Die mauretanische Polizei will durchgreifen. Die Beamten stoppten etwa ein Holzboot mit 63 afrikanischen und asiatischen Migranten, als es vor wenigen Tagen auf dem Weg zu den spanischen Kanaren ablegen wollte. Aus dem kleinen afrikanischen Land brechen die meisten Migranten auf der Atlantikroute in Richtung Europa auf. Doch in den vergangenen Monaten ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen: Mit europäischer Unterstützung gingen die Ankünfte um 40 Prozent zurück. Im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr kamen im ersten Halbjahr 2025 nur gut 11.000 Migranten auf den spanischen Atlantikinseln an. 2024 waren es knapp 20.000, im gesamten Jahr fast 47.000.
Spanien und die anderen EU-Partner haben die Migrationskontrolle weitgehend ihren afrikanischen Partnern überlassen. Das hat einen Preis, wie ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) über Mauretanien zeigt, der der F.A.Z. vorliegt. Er dokumentiert Fälle von Folter, sexuelle Übergriffe, willkürliche Festnahmen und kollektive Abschiebungen – insgesamt geht es um 77 Migranten in den vergangenen fünf Jahren.
Die EU habe durch die „Externalisierung“ ihrer Grenzen Menschenrechtsverletzungen ignoriert und verschärft, lautet ein Fazit. Mit der mauretanischen Regierung hat die EU 2024 eine Migrationspartnerschaft geschlossen, so wie mit Tunesien und Ägypten. In Brüssel störte man sich nicht daran, dass das Regime in Tunesien mit immer größerer Brutalität vorgeht. Auf der Strecke nach Italien gingen die Zahlen zurück, auf der noch gefährlicheren Atlantikroute nahmen sie hingegen zu.
Der dritte Besuch des spanischen Regierungschefs
Vor eineinhalb Jahren waren die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez eigens in die Hauptstadt Nouakchott gereist. Beide kündigten Investitionen im Land von rund 500 Millionen Euro an, knapp die Hälfte davon für das Grenz- und Migrationsmanagement.
Spanien baut seitdem seine bilaterale Unterstützung aus und entsandte zusätzliche Polizeikräfte. Bei den ersten spanisch-mauretanischen Regierungskonsultationen, zu der das spanische Kabinett im Juli nach Mauretanien flog, lobte Sánchez das Land als einen „Schlüsselpartner“. Wie wichtig es für Spanien ist, zeigt, dass der Regierungschef zum dritten Mal in zwei Jahren dort war.
Seit Anfang 2025 ist in Mauretanien eine Verschärfung der Migrationspolitik zu beobachten. Nach Angaben der Regierung griffen ihre Sicherheitskräfte alleine in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 30.000 Migranten auf, von denen Tausende zwangsweise abgeschoben worden seien. Außerdem hätten sie etwa 80 Schmugglernetzwerke zerschlagen und in diesem Zusammenhang mehr als hundert Personen festgenommen. Laut HRW waren darunter auch Mitglieder der Polizei, Küstenwache und Armee.
Gegenüber der Menschenrechtsorganisation klagten Dutzende Migranten, die in neu eingerichteten Gefängnissen und Lagerhallen festgehalten wurden, über Nahrungsmangel, schlimme sanitäre Verhältnisse und Schläge des Wachpersonals; Kinder seien zusammen mit fremden Erwachsenen inhaftiert gewesen. „Die mauretanische Armee hat uns mit Stöcken und einer Gummipeitsche geschlagen“, berichtet ein Liberianer über seine Festnahme im Norden des Landes. Danach seien sie nach Mali abgeschoben worden. Dort seien sie dann in die Hände bewaffneter Islamisten gefallen.
Eine gefährliche Reise von zehn Tagen oder mehr
Auch spanische Sicherheitskräfte waren laut HRW bei missbräuchlichen Festnahmen und der Inhaftierung von Migranten dabei: Durch die jahrelange Zusammenarbeit „ohne ausreichende menschenrechtliche Schutzmaßnahmen haben die EU und Spanien die Repression von Migration begünstigt und teilen die Verantwortung für Missbräuche in Mauretanien“, lautet der Vorwurf. Die senegalesische und die malische Regierung hatten schon zuvor die „unmenschliche Behandlung“ ihrer ausgewiesenen Staatsangehörigen kritisiert.
Die EU-Kommission und die mauretanische Regierung weisen die Vorwürfe zurück. Man respektiere die Rechte der Migranten und arbeite an Reformen. Es bleibe aber nichts anderes übrig, um die lebensgefährliche illegale Migration zu bekämpfen, heißt es aus Nouakchott: 2024 seien 500 Leichname junger Afrikaner in der Nähe der mauretanischen Küste gefunden worden, dieses Frühjahr schon mehr als hundert. Das Land am Westrand der Sahara ist erst vor zwei Jahren zum wichtigsten Transitland der Atlantikroute geworden – es löste Senegal ab.
Anfangs fuhren fast täglich Boote mit Menschen aus Mali, Senegal, Gambia und Guinea aus der nördlichen Küstenstadt Nouadhibou und Nouakchott ab. Unter ihnen sind auch Passagiere aus Bangladesch und Pakistan, die mit dem Flugzeug nach Mauretanien kommen.
Zehn Tage und länger dauert die 700 Kilometer lange Seereise; manche Boote driften in die Karibik und bis vor die brasilianische Küste ab. Schätzungen darüber, wie viele Menschen zwischen 2020 und 2024 auf dem Weg von Westafrika zu den Kanaren ihr Leben verloren haben, reichen von 4300 bis 24.800.
Zuletzt stellten die Malier die größte Gruppe der Ankömmlinge auf den Kanaren. Laut UN-Zahlen halten sich mehr als 288.000 Geflüchtete und Asylsuchende in Mauretanien auf. Das Flüchtlingslager Mbera an der Grenze zu Mali ist mit 100.000 Einwohnern weit überfüllt. Das bedeutet eine große Herausforderung für das Land, das zwar im Vergleich zur restlichen Region politisch stabil ist und als ein verlässlicher Partner gilt, aber selbst mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Angesichts der Armut, unter denen gut die Hälfte der knapp fünf Millionen Einwohner leidet, machen sich auch immer mehr junge Mauretanier nach Spanien auf den Weg.