Gelsenkirchen. 26 Jahre war Rüdiger Schrade-Tönnißen Lehrer und Schulleiter an der Grundschule Im Brömm in Gelsenkirchen. Das hätte er gerne noch gemacht.

„Wir haben uns in den letzten zehn Jahren einen guten Ruf erarbeitet“: Nicht ohne ein wenig Stolz in der Stimme sagt Rüdiger Schrade-Tönnißen diesen Satz. Das „Wir“ ist ihm wichtig, darauf legt er Wert. Nach insgesamt 26 Jahren, davon elf Jahre als Schulleiter, an der Grundschule Im Brömm in Scholven hat der 67-Jährige sich nun vor den Sommerferien in den Ruhestand verabschiedet. Diese Schule im Norden der Stadt macht auch durch das Wirken von Schrade-Tönnißen mittlerweile sehr viel anders – und hat damit nicht nur in Sachen Ruf Erfolg, sondern auch, was Bildungsbiografien von Kindern in einem der ärmeren Stadteile Gelsenkirchens betrifft.

„Hohe Herausforderungen“: 26 Jahre Lehrer, 14 Jahre Schulleiter an der Grundschule Im Brömm in Scholven

Rüdiger Schrade-Tönnißen spricht im Gespräch mit der WAZ, bei dem es doch bitte nicht nur um ihn und seinen Abschied gehen soll, von „hohen Herausforderungen“ im Schulalltag. 224 Schüler zählte die Grundschule Im Brömm zum vergangenen Schuljahr, untergebracht waren sie in neun Klassen mit im Durchschnitt 25 Kindern. Mehr als zwei Drittel der Kinder kamen mit Migrationsgeschichte, viele von ihnen hatten wenige bis gar keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Ein Drittel der Kinder einer jeden Klasse hätte „erhöhten Förderbedarf“, so Schrade-Tönnißen, die sprachliche Erstförderung mit eingerechnet.

Seit zwei Jahren haben sie sich Im Brömm auf einen neuen Weg gemacht, den sie gemeinsam im Team bereits seit 2017 vorbereitet hatten: „Die Idee war, eine gute Lernumgebung zu schaffen, damit alle Kinder hier auch gut lernen können.“ Bedeutet: Wo andere Schulen und vielleicht auch die Eltern aufgeben, packen sie in Scholven erst richtig an. Sicher, es bedeutet viel Arbeit und Organisation, Weiterbildung und vor allem die Bereitschaft aller an dieser Schule Beteiligten, und trotzdem: Seit August 2023 gibt es an der Scholvener Grundschule keine erste, zweite, dritte, vierte Klasse mehr – alle Kinder von Jahrgang eins bis vier lernen gemeinsam, also jahrgangsübergreifend.

Über ein Vierteljahrhundert arbeitete Rüdiger Schrade-Tönnißen an der Grundschule Im Brömm – im Lauf der vergangenen zehn Jahre hat sich die Schule einen guten Ruf erarbeitet.

Über ein Vierteljahrhundert arbeitete Rüdiger Schrade-Tönnißen an der Grundschule Im Brömm – im Lauf der vergangenen zehn Jahre hat sich die Schule einen guten Ruf erarbeitet.
© FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Die Kinder werden individuell dort abgeholt, wo sie stehen“, erklärt Schrade-Tönnißen. Ausdrücklich eingeschlossen sind dabei eben nicht nur die Kinder mit Förderbedarfen, sondern auch die mit hoher Auffassungsgabe und schnellem Lerntempo. In einem vorherigen Gespräch mit der WAZ nannte der Schulleiter das Konzept, dass alle Kinder eines Jahrgangs mit einem Schulbuch bis zum Ende des Schuljahrs das Gleiche schaffen können, eine „Illusion“. Das sieht er auch heute noch so, glaubt an die individuelle Förderung, wenngleich auch das eine große Bereitschaft des Kollegiums erfordere. Das Team muss sich beispielsweise fortbilden, Schulungen absolvieren, auf Stand bleiben.

Ein wichtiger Faktor im Hintergrund: „Ich bin ein großer Fan von Strukturen, weil Strukturen uns prägen“, ist Rüdiger Schrade-Tönnißen überzeugt. Sie sind die Leitplanken für das Grundschul-Lernen in Scholven, wenngleich mit der Veränderung des Schulkonzepts und der Hinwendung zum jahrgangsübergreifenden Lernen weiterer großer Aufwand verbunden ist: „Das gesamte Denksystem, wie man eine Klasse bespielt, muss sich komplett verändern“, so der Schulleiter.

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Im Lauf des Prozesses habe es durchaus auch Stimmen aus der Elternschaft gegeben, „die sich nicht vorstellen konnten, wie das funktionieren soll“, erinnert sich der erfahrene Pädagoge. „Wichtig ist, dass man mit den Eltern partnerschaftlich zusammenarbeitet und diese Zusammenarbeit konsequent aufzubauen“, fügt er hinzu. Ein bedeutender Punkt: Dass die Grundschule Im Brömm 2018 Familienzentrum wurde, was nachhaltig „einige Impulse für die Schulentwicklung gebracht habe.“

Und was, wenn er doch noch länger bleiben könnte, da oben im Norden Gelsenkirchens? Dann würde Rüdiger Schrade-Tönnißen „noch mit aller Kraft“ eine Primus-Schule aufbauen. Hier lernen die Kinder gemeinsam von der ersten bis zu zehnten beziehungsweise 13. Klasse. Schlicht um den Bruch zu vermeiden, den Kinder häufig bei dem teilweise sehr aufregenden Wechsel von der Grund- zur weiterführenden Schule erleben. „Die Kinder bleiben in ihrem gewohnten Umfeld“, hebt der Lehrer hervor – ein gelingender Übergang von der einen zur anderen Schule wäre auch dadurch viel eher gewährleistet.

„Ich könnte mittlerweile ein dickes Buch darüber schreiben, wie schön sich Kinder bei uns entwickelt haben“, betont Schrade-Tönnißen in der Rückschau. Vielleicht wird er ja so seinen Ruhestand verbringen, zunächst einmal aber möchte der Vater von zwei erwachsenen Söhnen in den Urlaub fahren. Und mit Sicherheit weiter singen, denn 1981 gründete Rüdiger Schrade-Tönnißen während des Studiums in Münster gemeinsam mit ein paar Freundinnen und Freunden einen Chor („Ohne diesen Chor wäre ich heute nicht der, der ich bin“), der bis heute Bestand hat.

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Rüdiger Schrade-Tönnißens Nachfolgerin ist Anja Fischer, mit der er zuvor schon die Grundschule Im Brömm „kongenial“, wie Schrade-Tönnißen es nennt, geleitet hatte. Anja Fischer hatte die stellvertretende Schulleitung inne.