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In einem Buch wird der frühzeitige Verfall des letzten US-Präsidenten Joe Biden geschildert.
Washington DC – Es gab immer schon diese mächtigen Männer, bei denen man sich nicht sicher sein konnte. Tickten die noch normal? Richard Nixon galt als Psychopath, bei Ronald Reagan wusste man nicht, ab wann er unter Alzheimer litt, Woodrow Wilson war durch einen Schlaganfall in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft gezeichnet. Und bei Donald Trump wurde aus der Fachrichtung der Psychologie eine Ferndiagnose nach der anderen gestellt, denn irgendetwas könne mit diesem Mann einfach nicht stimmen. Doch nun stellt sich die Frage, ob die USA vier Jahre lang von einem Mann regiert wurden, der die engsten Freunde nicht mehr wiedererkennen konnte.
Die Rede ist von Joe Biden. Seine Auftritte als US-Präsident verstörten nicht nur die Amerikaner. Auch das, was man früher die freie Welt nannte, war erschüttert. Man erlebte einen Mann, dessen geistigen Verfall man kaum leugnen konnte. Wie fahrlässig die Demokraten mit dieser Entwicklung umgingen, zeigt nun das Buch „Hybris“ der beiden Journalisten Jake Tapper und Alex Thompson.
Joe Biden im November 2024 im Weißen Haus. © Imago Images
Das Buch ist ein Protokoll des Niedergangs, eine schonungslose Abrechnung mit der Entscheidung Joe Bidens, noch einmal für das höchste Amt kandidieren zu wollen. Über 400 Seiten und gestützt auf mehr als 200 Interviews, zumeist anonym, beschreiben Tapper und Thompson den geistigen Zerfall des Präsidenten, abgeschirmt von einem inner circle, der Informationen filterte und die Öffentlichkeit im Unklaren über den wahren Geisteszustand Bidens ließ. Nicht nur das, die Autoren sprechen von systematischer Irreführung. Biden sei regelrecht vor Parteifreunden versteckt worden, um seine Position zu festigen oder nicht zu gefährden.
Andererseits wird auch klar, dass vielen in der Demokratischen Partei bewusst war, wie es um Biden stand; man sah, dass er beim Gehen schlurfte und erschöpft wirkte. Dass sie nicht eingriffen, als es um die Kandidatur im Jahr 2024 ging, war im Nachhinein unverantwortlich. Unverantwortlich, weil so der Weg frei gemacht wurde für die Rückkehr Donald Trumps.
Joe Bidens Geschichte: Heftige Niederlagen, peinliche Momente, familiäre Tragödien
Biden galt früher als ein Mann, der viel rumschwafelte und gerne vom Thema abwich. Er neigte nicht nur zu langatmigen Erzählungen, sondern auch zu peinlichen Entgleisungen und unpassenden Kommentaren. Aber er zählte im Grunde genommen zu den good guys in Washington. Einer, der viele Rückschläge, auch persönlicher Art, einstecken musste, aber dennoch ein aufrechter Demokrat war. Biden hatte ein Motto: „Steh auf!“, lautete es. Egal wie hart man am Boden landete. Es wurde für ihn zu einer Art Katechismus, den er auch benötigte. Denn er erlitt heftige Niederlagen als Politiker, peinliche Momente beim Versuch, sich als Kandidat für das US-Präsidentenamt zu qualifizieren, und schlimme familiäre Tragödien. Doch dieses „Steh auf!“ habe ihn vielleicht auch immunisiert gegenüber der Wirklichkeit. Er habe gewirkt wie ein alter König in seinem Exil. Eingemauert in der eigenen Realität.
Es gab dann den Moment in der Präsidentschaft Bidens, der allen die Augen öffnete. Barack Obama soll schnell gehandelt haben, andere wie Nancy Pelosi wurden nun deutlich: Nach der TV-Debatte mit Donald Trump im Wahlkampf der US-Wahl 2024 forderte die Demokratische Partei den Rückzug Bidens als Kandidat. Diese Debatte nimmt in dem Buch einen großen Raum ein; es ist die Chronologie eines Desasters.
Hybris
Jake Tapper, Alex Thompson: Hybris. A. d. Engl. v. H. Dedekind u. a. dtv 2025. 400 S., 20 Euro.
„Es ist toll, hier zu sein“, sagte Biden, als es losgeht. Er war viel zu spät gekommen und hatte daher kaum Zeit zur Akklimatisierung. Schnell verhaspelt sich Biden. Schon in den ersten 20 Minuten verfolgen seine Berater fassungslos, was da vor sich geht. „Verdammt noch mal! Das steht er nicht durch“, sagt einer. Biden redet wirr, bringt Dinge durcheinander und stellt irre Gedankengänge her. „Ich weiß wirklich nicht, was er am Ende seines Satzes gesagt hat. Ich glaube, er weiß es selber nicht“, erwidert Trump auf eine Ausführung von Biden. Der ist nicht in der Lage, einen seiner größten Erfolge seiner Amtszeit zu beschreiben. Statt einer klaren Ansage folgte ein wirrer Gedankengang wie dieser: „Was ich erreichte, als er zum Beispiel, als er sich durchmogeln will mit – die loswerden will – dass Medicare äh, äh, äh es schafft, die Möglichkeit erhält zu, für die … dass wir die Medikamentenpreise mit den großen Pharmakonzernen aushandeln können.“
Ich weiß wirklich nicht, was er am Ende seines Satzes gesagt hat. Ich glaube, er weiß es selber nicht.
So läuft es den ganzen Abend lang. „Der Präsident hatte ganz offensichtlich Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden, um auszudrücken, was er sagen wollte“, schreiben die Autoren. „,Sehen Sie‘, sagte er und gab wieder diese merkwürdigen Kehllaute von sich, ,wenn … wir schließlich Medicare schlagen‘“, Biden bricht ab, er ist nicht in der geistigen Verfassung, eine Debatte auf diesem Niveau führen zu können.
Aber wie sollte er dann ein ganzes Land führen können? Biden habe wichtige Entscheidungen nur noch zwischen 10 und 16 Uhr treffen können, berichten die Autoren, Treffen mit dem Kabinett wurden seltener, selbst engste Verbündete hegten zunehmend Zweifel. Sie schwiegen dennoch.
Jake Tapper und Alex Thompson zitieren Top-Berater Joe Bidens
Der geistige Verfall von Biden soll bereits im Jahr 2015 eingesetzt haben. Zu der Zeit war noch Barack Obama Präsident, Biden sein Stellvertreter. Die beiden Journalisten zitieren einen Top-Berater Bidens, der ihnen gesagt habe, dass Bidens geistige Kräfte bereits in diesem Jahr wie im Sand versickert seien.
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Wenn es so war, dann hatte es einen Grund: Sein Sohn Beau, sein Lieblingssohn, war an einem Gehirntumor gestorben. Die Bidens hatte das hart getroffen. Joe Biden verlor die Fähigkeit des konzentrierten Aufmerkens. Zahlen, Daten, Namen, nichts konnte er sich mehr richtig merken. Was am Ende seiner Präsidentschaft ganz offensichtlich war, hatte bereits im Jahr 2015 seinen Anfang genommen. Der Tod von Beau Biden machte auch seinem Bruder zu schaffen. Hunter Biden verfiel der Drogensucht und wurde zu einem öffentlichen Problem für Biden.
Joe Bidens „Politbüro“: Abschottung mit allen Mitteln
Ein enger Kreis, von außen das „Politbüro“ genannt, versuchte nun mit allen Mitteln, den wahren Zustand des Präsidenten zu verdecken, sie schotteten ihn ab. Dabei hätte dieser sein Amt aufgeben müssen, folgt man den Autoren. Viele ihrer Gesprächspartner waren schlichtweg nicht überzeugt, dass Biden, nachts um zwei Uhr geweckt, angemessen auf eine Krise hätte reagieren können. Waren das Desaster des Abzugs aus Afghanistan und das Krisenmanagement um den russischen Angriff auf die Ukraine also eine Folge des Geisteszustandes Bidens? Die Frage bleibt unbeantwortet.
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Seine Frau Jill Biden sei die überzeugendste Leugnerin seines Verfalls gewesen. Nicht minder die Ärzte, die ihn begleiteten. Die Öffentlichkeit wurde dreist belogen, aber die machte sich auch etwas vor. Denn wer, außer Biden, könne Trump schon aufhalten? Biden machte einfach immer weiter und bereitete so den Boden für Trumps Rückkehr.
Es ist eine unentbehrliche Lektüre: In dem Buch „Hybris“ wird die Geschichte eines US-Präsidenten erzählt, dem die Kontrolle über sich und sein Land entgleitet. „Wie der Großvater, den man eigentlich nicht mehr ans Steuer lassen darf“, sagte einer über Biden. „Er hat uns in die Scheiße geritten“, sagte ein anderer, als es schon zu spät war.