Jedes Jahr ein neues Buch, das muss man erst einmal schaffen. Caroline Wahl schafft das. Da ist es, das nächste Ding. „Die Assistentin“ heißt es, 368 Seiten, Rowohlt Verlag. Während sowohl der Debütroman „22 Bahnen“ als auch der Nachfolger „Windstärke 17“ von den Schwestern Tilda und Ida erzählen, die mit der Alkoholerkrankung ihrer Mutter aufwachsen und sich den Weg ins eigene Leben erkämpfen, ist im dritten Buch das Setting neu.

Charlotte liebt die Musik, aber davon kann man ja nicht leben und den Eltern würde es auch nicht gefallen, wenn sie Musikerin werden würde. Daher fängt sie an, als zweite Assistentin eines großen Münchners Verlegers zu arbeiten. Die neue Wohnung gefällt nicht, sie ist einsam und der Verleger ist ein Tyrann, der sie mit seinen toxischen Spielchen an ihre Grenzen und darüber hinaus treibt. Obwohl ein bisschen stolz ist sie schon, als sie dann zur ersten Assistentin befördert wird, auch wenn ihr die Haare ausfallen und das rechte Auge ständig zuckt.

Caroline Wahl arbeitete selbst als Verlagsassistentin

Caroline Wahl, die vor ihrer Zeit als Bestsellerautorin als Assistentin von Philipp Keel im Züricher Diogenes-Verlag arbeitete, was ein „Kack-Job“ gewesen sei, schlüpft immer wieder aus ihrer Geschichte heraus, erklärt dem Leser warum sie dies oder jenes schreibt („Es soll jedenfalls einfach eine gut erzählte Geschichte werden, die die Leser mit nach Hause nehmen, vielleicht mit zum Abendbrottisch“). Zeitsprünge, Erklärungen und viele „dazu später mehr“ bremsen, zumindest bis man sich an den unüblichen Stil gewöhnt. Doch eigentlich ist das gar nicht schlecht, weil die Situation der Protagonistin so bedrückend ist, dass das eigene Auge auch zu zucken beginnt und man froh ist, wenn man wieder kurz herausgeholt wird aus diesem ungesunden Arbeitsumfeld, das ja jeder irgendwie zu kennen glaubt.

Die neue Wahl ist mutig und provokant

Caroline Wahl, die man vielleicht die deutsche Sally Rooney nennen könnte, wenn man solche Vergleiche mag, die 30 ist und inzwischen nicht mehr in Zürich, sondern in Kiel am Meer wohnt, ist mutiger geworden. Sie provoziert und das mit voller Absicht. Sie will, dass die Leserinnen und Leser nachforschen. Zum einen über Wahl selbst, weil man sich ständig fragt: Wie viel der Autorin selbst steckt in „Die Assistentin“? Hat sie das alles auch erlebt? Parallelen kann man ja nicht übersehen (sie trägt auf einem ihrer Instagram-Fotos ein langes Kleid mit Leoprint und dazu klobige Stiefel genau wie Protagonistin Charlotte!!), zumindest, wenn man sich ein bisschen über Wahl informiert hat und das haben eigentlich alle, weil Wahl irgendwie ein Popstar in der deutschen Literatur-Welt ist.

Zum anderen aber – und das ist der eigentliche Gewinn des Buches – provoziert sie ihre Leser, das eigene Arbeitsleben zu überprüfen. Bin ich auch schon mal so einem Chef wie dem Verleger begegnet (ziemlich sicher) oder bin ich selbst einer (hoffentlich nicht)? Hätte ich das Pflichtpraktikum im dritten Semester abbrechen sollen, weil der Chef übergriffig war, ich aber das Zeugnis brauchte? Wie viel Druck ist noch gesund? Kündigen?

Um es in Wahls eigenen Worten zu sagen: „Im Prinzip geht es hier (also in „Die Assistentin“) ja nicht um diese beiden Figuren. Es geht ums Ganze.“

Info

Autorin
Caroline Wahl, geboren 1995 in Mainz, wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Danach arbeitete sie in mehreren Verlagen. Caroline Wahl lebt in Kiel.

Werk
2023 erschien ihr Debütroman „22 Bahnen“, für den sie unter anderem mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Grimmelshausen-Förderpreis ausgezeichnet wurde und der verfilmt wurde. Außerdem wurde „22 Bahnen“ Lieblingsbuch der Unabhängigen 2023. Auch ihr zweiter Roman „Windstärke 17“ war mit rund 700 000 verkauften Exemplaren erfolgreich.