Diese Menschen am Fluss haben etwas zu erzählen. Der Fährmann mit der Kapitänsmütze zum Beispiel: Nur ein paar Meter Fluss überquert er, fährt hin und her am Ufer der Donau in Niederbayern – aber er schippert dabei Menschen aus der ganzen Welt auf seinem Boot. Amerikaner, Franzosen, Chinesen, „ich ratsche gerne und setze alle möglichen Leute über“. Oder aber: die Cellistin in Budapest, eben hat sie auf der Bühne den Walzer von der „Schönen blauen Donau“ gespielt, jetzt sucht sie nach Worten für das magische Gefühl, mit dem Fluss zu leben: „Die Donau macht … eine Stimmung.“ Und dann, Auftritt Frau Hawelka in Wien. In ihrem weltberühmten Künstler-Café wurschtelt sie in der Küche und erzählt nebenbei aus ihrem Leben: Dienstag sei ihr freier Tag, ihr Tag an der Donau. Der Fluss ist ihre Ruhequelle.
„Jeder dieser Menschen hat mir etwas Gutes, Weises mit auf den Weg gegeben“, sagt Christian Schmiedbauer heute. Vor 25 Jahren begann der Künstler eine Reise. Immer die Donau entlang, einmal von Quelle bis Mündung. Was er fand, waren diese Menschen – die jetzt die Hauptrollen in seinem neusten Comic-Buch spielen. „Menschen am Fluss. Tagebuch meiner Donaureise“, so heißt die Graphic Novel des Künstlers aus Augsburg.
Christian Schmiedbauer hat die Länder der Donau bereist
Wie er damals auf die Idee einer Reise kam, das erzählt Schmiedbauer in einer Szene im Buch. Grüne Wiese, blaue Donau, nachtschwarzer Himmel: Ein Rudel junger Männern trifft sich zum Lagerfeuer am Ufer. Dresscode Fischerhütchen und Boxershorts, und im Flusswasser kühlen Bierflaschen. Schmiedbauer ist damals ein junger Grafikdesign-Student aus Straubing, vor allem Fotograf und auf der Suche nach einer Idee für seine Abschlussarbeit. Die spült jetzt der Fluss selbst an: „Ich will den Donauzauber festhalten!“, ruft er laut, er will die Menschen am Fluss portärtieren. Reisebeginn: Donaueschingen, 7. August 2000.
Dass er aus diesem Abenteuer einmal einen Comic zeichnen würde, habe er damals nicht geahnt, sagt der Autor heute. Was er aber schnell auf dem Weg merkte: „Das Wasser macht etwas mit den Menschen. Ich habe so viele Menschen getroffen, die unglaublich gern über ihre Liebe zum Fluss reden.“
So wie er schreibt und zeichnet, so spricht Schmiedbauer. Entspannt und bedacht. Sein Comic-Stil: nicht fein schraffiert ausgearbeitet bis ins Detail der Haarspitzen. Stattdessen große Farbflächen, liebenswerte Charakter-Figuren, mit wenigen, dafür klaren Strichen. Doch wie in einem Familienalbum klebt Schmiedbauer auch Fotografien von der Reise ins Comic-Buch. Ein Porträtbild mit Charakter: Ein Herr mit prunkvoll adeliger Mütze. Es ist Rudolf Dentler, genannt „der König von Ulm“. Goldschmied, Künstler, Orakel, in der Donaustadt kannte diesen Mann jedes Kind, und mit seinen 75 Jahren begann er für seinen jungen Gast, Schmiedbauer, aus Lebensfreude zu tanzen. „In Ulm ist alles im Fluss“, sagte der König. „Nichts bleibt, es gibt nur ein ewiges werden und wandeln.“
„Ich bin ein Finder“, sagt Christian Schmiedbauer
Schmiedbauer sagt heute: „Der König von Ulm hat mir die größte Weisheit mitgegeben, ein Zitat von Hermann Hesse: Finden heißt frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Das hat mir die Augen geöffnet.“ Will heißen: nicht schürfen und ackern, der Fluss treibt die guten Ideen von selbst zum Künstler. „Liebes Tagebuch, ich bin ein Suchender“, so beginnt die Graphic Novel und erst ganz am Ende der Reise schreibt Schmiedbauer: „Ich bin ein Finder.“
Die Graphic Novel sei für ihn auch eine „Coming of Age“-Geschichte. „Ein Buch über das Erwachsenwerden, und auch darüber, Künstler zu werden.“ Und schließlich stammt auch die Familie des Autors von der Donau. Seine schwäbischen Vorfahren zogen im 18. Jahrhundert mit dem Schiff nach Belgrad, wurden dort zu Donauschwaben. Schmiedbauers Großvater lebte noch in Jugoslawien und fand nach dem Zweiten Weltkrieg eine Heimat in Straubing.
Zurück zu den Wurzeln, im Rückwärtsgang der Familiengeschichte: Als er in Wien anlandet, schlendert der langhaarige Student mit Zopf ins Café Hawelka, berüchtigt für Torten, Kaffee-Spezialitäten und den Zigarettendunst von Denkern und Künstlern. Und er muss erst zwei, drei Tassen Melange trinken und warten, dann erzählt ihm die Legende Frau Hawelka von ihrem Leben: „Für eine gute Sache braucht es gute Zutaten.“
In Bratislava erwischte den Comic-Zeichner die Amöbenruhr
Es grenzt an ein blaues Wunder, dass Schmiedbauer, kaum in Budapest, ins schönsten Konzerthaus der Stadt stolpert – und dort probt ein Orchester „An der schönen blauen Donau“. Frei erfunden? Donauzauber? Es war wirklich so, sagt Schmiedbauer. Aber der Fluss führt ihn auch in Wildnis und dunkle Gassen.
In Bratislava, Slowakei, fängt er sich im Schmuddel eines Hotels, in dem Zimmer auch für Stunden zu mieten sind, die Amöbenruhr ein. Alles im Fluss, grausamer Durchfall. In Corabia, Rumänien, verhaftet ihn die Polizei, wegen unerlaubtem Fotografieren. „Je weiter die Reise führte, desto komplizierter wurde sie. Das war eine wichtige Erfahrung zu sehen, mit welchen essenziellen Probleme andere Menschen kämpfen müssen. Menschen, deren Trinkwasser bedroht ist. Menschen, die betteln müssen.“ Aber Solidarität entsteht in Not, so zeichnet er berührende Szenen: Vukovar, Kroatien. Die Schusswunden des Balkankriegs klaffen noch in den Mauern. Aber junge, fremde Menschen laden den Reisenden ein, zur Punkparty zwischen Ruinen, mit Unterschlupf.
25 Jahre sind die Donau seitdem hinabgeflossen. Wie hat sich das Leben verändert an den Ufern? Schmiedbauer sagt, er mache sich Sorgen um die politische Zukunft Europas, durch die der Fluss fließt: „Es gibt Länder an der Donau, in denen politische Kräfte an der Macht sind, die Demokratie abschaffen wollen. Was ich wichtige finde: So viel wie möglich darüber zu sprechen. Mit den Menschen in den Ländern. Die Donau ist auch ein Fluss der Kommunikation.“
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Christian Schmiedbauer erzählt eine Geschichte von der Donau.
Foto: Christian Schmiedbauer
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Christian Schmiedbauer erzählt eine Geschichte von der Donau.
Foto: Christian Schmiedbauer
Christian Schmiedbauers Tipp: „Gib nicht zu früh auf“
Die Fotografien seiner Reise hat Schmiedbauer damals in Regensburg präsentiert, in einer Ausstellung. Sein erster Erfolg als Künstler. Später wurde er bekannt durch seinen Comic „Kauboi und Kaktus“, doch sein bisher größtes Projekt ist die neue Graphic Novel. Für diese Idee hat er auch ein Arbeitsstipendium vom Freistaat Bayern erhalten. Schmiedbauer lebt und arbeitet heute in Augsburg und unterrichtet hier auch junge Menschen an der Fachoberschule. Hat er einen Tipp für junge Zeichner? Wie finden sie ihren eigenen Stil? „Mein wichtigster Rat: Geduld haben. Zeichnen lernt man übers Zeichnen. Gib nicht zu früh auf.“ Und dann nennt er doch noch ein Element, neben dem Wasser, das ihn trägt: „Da ist ein künstlerisches Feuer in mir, sonst wäre ich nicht so beharrlich drangeblieben.“
Info: Christian Schmiedbauer: Menschen am Fluss Tagebuch meiner Donaureise, Volk-Verlag, 208 Seiten, 25 Euro
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