Was hat die Politik aus der Flüchtlingskrise und der Flüchtlingstragödie von Parndorf mit 71 Toten vor zehn Jahren gelernt? In der ZIB 2 war dazu EU-Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP) zu Gast.
„Vor zehn Jahren hat Angela Merkel ihren berühmten Satz gesagt: ‚Wir schaffen das‘. Wie gut hat es die EU im Rückblick tatsächlich geschafft?“, steigt Moderator Armin Wolf in das Gespräch ein. Die Europäische Union habe „sehr viel Verantwortung übernommen“ in den letzten zehn Jahren, aber „mit einem System, das nicht wirklich funktioniert hat. So ehrlich muss man sein.“ erwidert Brunner.
Deswegen arbeite man jetzt an einer Reform des Migrations- und Asylsystem. Der Asyl- und Migrationspakt („die größte Reform in diesem Bereich“) sei dringend notwendig und soll 2026 umgesetzt werden – und solle natürlich zu Verbesserungen führen, so Brunner. Hier wirft Wolf ein, dass der Migrationspakt bereits 2016 oder spätestens 2017 in Kraft hätte treten müssen und nicht 2026. „Da haben Sie vollkommen recht. Das hätte schneller gehen müssen.“
EU-Migrationspakt: Umsetzung bis Mitte 2026
Der Migrationspakt sieht vor, dass die Asylverfahren für Menschen aus sogenannten sicheren Drittstaaten künftig an den Außengrenzen abgehandelt werden – und zwar innerhalb von zwölf Wochen in großen Asylzentren. „Wann wird das denn tatsächlich funktionieren?“, will Wolf als nächstes von seinem Studiogast wissen. „Dieser Pakt soll bis Mitte 2026 umgesetzt werden. Natürlich wird es am Anfang gewisse Schwierigkeiten geben, aber die schnellstmögliche Umsetzung ist wichtig,“ unterstreicht Brunner.
Zur Frage, wie viele Asylzentren es für dieses Vorhaben geben wird, hat der EU-Migrationskommissar keine genaue Prognose. „Das wird sich jetzt in den nächsten Monaten herausstellen. Es wird genügend geben müssen am Ende des Tages“.
„Was passiert dann mit den Asylwerbern, die abgelehnt werden? Momentan bleiben von denen fast 80 Prozent weiter in der EU, obwohl sie eigentlich raus müssten,“ hakt Wolf nach. „Sie sprechen die Rückführungen an, die nicht funktionieren. Das ist auch ein Teil der Maßnahmen gewesen, die wir jetzt vorgezogen haben.“ Aktuell würde nur einer von fünf Asylwerbern, die eine negative Asylentscheidung erhalten, auch wirklich rückgeführt. Das ist nicht akzeptabel für die Europäische Union. Hier müssen wir schneller werden,“ gesteht Brunner zu. Eine neue Rückführungsverordnung liege ebenfalls bereits vor, die „hoffentlich jetzt schnell vom Rat und vom Parlament dann auch umgesetzt und beschlossen wird. Die Menschen, die man nicht in ihre Heimatländer abschieben kann, die sollen in Drittstaaten kommen, in sogenannte Rückführzentren.“
Brunner würde Gespräche mit Afghanistan „nicht verweigern“
Brunner betont hierbei die Wichtigkeit von mehr Verhandlungen mit besagten Drittstaaten. „Wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir dafür verhandeln.“ Wolf fragt nach: „Planen Sie, mit dem Taliban-Regime zu verhandeln, um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen?“ Auf „technischer Ebene“ fänden Gespräche mit Afghanistan bereits statt, so Brunner. „Und ja, ich bin offen, mit jedem zu sprechen. Ich würde auf jeden Fall das Gespräch nicht verweigern.“
Dass immer mehr EU-Politiker eine Änderung der Menschenrechtskonvention und der Flüchtlingskonvention fordern (darunter auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz), sieht er kritisch, „weil es eben relativ schwierig und kompliziert ist“, meint Brunner. „Es bringt uns nicht vorwärts.“
In einem Brief hatten mehrere EU-Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzler Stocker, den Menschenrechtsgerichtshof aufgefordert, die Menschenrechtskonvention anders zu interpretieren. „Das unterstützen Sie?“, will Wolf nochmals genauer wissen. „Das unterstütze ich, ist aber erst möglich, wenn die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen anders gesetzt worden sind“, so der EU-Migrationskommissar. Deswegen sei die Reform so wichtig, „weil dann haben die Gerichte auch die Möglichkeit, anders zu entscheiden“.