders ein, und das macht mich sehr wütend.“ Mehr dazu im Newsblog.
- Wegen ukrainischer Kampfdrohnen haben mehrere russische Flughäfen in der Nacht den Betrieb einschränken müssen. Betroffen war unter anderem der Flughafen Pulkowo in St. Petersburg, der zweitgrößten Stadt des Landes, wie die Luftfahrtbehörde Rosawiazija mitteilte. Im Umland der Stadt seien zehn Drohnen abgefangen worden, schrieb Gouverneur Alexander Drosdenko auf Telegram. Schäden oder Verletzte habe es nicht gegeben.
- Die USA und Russland haben Insidern zufolge am Rande von Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Krieges über mehrere Energiegeschäfte gesprochen. Die Geschäfte seien als Anreiz für Russland gedacht, einem Frieden in der Ukraine zuzustimmen, sagten am Dienstag mehrere mit den Gesprächen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Im Gegenzug könnten die USA Sanktionen gegen Russland lockern.
- Angesichts von wachsendem Sanktionsdruck aus den USA will Indien den Kauf von russischem Öl einschränken. Laut „Bloomberg“ sei dies vor allem ein symbolischer Schritt, um die Trump-Regierung zu beschwichtigen. Ein Importstopp von russischem Öl sei nicht zu erwarten. Am 27. August tritt in den USA ein 50-Prozent-Zoll auf alle indischen Waren in Kraft.
- Bundeskanzler Friedrich Merz hat dem russischen Präsidenten Putin eine „Verzögerungsstrategie“ vorgeworfen. Putin halte es für richtig, ein Treffen zwischen ihm und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an Vorbedingungen zu knüpfen, die aus Sicht der Ukraine und ihrer westlichen Partner „völlig inakzeptabel“ sind, sagte Merz am Dienstag vor Journalisten in Berlin.
- Eine fehlgeleitete Kampfdrohne der Ukraine ist nach Behördenangaben auf dem Gebiet des baltischen Nato- und EU-Mitglieds Estland abgestürzt. Sicherheitspolizei-Chef Margo Palloson teilte in Tallinn mit, der Vorfall habe sich mutmaßlich bereits am Sonntagmorgen ereignet. „Es war eine ukrainische Drohne, die russische Ziele angriff“, sagte Palloson dem estnischen Rundfunk ERR zufolge.
- Laut eines Berichts des Rechercheprojekts DeepState sind die Dörfer Zaporizke und Nowogeorgijiwka in der Region Dnipropetrowsk von russischen Truppen besetzt worden. Sie sind die ersten Siedlungen in der Region, die vollständig unter die Kontrolle der russischen Armee geraten sind. Sie liegen an der Grenze zu den Regionen Donezk und Saporischschja.
- Nach Schätzungen der Nachrichtenagentur Reuters haben die ukrainischen Angriffe mindestens 17 Prozent der Ölraffineriekapazitäten Russlands lahmgelegt. In letzter Zeit hat die Ukraine zehn Anlagen angegriffen und damit die Produktion von etwa 1,1 Millionen Barrel pro Tag beeinträchtigt. Die Angriffe auf die Ölraffinerien fanden zu einem Zeitpunkt statt, als die saisonale Nachfrage nach Benzin durch Touristen und Landwirte in Russland ihren Höhepunkt erreichte.
- Deutschland und Belgien sehen einen Zugriff auf das in der EU eingefrorene russische Zentralbank-Vermögen skeptisch. Das machten Bundeskanzler Merz und der belgische Premierminister Bart De Wever nach einem Treffen in Berlin deutlich. Merz warnte vor negativen Auswirkungen auf den Kapitalmarkt. Andere Länder könnten dann ihre Staatsgelder ebenfalls zurückziehen.
- In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist ein mit Berliner Unterstützung aufgebautes Prothesenzentrum eröffnet worden. Verwundete Soldaten und Zivilisten, denen Beine oder Arme amputiert wurden, sollen hier mit Prothesen versorgt werden. Die Erstausstattung inklusive nötiger Gerätschaften und Maschinen wurde über Spenden finanziert, die in Berlin gesammelt wurden.
Hintergrund & Analyse Ukraine-Politik des US-Präsidenten Wird nur Trump aus Trump schlau? Politskandal in Schweden Putzfrau fand Nato-Akten – wurden sie nach Russland verkauft?