Seit Jahrzehnten war das Gemälde „Porträt einer Dame (Contessa Colleoni)“ des italienischen Malers Giuseppe Ghislandi verschwunden. Das Gemälde war Teil der aus mehr als 1100 Werken bestehenden Sammlung der international renommierten Kunsthandlung Goudstikker. Nun wurde es in Argentinien entdeckt.

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Dem jüdischen Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker wurde 1940 auf Anordnung der Nationalsozialisten die Kunstsammlung entzogen und diese wiederum zu viel zu niedrigen Preisen von hochrangigen Nazis aufgekauft oder einfach ohne Bezahlung „mitgenommen“. Auch Reichsmarschall und Kunstsammler Hermann Göring „kaufte“ Gemälde aus der Goudstikker-Sammlung.

Bereits vor Ausbruch des Krieges besuchte Hermann Göring die Kunstsammlung Goudstikker.
Archivfoto: dpa/GEMEENTE_ARCHIef

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Jacques Goudstikker endete tragisch

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und nach dem Entzug seiner Sammlung musste der niederländische Jude Jacques Goudstikker aus den Niederlanden fliehen. Doch auf dem Schiff, das ihn in den USA in Sicherheit bringen sollte, stürzte er in einen Laderaum. Er starb an seinen schweren Verletzungen.

Ein Porträt von Jacques Goudstikker aus den 1930er-Jahren.
Archivfoto: dpa/epa anp Gemeente Archief

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Seine Frau und ihr einziger Sohn erreichten jedoch die Vereinigten Staaten. In ihrem Gepäck hatten sie ein Büchlein, in dem Jacques Goudstikker alle Kunstwerke verzeichnet hatte, die sich im Besitz seiner Kunsthandlung in Amsterdam befanden.

„Meine Suche nach den Kunstwerken meines Schwiegervaters Jacques Goudstikker begann Ende der 1990er Jahre und ich habe sie bis heute nicht aufgegeben“, erklärt die 81-jährige Schwiegertochter Marei von Saher. „Das Ziel meiner Familie ist es, jedes Kunstwerk, das aus der Goudstikker-Sammlung geraubt wurde, zurückzufinden und Jacques’ Vermächtnis wiederherzustellen.“

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Gemälde wohl von Görings rechter Hand geraubt

Nachdem die Sammlung geraubt wurde, wanderte das jetzt gefundene Gemälde wohl in den Besitz des Nazi-Beamten Friedrich Kadgien. Dieser war die rechte Hand von Hermann Göring und mitverantwortlich für die „Vierjahrespläne“, die die deutsche Kriegsindustrie finanzieren sollten. Dazu zählte unter anderem die systematische Ausplünderung jüdischer Diamantenhändler in Amsterdam. Zudem war er auch Mitglied der Waffen-SS.

Als sich 1945 die deutsche Niederlage abzeichnete, floh Kadgien zunächst in die Schweiz. In seinem Gepäck: Ein Teil der erpressten Diamanten und einige Gemälde. Offiziellen Dokumenten zufolge hatte der hohe deutsche Nazi-Beamte 1946 mindestens zwei Gemälde aus der Goudstikker-Sammlung in seinem Besitz.

Aus der Schweiz setzte sich Kadgien dann nach Südamerika ab. Zunächst floh er nach Brasilien, ließ sich aber später in Argentinien nieder. Dort gründete er ein Unternehmen, lebte unter dem hispanisierten Namen Federico Kadgien, gründete eine Familie und starb 1978 in Buenos Aires.

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Durch Zufall auf Gemälde gestoßen

Nach Voruntersuchungen des pensionierten Niederländers Paul Post und durch einen bizarren Zufall ermittelte das „Algemeen Dagblad“ jetzt den Ort, an dem das geraubte Gemälde vermutlich seit Jahren hängt. Ein arglos veröffentlichtes Foto verriet den Verbleib des Gemäldes.

Eine der Töchter des verstorbenen Federico Kadgien (ehemals: Friedrich) bot ihr Haus in einer argentinischen Küstenstadt zum Verkauf an und löste damit unabsichtlich die Frage nach dem Verbleib des Gemäldes. Auf den Innenaufnahmen des Hauses auf einer argentinischen Makler-Website ist zu sehen, was mit dem geraubten Gemälde geschehen ist: Es hängt über einem Sofa. Möglicherweise schon 80 Jahre lang.

Wie geht es jetzt weiter?

„Die Erben von Jacques Goudstikker wollen das Gemälde nun zurück. Es steht auf einer internationalen Fahndungsliste für verschwundene Kunst. Auch die niederländische Rijksdienst voor Cultureel Erfgoed (RCE), die sich mit von den Nazis geraubten Kunstwerken befasst, führt das Gemälde auf ihrer Website als vermisst“, berichtet das „Algemeen Dagblad“.

Unklar ist, ob die Goudstikker-Nachfahren das Bild der Gräfin Colleoni jedoch wirklich zurückbekommen werden. Kunstexperten rechnen mit einem langen Rechtsstreit zu dem Verbleib des Gemäldes, falls die jetzige Besitzerin nicht kooperieren will.

Im Jahr 2006 erhielten die Erben von Goudstikkers, Schwiegertochter Marei von Saher (r.) und ihre Tochter Charlene, 202 geraubte Gemälde aus der nationalen Kunstgalerie der Niederlande.
Archivfoto: dpa/dpaweb/epa anp Ed Oudenaarden

Im Jahr 2006 erhielten die Erben von Goudstikkers, Schwiegertochter Marei von Saher (r.) und ihre Tochter Charlene, 202 geraubte Gemälde aus der nationalen Kunstgalerie der Niederlande.Icon MaximizeIcon Lightbox Maximize

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Denn wenn sich ein Gemälde in Privatbesitz befindet und der Eigentümer es nicht zurückgeben will, kann es nach all den Jahren sehr schwierig sein, es zurückzuerhalten. Noch ist unklar, wie genau das Gemälde in den Besitz des Nazi-Beamten Kadgien kam. Seine beiden Töchter wollen darüber jedenfalls keine Auskunft erteilen.

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