Der deutsche Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (rechts) gibt dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj während ihres Treffens in Kiew am 25. August 2025 die Hand [AP Photo/Efrem Lukatsky]
Mit dem Besuch von Bundesfinanzminister, SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil Anfang der Woche in Kiew ist die Bundesregierung endgültig an die Spitze der imperialistischen Kriegsoffensive in Osteuropa gerückt. Klingbeil versprach Präsident Wolodymyr Selenskyj jährliche Militärhilfen in Höhe von mindestens neun Milliarden Euro und bekräftigte die Bereitschaft Deutschlands, „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine zu übernehmen.
Diese Zusagen knüpfen direkt an den Ukraine-Gipfel in Alaska an, bei dem US-Präsident Donald Trump klargemacht hatte, dass Washington seine Kräfte auf den Konflikt mit China konzentrieren wird und die europäischen Mächte die Hauptlast des Kriegs gegen Russland tragen sollen. Berlin ist entschlossen, diese Rolle zu übernehmen – nicht im Interesse von „Frieden und Sicherheit“, wie Klingbeil behauptet, sondern zur Durchsetzung der eigenen imperialistischen Interessen.
In den Gesprächen in Kiew blieb Klingbeil bewusst vage, was die „Sicherheitsgarantien“ konkret bedeuten. Er sprach von „unterschiedlichen Möglichkeiten“ und einer „wirklich starken, verteidigungsfähigen ukrainischen Armee“, die langfristig in die Lage versetzt werden müsse, „sich zu verteidigen und abzuschrecken“. Er kündigte auch an, dass die Ukraine ihre Rüstungsproduktion mit deutscher Finanzierung, Technologie und Know-how massiv ausbauen werde.
Eine klare Absage an den Einsatz deutscher Bodentruppen vermied er. Damit hält sich die Bundesregierung die Option offen, selbst in den Krieg einzutreten und das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder deutsche Truppe direkt gegen Russland zu mobilisieren. Der ukrainische Präsident Selenskyj forderte am Wochenende explizit die Stationierung ausländischer Truppen, um einen etwaigen künftigen Waffenstillstand abzusichern. Bereits zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angedeutet, dass Berlin diese Forderung prüfe.
Parallel zu seinem Besuch bereitet Klingbeil die Verabschiedung eines Kriegshaushalts vor. Er sieht eine Verdreifachung der Rüstungsausgaben innerhalb der nächsten Jahre vor. Bis 2029 soll der Verteidigungsetat von 52 auf 153 Milliarden Euro steigen. Zusammen mit weiteren Posten für „kriegstaugliche Infrastruktur“ werden dann rund 27 Prozent des Bundeshaushalts direkt in den Militarismus fließen.
Finanziert wird die Aufrüstung über eine gewaltige Neuverschuldung: Bereits in diesem Jahr nimmt Klingbeil 143 Milliarden neue Kredite auf, bis 2029 sollen es 185 Milliarden jährlich sein. Insgesamt summiert sich die Neuverschuldung auf 850 Milliarden. Möglich ist das nur durch die im März beschlossene Grundgesetzänderung, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnimmt und zusätzliche Kredite in Höhe von einer Billion Euro erlaubt.
Während für Waffen unbegrenzt Mittel bereitstehen, bleibt die Schuldenbremse für alle anderen Bereiche bestehen. Das bedeutet einen massiven Sozialkahlschlag. Schon jetzt kürzt die Bundesregierung beim Bürgergeld, friert Ausgaben in Bildung und Gesundheit ein und plant weitere Einschnitte bei Renten und kommunalen Leistungen. CDU-Kanzler Friedrich Merz erklärte am Wochenende: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist nicht mehr finanzierbar.“ Er werde sich „durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren lassen”. Das ist unmissverständlich: auch die letzten noch verbliebenen sozialen Zugeständnisse der Vergangenheit sollen zerschlagen werden.
Der Aufrüstungs- und Sparkurs folgt einem klaren Ziel: Die Bundeswehr soll zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ ausgebaut werden, wie Merz bereits in seiner ersten Regierungserklärung als Kanzler verkündete. Er sprach von einer „Zeitenwende“, in der Deutschland „dauerhaft Verantwortung“ übernehmen müsse. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärt mantrahaft, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden.
Die Dimensionen sind nur mit der Aufrüstung am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkriegs vergleichbar. In der nächsten Dekade sollen die Rüstungsausgaben sogar auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen – 225 Milliarden Euro jährlich. Die Bundeswehr soll von derzeit 181.000 Soldaten auf mindestens 260.000 vergrößert werden, wofür die Einführung eines neuen Wehrdienstes bereits vorbereitet wird. Pistorius, der am heutigen Mittwoch die gesetzlichen Grundlagen dafür präsentiert, betonte bereits mehrfach, dass „Freiwilligkeit“ nur der erste Schritt sei und mittelfristig ein Zwangsdienst unausweichlich sei.
Die Bundeswehr stellt mit der permanenten Stationierung einer Brigade in Litauen bereits wieder einen voll ausgerüsteten Kampfverband an Russlands Grenze auf – die erste dauerhafte Auslandsstationierung deutscher Truppen seit 1945. 84 Jahre nach dem Beginn von Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der etwa 30 Millionen Sowjetbürgern den Tod brachte und in den Holocaust führte, rollen wieder deutsche Panzer Richtung Osten.
Alle Fakten unterstreichen, dass Deutschland und Europa in eine Kriegswirtschaft übergehen. Eine kürzlich veröffentlichte Analyse der Financial Times auf Basis von Satellitendaten zeigt, dass die Rüstungsindustrie ihre Kapazitäten seit 2022 dreimal so schnell wie in Friedenszeiten ausgebaut hat. Über sieben Millionen Quadratmeter neue Hallen, Fabriken und Infrastruktur sind entstanden.
Rheinmetall, größter deutscher Rüstungskonzern, plant bis 2027 die Produktion von Artilleriegranaten von 70.000 (2022) auf 1,1 Millionen pro Jahr hochzufahren. In Ungarn entsteht ein riesiger Rüstungspark für Leopard-2-Munition und Sprengstoffe. In Deutschland wird die MBDA-Fabrik in Schrobenhausen erweitert, um künftig Patriot-Raketen und Enforcer-Systeme in Serie zu produzieren.
Zugleich wird die zivile Industrie in die Kriegsproduktion integriert: VW, Bosch, Continental, Thyssenkrupp und andere Konzerne stellen Werke, Personal und Materialien bereit. Damit wiederholt sich, unter veränderten historischen Bedingungen, der Übergang zur totalen Kriegswirtschaft in den 1930er Jahren.
Eine weitere Entwicklung in diesem Zusammenhang ist die direkte deutsche Beteiligung an der ukrainischen Rüstungsindustrie. Ende Mai unterzeichneten Merz und Selenskyj in Berlin eine Vereinbarung, mit der Deutschland den Aufbau einer ukrainischen Drohnen- und Raketenproduktion finanziert. Konkret sollen u.a. 500 Angriffsdrohnen vom Typ „Ljutyj“ mit Reichweiten von bis zu 2000 Kilometern beschafft werden.
Neben Rheinmetall, das bereits Panzer in der Ukraine repariert und ein Munitionswerk baut, sind auch Startups wie Quantum-Systems und Helsing vor Ort präsent. Quantum-Systems produziert Aufklärungsdrohnen in Kiew und expandiert mit einem zweiten Werk. Helsing liefert Tausende Kampfdrohnen vom Typ HX-2, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, die gegen elektronische Störmaßnahmen resistent sein sollen.
Die Ukraine dient dabei als Testfeld für deutsche Waffentechnologie. „Nur wer vor Ort ist, kann sich den ständigen Veränderungen anpassen. Unsere Erkenntnisse aus der Ukraine fließen direkt in unsere Produktentwicklung ein“, erklärte Sven Kruck von Quantum-Systems. Mit anderen Worten: Der Krieg wird genutzt, um neue, tödliche Technologien unter realen Bedingungen zu erproben und marktfähig zu machen.
Innenpolitisch erfordert dieser Kurs wie in den 1930er Jahren die vollständige Unterdrückung der Arbeiterklasse und die Errichtung einer Diktatur. Um den gigantischen Militärapparat zu finanzieren, organisiert die Bundesregierung nicht nur massive Kürzungen, sondern errichtet einen autoritären Polizeistaat, um den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung zu unterdrücken.
David North
30 Jahre Krieg: Amerikas Griff nach der Weltherrschaft 1990–2020
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Bundesregierung arbeitet unter dem notorisch rechten Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) daran, Polizei und Geheimdienste massiv auszubauen, und hetzt in AfD-Manier gegen Flüchtlinge. Jede Opposition gegen Krieg und Militarismus wird diffamiert, allen voran der weit verbreitete Widerstand gegen den Gaza-Genozid, den Politik und Medien pauschal als „Antisemitismus“ verunglimpfen. Der Aufbau neuer Wehrdienststrukturen zielt darauf ab, junge Menschen gegen ihren Willen in die Armee zu zwingen und so das notwendige Kanonenfutter für die neue Kriegsoffensive des deutschen Imperialismus auszuheben.
Alle etablierten Parteien – CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD und auch die Linkspartei – tragen diesen Kurs im Kern mit. Die ehemals pazifistischen Grünen kritisieren die Kriegspolitik der Merz-Regierung sogar von rechts. Auch die Linkspartei stimmte im Bundesrat für das 1-Billion-Euro-Aufrüstungsprogramm und verhalf Merz anschließend zur Kanzlerschaft.
Die Kriegsoffensive der Bundesregierung im Osten knüpft nahtlos an die historische Stoßrichtung des deutschen Imperialismus an. Schon im Ersten Weltkrieg war die Schaffung eines von Berlin dominierten ukrainischen Vasallenstaates ein Kriegsziel; im Zweiten Weltkrieg gehörte die Unterwerfung der Ukraine zu den zentralen Bestandteilen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion. Heute geht es erneut um die Kontrolle der rohstoffreichen Ukraine, den Zugriff auf russische Ressourcen und die Durchsetzung deutscher Hegemonie über die eurasische Landmasse.
Gleichzeitig bereiten die USA ihre Offensive gegen China vor. Trump arbeitet an einem möglichen Ukraine-Deal mit Russland über die Köpfe der europäischen Mächte hinweg und fordert gleichzeitig, diese müssten mehr Verantwortung in der Ukraine übernehmen. Deutschland und die anderen europäischen Mächte fürchten den sich entwickelnden außenpolitischen Bruch mit den USA. Gleichzeitig reagiert insbesondere Berlin auf den Zusammenbruch der Nachkriegsordnung, indem es sich erneut zur dominanten Militärmacht des Kontinents aufschwingt.
Der wahnsinnige Kurs in einen dritten Weltkrieg ist keine „Verteidigung der Demokratie“, sondern Ausdruck der unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus: zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat, zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung.
Doch dieselben Widersprüche, die Krieg hervorbringen, schaffen auch die objektive Grundlage für eine sozialistische Revolution. Weltweit wächst der Widerstand: In den USA demonstrierten am 14. Juni über 15 Millionen Menschen gegen Trump – die größten Proteste in der Geschichte des Landes. Auch in Europa, im Nahen Osten und weltweit entwickelt sich massiver Widerstand gegen Krieg, Militarismus und soziale Angriffe.
Die entscheidende Aufgabe besteht darin, dieser Opposition mit einer bewussten, sozialistischen Perspektive zu bewaffnen. Die Arbeiterklasse kann den Drang der herrschenden Klasse hin zu Weltkrieg und Faschismus nur stoppen, wenn sie unabhängig von allen bürgerlichen Parteien ins politische Geschehen eingreift, die NATO und die EU-Kriegsmaschinerie zerschlägt und die gigantischen Ressourcen der Wirtschaft unter ihre demokratische Kontrolle bringt.
Das erfordert den Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) in Deutschland und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) weltweit als neue revolutionäre Führung der internationalen Arbeiterklasse. Nur so kann die Katastrophe eines neuen Weltkriegs verhindert und eine sozialistische Zukunft erkämpft werden.