Was ist Heimat? Man kann sich diesem Begriff ganz unterschiedlich nähern. Geografisch, emotional, kulturell, philosophisch oder auch gar nicht. In Deutschland ist „Heimat“ ein Begriff, der, sobald er in einem größeren Rahmen geäußert wird, schnell zu kontroversen Diskussionen führt. Verantwortlich dafür ist die Verwendung deutschen Kulturgutes für den Militarismus in der Kaiserzeit und der „Blut und Boden“-Ideologie der Nationalsozialisten, die den Heimat-Begriff für ihre rassistische Weltanschauung missbraucht haben. Das wirkt bis heute nach. Karl Poesl, pensionierter Lehrer und Musiker aus Leidenschaft, beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema und hat in Zusammenarbeit mit anderen Musikern und Musikerinnen zu den Instrumenten gegriffen und deutsche Volkslieder im Stil der Country-Musik neu vertont.
„Die Beatgeneration ekelte sich buchstäblich vor diesen Liedern. Aber tief im Inneren haben sie mich tief bewegt. Das konnte ich damals natürlich nicht zugeben. Dieses persönliche Dilemma möchte ich mit diesem Projekt verarbeiten“, sagt Poesl. Sein persönliches Dilemma trifft nun auf eine Zeit, in der viele behaupten, nicht mehr alles sagen zu dürfen. Darf man denn alles singen? Das bleibt die Frage.
Die erste Single ist „Muss i denn zum Städtele hinaus“, die Rückseite ist „Home Sweet Home“. Während „Home Sweet Home“ in England ein sentimentaler Evergreen wurde, der Geborgenheit und Sehnsucht ausdrückt, nahm „Muss i denn…“ einen anderen Weg. Mit dem Gitarrenlehrer Daniel Vazquez hat Poesl einen Musiker an der Seite, der mit seinem Bluegrass-Spiel und Country-Picking auf Gitarre und Banjo zu den Größen in Deutschland gehört. Besonders zu hören auf „Home Sweet Home“. Als „The Wonderboys“ sind sie in Augsburg und Umgebung oft zu sehen.
Bewohner eines Seniorenheims lieferten den Anstoß zum Projekt
Den Anstoß zu diesem Projekt bekam Karl Poesl, bei seinen ehrenamtlichen Engagements als Pianospieler und Sänger im Christian- Dierig-Haus in Pfersee. „Ich verstehe mich als musikalischer Dienstleister. Deswegen nahm ich die Wünsche der älteren Bewohner ernst, sprang über meinen Schatten und spielte auch die alten, von uns doch so verpönten, Volkslieder. Beeindruckend war, welche Wirkung diese Lieder auf die teilweise dementen Klienten hatten. Manche erwiesen sich sogar als textsicher“, sagt Poesl. Zu deren Favoriten gehörten „Im schönen Wiesengrunde“ und eben auch „Muss i denn…“.
Dieses ursprüngliche Abschiedslied wurde 1827 vom schwäbischen Komponisten und Musikpädagogen Friedrich Silcher geschaffen. Die Melodie entnahm er einem traditionellen schwäbischen Volks- und Tanzlied. Als einer der ersten nach dem Krieg, der es dem nationalsozialistischen Missbrauch entriss, war Elvis Presley. Während seiner Militärzeit in Deutschland lernte er das Lied kennen. In Europa war „Wooden Heart“ – so hieß „Muss i denn…“ in der Presley-Version – ein Riesenerfolg. In Großbritannien stand dieses deutsche Volkslied sechs Wochen auf Platz eins der Charts. Weil es wohl in der Melodie an „Home Sweet Home“ erinnerte. In den USA schaffte es der Sänger Joe Dowell mit „Wooden Heart“ und Tuba-Begleitung auf Platz 1 der Billboard-Charts.
Es ist der Kontext in dem diese Lieder, mit ihren schönen Melodien für Begeisterung oder für Bestürzung sorgen. Heino nahm „Muss i denn…“ 1971 auf und löste damit in der damaligen Jugend eine weitere Abkehr vom deutschen Volkslied aus. Roy Blacks Version 1974 mit den Fischer-Chören blieb unbeachtet. Nun wird es von einem anderen Augsburger wiederbelebt. Mitwirkende sind: Gaby Weihmayer, Gesang, Mark Stoffel, Mandoline, Geige, Robert Bowlin Kontrabass. Aufgenommen wurde es im Aux-Rocks-Studio von Reinhard Heß. Ein Augsburger Musikprojekt, mit dem Karl Poesl Fragen stellen möchte nach Heimat und danach, ob sich deutsches Kulturgut noch retten lässt.
Weitere Volkslieder unter dem Begriff „Entfesselte Schätze“ werden bis zum Juli 2027 folgen.
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Bernd Hohlen
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